| # taz.de -- Die Kunst der Woche: Gesten der Zärtlichkeit | |
| > Die Kunstbibliothek zeigt unvollständige Kunstobjekte. Neben dem 16. | |
| > IBB-Preis für Photographie werden zum Jubiläum auch die letzten 15 Jahre | |
| > gezeigt. | |
| Bild: Der 16. IBB-Preis für Photographie ging an Dana Rabea Jäger, die Schauf… | |
| 25 junge Nachwuchswissenschaftler:innen der Staatlichen Museen zu | |
| Berlin haben diese Sonderausstellung kuratiert, die sich um jene | |
| Bestandteile der Museumssammlungen kümmert, die nur selten präsentiert | |
| werden, nämlich die Fragmente, die unvollständigen oder nie vollendeten | |
| Kunstobjekte. „In:complete. Zerstört – Zerteilt – Ergänzt“ in der | |
| [1][Kunstbibliothek] zeigt in sechs großartig bestückten Kapiteln rund 60 | |
| Artefakte von der Prähistorie bis zur Gegenwart aus insgesamt 23 Sammlungen | |
| der Stiftung preußischer Kulturbesitz. | |
| Am Anfang steht die Zerstörung von Kunstwerken im Zuge kriegerischer | |
| Auseinandersetzungen, ein in Europa gerade wieder aktuell gewordenes Thema, | |
| das wohl Anlass zur Ausstellung gegeben haben könnte. Repräsentativer Fall: | |
| die Bacchantin auf dem Panther (1848) des Bildhauers Theodor Kalide, die | |
| man aus dem Schutt des Treppenhauses der Nationalgalerie bergen konnte, als | |
| es nach einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört war. | |
| Die Verletzlichkeit des Museums, nicht nur als Bauwerk, sondern als für ein | |
| Publikum offener Raum, wird uns momentan nahezu täglich vor Augen geführt, | |
| wenn auch mit deutlich weniger dramatischen Folgen, wenn sich die | |
| Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ in ikonoklastischen Aktionen an | |
| Kunstwerke kleben oder sie [2][mit Tomatenpüree oder Kartoffelbrei | |
| überschütten]. Die mutwillige Beschädigung kann aber auch aus kommerziellen | |
| Gründen geschehen. | |
| Ein Kunstwerk wird also bewusst zerteilt, um mehrere Bilder zu gewinnen, | |
| wobei oft der Kontext und die Geschichte des Kunstwerkes mitzerstört wird | |
| und nur noch bruchstückhaft bekannt ist. Das im Kapitel Zerteilen und | |
| Wiederverwenden ausgestellte Bild der Muttergottes und das Bild von Joseph | |
| mit zwei Hirten sind Fragmente einer größeren Tafel aus der Werkstattdes | |
| Dieric Bouts (1410/20-1475), von der man nur Dank einer kleinen Kopie weiß. | |
| Abgefahren hier auch die kleinen Paul Klees, die der Künstler selbst | |
| produzierte, indem er selbst seine Zeichnungen und Gemälde in zwei oder | |
| mehr Teile zerschnitt. | |
| ## Der Reiz des Unvollendeten | |
| Oft ist es eben der Künstler selbst, der das Fragment verursacht, sei es, | |
| dass er wie Adolph Menzel im Porträt die Augenpartie, mit der er wohl | |
| unzufrieden ist, herausschneidet. Sei es, dass er wie Karl von Appen die | |
| Porträtskizze der Schauspielerin Manja Behrens 1947 nicht fertigstellt, | |
| weil er dem Reiz des Unvollendeten, wie ein weiteres Kapitel heißt, | |
| erliegt. Er hat das Bild signiert, was darauf hindeutet, dass er es für | |
| vollendet hielt. | |
| Dem Reiz des Unvollendeten steht die Versuchung zum Ergänzen und | |
| Restaurieren entgegen, was oft größeren Schaden anrichtet als man ahnt. | |
| Aber hier in diesem Kapitel geht es um professionell ausgeführte Arbeiten, | |
| von denen man sich heute trotzdem nicht mehr ganz sicher ist, ob sie | |
| wirklich nötig sind. Das betrifft vor allem die antiken Sammlungsstücke, | |
| die zur Zeit ihres Funds im 19. Jahrhundert vor allem als vollständig | |
| geschätzt und entsprechend oft ergänzt wurden. | |
| Die Faszination Fragment wie ein letztes Kapitel überschrieben ist, trat | |
| erstmals in Renaissance auf, lebt aber bis heute fort. Ein besonders hippes | |
| Beispiel ist die zwischen das 16. und das 18. Jh. datierte koreanische | |
| Keramikschale, die einst zerbrochen war und dann geflickt wurde und zwar | |
| aus ästhetischen Gründen sichtbar, dank einer auffällig goldenen Klebung. | |
| Das einfache Gebrauchsgeschirr ist nach seiner Heilung erst wirklich | |
| kostbar. | |
| An sich ist ja das Museum selbst Fragment, wie Moritz Wullen, Direktor der | |
| Kunstbibliothek im Vorwort zum Katalog meint. Andernfalls, das ist schnell | |
| zu ahnen, wäre es eine furchterregende, alles umfassende Jorge Luis | |
| Borges’sche Konstruktion. | |
| ## Der Plan ging auf | |
| Die IBB-Bank hat in den Pandemie-Jahren recht unbürokratisch die | |
| Neustart-Hilfen an Soloselbständige ausgezahlt, darunter viele Künstler und | |
| Künstlerinnen. Für sie setzt sie sich freilich längst schon ein, mit dem | |
| IBB-Preis für Photographie, den sie gemeinsam mit dem Freundeskreis der UdK | |
| Berlin | Karl Hofer Gesellschaft e.V. seit dem Jahr 2007 verleiht. Ziel des | |
