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# taz.de -- Asyl in Österreich: Flüchtlingszelte als Druckmittel
> Die meisten Bundesländer in Österreich nehmen zu wenig Asylbewerbende
> auf. Nun hat der Innenminister kurzerhand Zelte errichten lassen.
Bild: Zelte für Asylbewerber in Österreich im Erstaufnahmezentrum Thalham in …
Wien taz | Mit Zeltlagern für Asylbewerbende versucht Österreichs
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) die Bundesländer unter Druck zu setzen.
Am Wochenende ließ er in Oberösterreich und Kärnten insgesamt 25
Achtmannzelte aufgestellen – auf Gelände im Besitz des Bundes. Deshalb
bedarf es keiner Zustimmung der Länder. Aus den betroffenen Gemeinden
hagelt es Protest.
Ferdinand Aigner, ÖVP-Bürgermeister der
Viereinhalbtausend-Einwohner-Gemeinde Sankt Georgen im oberösterreichischen
Attergau, klagte am Montag einem Redakteur des Ö1-Morgenjournals sein Leid:
„Das ist einfach die dümmste Unterbringung, die was es geben kann.“
Bei strömendem Regen seien die Zelte errichtet worden und „am Samstagabend
sind schon mit Bussen junge Männer hergebracht worden. Und das regt uns
echt furchtbar auf“. Am 26. Oktober, dem österreichischen Nationalfeiertag,
wolle man aus Protest die nahe gelegene Westautobahn besetzen. St. Georgen
beherbergt das vom Bund verwaltete Flüchtlingslager Thalham, eine ehemalige
Lungenheilanstalt, deren 170 Schlafplätze bereits besetzt sind. Die Zelte
stehen auf jenem Gelände. Die Gemeinde hat keine Handhabe.
In Österreich haben sich alle neun Bundesländer verpflichtet, eine
bestimmte Quote an Asylwerbenden unterzubringen. Aber die meisten halten
sich nicht daran. Nur Wien und das Burgenland erfüllen beziehungsweise
übererfüllen ihre Verpflichtungen: Wien hat 179,4 Prozent seiner Quote
aufgenommen und das Burgenland 102,3 Prozent.
## Asylschnellverfahren würden entlasten
In Tirol und Vorarlberg hingegen, die weniger als 70 Prozent der Quote
erfüllen, sollen wie in Oberösterreich und Kärnten ebenfalls Zeltlager
entstehen.
Innenminister Karner stellt die Lösung als alternativlos dar. Seit
Jahresbeginn seien über 56.000 Asylanträge gestellt worden. 90 Prozent der
Geflüchteten seien über die Balkanroute ins Land gekommen. Die Quartiere
der Bundesbetreuung seien überfüllt. Karner vergleicht die Situation mit
dem Spätsommer 2015, als hunderttausende Schutzsuchende aus Ungarn über die
Ostgrenze kamen.
Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der Wirtschaftsuniversität
Wien, weist solche Vergleiche zurück. Sie spricht von einer
Managementkrise. Die Asylwerber kommen teils aus Bürgerkriegsländern wie
Syrien und Afghanistan und haben gute Chancen auf einen positiven
Asylbescheid.
Ein zunehmender Anteil stammt aus Indien und Ländern des Maghreb. Da handle
es sich in Wahrheit um „Arbeitsmigranten“, die keine legale Möglichkeit zur
Einreise vorfinden und daher auf das Asylsystem ausweichen.
Kohlenberger erklärt aber, dass nicht die Migration das kurzfristige
Problem für Österreich ist: „Die Asylschiene ist die teuerste
Einreiseschiene, weil ein ganzes rechtsstaatliches Verfahren gestartet
werden muss.“ Das könne man durch ein Abgehen von der strikten
Abschottungspolitik beheben. Die [1][Expertin rät im Radio-Interview]
deshalb zu Asylschnellverfahren.
## Zelten sollen beheizbar sein
Die Aufnahmequoten der Länder verbessert das aber auf die Schnelle auch
nicht. Innenminister Karner versichert aber zu seiner Lösung, die Zelte
seien beheizbar und würden vorerst nur mit jungen Männern besiedelt. Die
Tatsache, dass man sie knapp an die Grenze von Nachbargrundstücken gestellt
hat, lässt aber auch vermuten, dass negative Stimmungen im Ort provoziert
werden sollen.
Ob sich die erwünschte Konsequenz einstellt, dass nämlich die Länder ihre
Verpflichtungen erfüllen, erscheint fraglich. Denn wie immer wieder zu
hören ist, mangelt es nicht an möglichen Unterkünften. Nur werden die nicht
freigegeben, weil die Bürgermeister Proteste ihrer Wählerschaft fürchten.
Profiteurin des planlosen Fuhrwerkens ist die FPÖ, die sich über dieses
Wasser auf ihre ausländerfeindlichen Mühlen freut. Parteichef Herbert Kickl
geißelte die Zeltlager als „Monumente des Totalversagens“ und kann
zufrieden auf steigende Umfragewerte blicken.
18 Oct 2022
## LINKS
[1] https://oe1.orf.at/player/20221017/694828/1666001119000
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Österreich
Schwerpunkt Flucht
Balkanroute
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