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# taz.de -- Bundespräsident zur Lage der Nation: Ein Hauch Blut, Schweiß und …
> Der Bundespräsident stimmt die Bevölkerung auf raue Zeiten ein. Er
> fordert mehr Wehrhaftigkeit, Verzicht und eine gerechte Verteilung der
> Krisenlast.
Bild: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Grundsatzrede im Schl…
Berlin taz | Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Deutschen auf
eine lange Ära des Verzichts eingestimmt. „Es kommen härtere Jahre, raue
Jahre auf uns zu“, sagte er am Freitag in Berlin. Der [1][russische
Angriffskrieg] sei ein Epochenbruch. Das Land stehe vor einer Zeit
„schwerer wirtschaftlicher Verwerfungen, Energiekrise und explodierender
Preise“. In dieser fundamentalen Krise müssten die Deutschen wieder zwei
Dinge lernen: Bescheidenheit und Wehrhaftigkeit. Es sind zwei Tugenden, die
im postmateriellen Wertekanon nicht ganz oben stehen.
Steinmeiers Rede im Schloss Bellevue war vorab als bedeutend angekündigt
worden. Und sie erfüllte die geweckten Erwartungen. Diese Rede war, anders
als viele bundespräsidiale Ansprachen, nicht nur ein Echo des Common Sense.
Sie war eine Intervention mit zwei Botschaften, die man nicht jeden Tag zu
hören bekommt: Die Republik müsse wegen des Ukrainekrieges ein anderes
Verhältnis zum Militär und zum Verzicht entwickeln. Überspitzt: mehr
Bundeswehr, weniger Konsum, mehr Gemeinsinn.
Die Republik müsse „wehrhaft, aber nicht kriegerisch“ sein. Dafür müsse …
Gesellschaft der Bundeswehr „den Rücken stärken“. Zudem solle Deutschland
seine Rolle als eine der großen Nationen in Europa spielen. „Von uns wird
Führung erwartet, Führung im Interesse Europas.“ Das lässt sich als
Korrekturzeichen zu der in der SPD derzeit beliebten und mit Hybris
aufgeladenen Formel von der „Führungsmacht Deutschland“ lesen. Und es ist
ein Seitenhieb auf Olaf Scholz, der bei der Gaspolitik sehr wenig
Verständnis für die Empfindlichkeit kleinerer EU-Staaten zeigte.
Der originelle Kern der Rede war die Botschaft, dass der Krieg die
Deutschen zum Verzicht zwinge. „Diese Krise verlangt, dass wir wieder
lernen, uns zu bescheiden.“ Anders als der Waschlappen-Appell des
Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, [2][Winfried Kretschmann,]
preiste Steinmeier aber das Soziale mit ein. Verzicht klinge „wie Hohn in
den Ohren derer, die schon heute nicht über die Runden kommen“.
Interessant war seine Beschreibung der Rolle der Reichen in der Krise.
Diese müssten „helfen, die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen
stemmen zu können“. Viel hänge davon ab, ob die Krisenlast gerecht verteilt
werde.
Die logische Konsequenz dieses Aufrufs wäre eigentlich eine Vermögensabgabe
zur Bewältigung der Krise. Doch dieses Wort fehlte. So blieb es beim
unverbindlichen Appell. Konkret wurde Steinmeier nur [3][beim sozialen
Pflichtjahr], das er abermals als Instrument zur Förderungen von Gemeinsinn
ins Spiel brachte. Am Ende der Rede stand der obligatorische Mutmachteil,
in dem Ostdeutschland eine zentrale Rolle spielte, eine Region, die
offenbar besonderen präsidialen Zuspruchs bedarf. „Alles zu stärken, was
uns verbindet. Das ist die Aufgabe“, so Steinmeiers Conclusio.
In politischen Reden ist die „Blut, Schweiß und Tränen“-Rhetorik die rare
Ausnahme. Die politische Kultur der Bundesrepublik ist zivil, ihre Rhetorik
betont arm an Pathos. In dieser Nüchternheit schwingt noch immer die
Distanz zu dem furchtbaren Wir-Versprechen des NS-Regimes nach. Steinmeier
gilt geradezu als idealtypische Verkörperung dieser rhetorischen
Selbstbegrenzung. Im Zweifel lieber allgemein als konkret, lieber gefällig
als anstrengend.
Diese Rede hatte aber eine andere Tönung, sie war farbintensiver und hatte
weniger Halteseile als sonst. An zwei Stellen paraphrasierte der
Bundespräsident bekannte Pathosformeln. Die Deutschen sollten nicht zuerst
nach Entlastungen rufen, sondern tun, was hilft, um gemeinsam durch die
Krise zu kommen. Das war eine Variante von John F. Kennedys „Frage nicht,
was Dein Land für Dich tut, sondern was Du für Dein Land tun kannst“.
Und der Satz „Ohne den Kampf gegen den Klimawandel ist alles nichts“ war
eine etwas bemühte Paraphrase von Willy Brandts Satz „Ohne Frieden ist
alles nichts“. Die Passagen zum Klimawandel klangen dann, anders als die zu
Ukraine und Krise, wieder sehr nach Common Sense und dem Bemühen, nichts
falsch zu machen.
Diese Grundsatzrede kam erst Monate nach dem 24. Februar, dem Beginn des
russischen Angriffskriegs. Offenbar brauchte Steinmeier [4][erst die Reise
in die Ukraine] inklusive persönlicher Eindrücke aus dem Luftschutzkeller
auf der Flucht vor russischen Angriffen und das Versöhnungsfoto mit dem
ukrainischen Präsidenten Selenski. Seine politischen Fehleinschätzungen zu
Russland erwähnte der frühere Außenminister nur in einem Halbsatz. Keine
Selbstkritik, auch keine Rechtfertigung der deutschen Krisendiplomatie.
Auch das war eine Botschaft dieses Auftritts. Steinmeier will nach vorne
schauen.
28 Oct 2022
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## AUTOREN
Stefan Reinecke
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