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# taz.de -- Luftverschmutzung auf dem Balkan: Dreckiger als Delhi
> Belgrad gilt als die Stadt mit der weltweit höchsten Luftverschmutzung.
> Der gesamte Balkan leidet unter Feinstaub. Gründe: Armut und die Kohle.
Bild: Belgrad im Smog
Belgrad taz | Wenn in Belgrad gerade der typische, kühle [1][Košava]-Wind
nicht weht, bekommen die Bewohner:innen der serbischen Hauptstadt
häufig nur noch schlecht Luft. Dann legt sich eine schwere Decke aus Smog
über Donau und Save, die oberen Stockwerke der Plattenbauten verschwinden
im Nebel.
Als Belgrad in den vergangenen Wochen laut der schweizerischen [2][Website
IQAir] die Stadt mit der schlechtesten Luft weltweit war – noch vor Delhi,
Dubai und Peking –, fiel das Atmen besonders schwer. Die Luft sei
„ungesund“, hieß es, bestimmte Feinstaubpartikel würden den Richtwert der
Weltgesundheitsorganisation WHO von 5 Mikrogramm pro Kubikmeter um das
15-fache übersteigen.
Zwar sind die Ranglisten von IQAir mit Vorsicht zu genießen, denn wegen der
unterschiedlichen Messverfahren lassen sich Städte nur schwer vergleichen.
Die Luft in Belgrad ist dennoch einfach fühlbar schlecht: Immer wieder
leiden die etwa 1,7 Millionen Einwohner:innen vor allem in den kälteren
Monaten unter der massiven Verschmutzung.
Es ist ein Problem vieler Städte in der Region. Laut einem [3][Bericht des
UNO-Umweltprogramms Unep] von 2019 ist die Konzentration von Feinstaub auf
dem westliche Balkan im europäischen Vergleich besonders hoch. Die
Belastungen seien bis zu fünfmal höher, als sie laut nationalen und
EU-Vorgaben sein sollten. Die WHO-Richtwerte sind noch strenger.
## Spitzenreiter Sarajevo
Regelmäßiger Spitzenreiter ist sonst die bosnische Hauptstadt Sarajevo mit
ihrer Kessellage zwischen Hügeln. Sogar im für Öko-Tourismus bekannten
Staat Montenegro gibt es einen Witz: Kommt ein Bewohner aus Pljevlja, einer
der meistverschmutzten Städte Montenegros, in den Nationalpark Lovćen. Als
er aus dem Bus steigt, wird ihm schlecht, er fällt in Ohnmacht. Der
Busfahrer sagt: „Schnell, legt ihn unter den Auspuff, damit er zu sich
kommt!“
Laut Unep gibt es mehrere Gründe für diese Misere. Neben der Topografie
sind vor allem die minderwertigen Brennstoffe schuld, die in
Kohlekraftwerken verwendet werden. 88 Prozent der Haushalte nutzen zudem
dezentrale Heizsysteme wie Öfen und reine Heizkessel, über 60 Prozent
verwenden Kohle oder Holz zum Heizen und Kochen.
Wer an kalten Tagen etwa durch die nordmazedonische Kleinstadt Tetovo
spazieren geht, merkt sofort den penetranten Kohlegeruch in die Nase. Hinzu
kommt eine Industrie mit völlig veralteter Technik, die etwa serbische
Städte wie Valjevo und Užice verpestet. Uralt-Fahrzeuge im Straßenverkehr
tun ihr Übriges.
Und auch Armut verpestet die Luft. Gerade jetzt, wo die Inflation auch in
Serbien anzieht, verbrennen die Menschen alles, was sie finden können – von
Klamotten bis zu Autoreifen. In den Stadtwäldern sammeln sie Holz. Plastik
ist beliebt, weil es besonders lange brennt.
## Schädlich für Lunge und Blutkreislauf
Bei all diesen Vorgängen wird gefährlicher Feinstaub freigesetzt, der als
größtes Umweltgesundheitsrisiko in Europa gilt. Laut WHO sind die
Kleinstpartikel PM 2.5 und PM 10 besonders schädlich für Menschen. Dabei
geht es um Feinstaub mit einem Durchmesser, der kleiner als 2,5
beziehungsweise 10 Mikrometer ist. So können die PM-2.5-Partikel bis in die
Bronchien, Lungenbläschen und den Blutkreislauf vordringen und dadurch
Schlaganfälle, Herzerkrankungen, Lungenkrebs und Atemwegserkrankungen
verursachen.
Auf dem Balkan sterben laut dem Unep-Bericht jedes Jahr rund 5.000 Menschen
an den Folgen der Luftverschmutzung. Serbien ist mit 1.004 Toten trauriger
Spitzenreiter. Damit verkürzt sich die Lebenszeit in der Region um 0,4 bis
1,3 Jahre. Das klingt nicht nach viel. Doch zum Vergleich: In Deutschland
sank seit der Coronapandemie die Lebenserwartung um 0,6 Jahre für Jungen
und 0,4 Jahre für Mädchen. In den 19 untersuchten Städten des Westbalkans
war die Luftverschmutzung laut Unep für einen von fünf frühzeitigen Toden
verantwortlich.
Die Website IQAir empfiehlt den Belgrader:innen an den besonders
stickigen Tagen, nur wenig Zeit draußen zu verbringen, die Fenster zu
schließen und eine Maske zu tragen. Doch mit Maske ist an dem Tag, als die
Stadt Spitzenreiter war, niemand unterwegs.
„Das ist immer so, wenn der Herbst kommt“, sagt die Frau am Kiosk, die den
ganzen Tag draußen direkt an der Straße arbeitet. In Belgrad trägt neben
dem Heizen auch der Verkehr zur miesen Luft bei. Die Metropole muss ohne S-
oder U-Bahnen auskommen. Dafür schieben sich vollgestopfte Busse durch
vollgestopfte Straßen.
## Anpassung an EU-Umweltstandards
Für die Menschen in Belgrad und anderen Städten der Region sind die
Rekordmeldungen traurige Normalität. Serbische
Regierungsvertreter:innen der Partei SNS tun Warnungen von
Expert:innen als „übertriebene Panikmache“ ab. Goran Trivan, bis 2020
Umweltminister, sagte während seiner Amtszeit, Luftverschmutzung sei
lediglich ein „subjektives Empfinden“.
Dabei müssten sich die Länder im Rahmen des EU-Erweiterungsprozesses –
Serbien ist seit 2012 Beitrittskandidat – an EU-Umweltstandards anpassen.
Demnach müssen die Länder die Emissionen ihrer Kohlekraftwerke deutlich
reduzieren. Daran arbeiten Serbien & Co bereits seit Jahren, doch bislang
offensichtlich nur mit mäßigem Erfolg.
28 Oct 2022
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ko%C5%A1ava
[2] https://www.iqair.com/de/
[3] https://www.unep.org/news-and-stories/press-release/air-pollution-responsib…
## AUTOREN
Jana Lapper
## TAGS
Balkan
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