| eigenständigen Programms war es herausragende Absolvent*innen der | |
| Universität der Künste Berlin zu fördern – und dieser Plan ging auf das | |
| Großartigste auf. Angelegt auf drei Jahre verboten es die von Beginn an | |
| beachtlichen Ergebnisse, danach Schluss zu machen und so feiert der Preis | |
| jetzt sein 15-jähriges Jubiläum mit einer Gruppenausstellung in der | |
| [3][Kommunalen Galerie Berlin], die die IBB-Preisträger und | |
| -Preisträgerinnen noch einmal Revue passieren lässt. | |
| Zu sehen sind 15 Positionen, die „einen dezidiert künstlerischen Weg mit | |
| der Photographie gehen“ wie Hubertus von Amelunxen in seinem Text zur | |
| Ausstellung schreibt. Und das gilt auch für dokumentarische Ansätze wie | |
| KANTINSEL, die Fotoserie, die Norbert Wiesneth während eines | |
| Artist-in-Residence-Aufenthalts in Kaliningrad realisierte. Er war | |
| Preisträger der ersten Auslobung 2007, der Anerkennungspreis ging an Alicia | |
| Kwade. Wie Amelunxen noch anmerkt paart sich die fotografische Arbeit bei | |
| den Preisträgern und Preisträgerinnen oft mit filmischer, malerischer, | |
| zeichnerischer und bildhauerischer, dazu vielfach auch wissenschaftlicher | |
| Arbeit. | |
| Das auf mächtigen Beinen stehende Hybridhuhn etwa von Andreas Greiner, dem | |
| Preisträger 2015, bringt sofort dessen grandiose [4][Ausstellung in der | |
| Berlinischen Galerie] vor Augen, wo er 2016 dieses Huhn als Skelett in | |
| Dinosauriergröße zeigte. Nicht nur für die Knochen im Maßstab 20:1 aus dem | |
| 3-D-Drucker nutzte er in der Ausstellung bild- und modellgebende Verfahren | |
| der naturwissenschaftlichen Forschung. | |
| Die Taube hat es dann Julius von Bismarck & Julian Charrière, die die | |
| Anerkennung 2013 erhielten, angetan. Und so steht man in der Ausstellung | |
| vor einer Reihe von Aufnahmen, die den verfemten Stadtvogel exotisch bunt | |
| gefärbt zeigen, mit Absicht so unsere Sympathie für ihn zu gewinnen. | |
| Dagegen informationstechnisch spröde tritt Clara Bahlsen auf (Anerkennung | |
| 2011). Sie malte den QR-Code für „Welcome to Human Club“ 2021/22) an die | |
| Wand. Scannt man ihn, gibt es dann doch bunte Bilder und rätselhafte | |
| Dialoge, präsentiert auf dem Smartphone, das inzwischen auch sein | |
| 15-jähriges Jubiläum feiert. | |
| ## Möglichkeiten und Grenzen der Fotografie | |
| Und natürlich wurde auch in diesem Jahr wieder der [5][IBB-Preis] | |
| verliehen, zum 16. Mal, jetzt an Dana Rabea Jäger, die digital ein großes | |
| Thema der Fotografie verhandelt, mit dem beider Zugehörigkeit zur Moderne | |
| identifiziert wird, nämlich die Schaufensterpuppe. Jäger buchstabiert in | |
| ihrer Serie „Notes IOU“ mit den Puppen Gesten der Zärtlichkeit durch. Und | |
| weil sie dafür exquisite, enge Bildausschnitte findet, ein helles Licht | |
| setzt, das dann ganz zauberhafte sanfte Schatten wirft, die den subtil sich | |
| unterscheidenden Haut- eigentlich aber Farbton der Kunststoff-Protagonisten | |
| auch noch ins raffinierte Spiel der androgynen Körper bringen, erscheint | |
| dieses traumgleich unwirklich und faszinierend gegenwärtig zugleich. | |
| Ein klassisches Sujet der Kunstgeschichte greift dann Sina Yome Link, die | |
| die Anerkennung erhielt, in der Ausstellung im Gebäude der IBB-Bank mit dem | |
| Seestück auf. Ihre gleißenden Meereswellen, die sie im Siebdruckverfahren | |
| auf Stoff druckt, rollen über große Dramen hinweg. Erst ein Kamerablitz, | |
| der auf im Raum installierten Stoffe gerichtet ist, macht sie für den | |
| Moment sichtbar. Der Blitz lässt auf der reflektierenden Oberfläche ein | |
| gedrucktes Fotopositiv aufscheinen, einmal im Bild „I’m Yasmine, 16“ wird | |
| ein Boot sichtbar, das andere Mal im Bild „I’m Youssef, 6 month“ ist nur | |
| das Meer zu sehen, der Säugling hat die Flucht übers Mittelmeer nicht | |
| überlebt. | |
| Selten wird den Betrachtenden die gefährliche, leidvolle und leider oft | |
| tödliche Situation der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer so unausweichlich vor | |
| Augen geführt wie auf diesen glänzend schönen Oberflächen, den | |
| titelgebenden „Reflections“, auf denen Sina Link die Möglichkeiten und | |
| Grenzen der Fotografie eindrücklich zu zeigen vermag. | |
| 5 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/kunstbibliothek/home/ | |
| [2] /Klima-Protestaktionen-in-Museen/!5887003 | |
| [3] https://www.kommunalegalerie-berlin.de/ausstellungen/vorschau/15-jahre-ibb-… | |
| [4] /Archiv-Suche/!5365633&s=Andreas+Greiner&SuchRahmen=Print/ | |
| [5] https://www.udk-berlin.de/veranstaltung/verleihung-16-ibb-preis-fuer-photog… | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
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