| # taz.de -- The Cure in Hamburg: Weltschmerz in Skinny-Jeans | |
| > The Cure haben ihre Deutschland-Tour in Hamburg gestartet. Vor 15.000 | |
| > Zuschauern gab es am Sonntag ein emotionales Extremwetter. | |
| Bild: Das Vogelnest auf dem Haupt von Robert Smith (links) hat sich schon etwas… | |
| Als Robert Smith Viertel vor neun ans Mikro tritt, ist es schon wieder fünf | |
| nach zwölf: „This is the end of every song we sing“, geht die erste Zeile | |
| des Auftaktsongs. „Alone“ heißt er und darin fallen Vögel vom Himmel, | |
| brennt Feuer in Asche, lassen Tränen den Blick verschwimmen. Die Apokalypse | |
| ist zurück auf der Bühne. Auf der Leinwand dahinter dreht sich der Erdball | |
| in langsam wachsender Entfernung, bis der Titel des am Sonntagabend in | |
| Hamburg Livepremiere feiernden neuen Cure-Albums etwas Kosmisches bekommt: | |
| „Songs of a Lost World“. | |
| Keine Hoffnung, nirgends, der Untergang: besiegelt. Es ist dann doch nicht | |
| rechtzeitig zur Tour fertig geworden, dieses neue Werk. 14 Jahre nach dem | |
| letzten kommt es auf ein paar weitere Monate auch nicht an, mögen die gut | |
| 15.000 Zuschauer in der Barclays Arena denken. Sie sind hier wegen dieser | |
| in samtige Synthies eingeschlagenen Pop-Noir-Songs, deren Sound The Cure in | |
| den vergangenen vier Jahrzehnten zum wiedererkennbaren Markenkern | |
| patentiert haben. Wegen dieser Lieder aus emotionalen Extremwetterlagen: | |
| Einsamkeit, Trauer, verlorene Liebe. | |
| Und ganze besonders sind sie hier wegen Robert Smith und seiner | |
| quietschigen, unerreichten und bis heute verblüffend klaren Kinderstimme. | |
| Schon die Silhouette wird bejubelt. Obwohl im lichter gewordenen Vogelnest | |
| von Smith’ Frisur heute bestenfalls ein Zaunkönig nisten könnte. | |
| Auch wenn Nahaufnahmen den Sieg der Schwerkraft über das Bindegewebe zeigen | |
| und 63-Jährige [1][in Skinny-Jeans nichts Anmutiges haben]. In weiten | |
| Teilen des eher grauen als schwarzen Publikums wächst daraus Verbundenheit. | |
| Dem Robert geht’s auch nicht anders. | |
| ## Die Kajal-Apologeten der Gothic-Bewegung | |
| Die durchaus vertretenen Jüngeren scheinen darin eine sympathische Art von | |
| Glaubwürdigkeit zu lesen: Hier geht es nicht um Jugendkult und | |
| durchinszenierte Bühnenchoreografie. Die britische Band steht überwiegend | |
| auf der Stelle, die optische Unterhaltung übernehmen die Videoprojektoren. | |
| Jede Setlist ist eine Reise in die Vergangenheit, The Cure aber, 1978 | |
| gegründet, legen dabei beachtliche Distanzen zurück. Die vergangenen zwei | |
| Jahrzehnte mit Alben wie „Bloodflowers“ und „4:13 Dream“ werden ignorie… | |
| Stattdessen geht es mit einigen Songs zurück zum 1989er Album | |
| „Disintegration“. Dann tiefer in die Achtziger zu düsteren Werken wie | |
| „Faith“ und „17 Seconds“, die der Band erst ihren Ruf als blassgesichti… | |
| Kajal-Apologeten der Gothic-Bewegung einbrachten. Wie eine Band es erträgt, | |
| Lieder über Jahrzehnte immer und immer wieder zu spielen, zeigt der | |
| Generationen-Song „A Forest“. Internetquellen zählen weit über 1.000 | |
| Cure-Konzerte mit diesem Stück. Wer sich durch Mitschnitte hört, merkt, | |
| dass es sich weiterentwickelt. Das Tempo variiert, der Gitarrensound | |
| wechselt, die Länge kann sich vervielfachen. | |
| Zwischendurch werden spärliche Einblicke ins neue Album gewährt. Etwa „And | |
| Nothing Is Forever“, langsames Klavier-Intro, gemächlicher Aufbau, ein | |
| melancholisches Adieu. „For my world has grown old, and nothing is | |
| forever.“ An eine Liebe? Einen Planeten? Fast glaubt man, dass The Cure mit | |
| ihrem Weltschmerz, ihrer Düsternis von der Realität eingeholt worden sind. | |
| Wenn die Vereinten Nationen ein sechstes Artensterben befürchten, | |
| Vertreter:innen der Letzten Generation vor dem Klimakollaps warnen und | |
| Robert Smith das [2][Extinction-Rebellion-Logo auf seine Gitarre klebt], | |
| dann fügt sich das dritte neue Stücke „Endsong“ ins Bild. Mit diesem | |
| getragenen, hypnotisch-wabernden Song schließt der offizielle Part des | |
| Auftritts. „It’s all gone, it’s all gone.“ | |
| ## Cure-Hits mehrere Jahrzehnte | |
| Aber dann kommt der Dunkle Lord des britischen Pop zur ersten Zugabe | |
| zurück, reißt Scherze und man denkt, vielleicht liegt es gar nicht an | |
| misanthropischer Schwermut, dass Smith auf der Bühne kaum spricht. | |
| Vielleicht schützt er einfach das Image seiner Band? Vor seinem weniger | |
| depressiven als vielmehr fröhlichen Charakter. Wie ausgelassen das | |
| Songwriting-Gehirn von Robert Smith sein kann, unterstreicht die zweite | |
| Zugabe. Sie reiht Cure-Hits mehrerer Jahrzehnte aneinander. Sie erinnern | |
| daran, dass in all dem Dunkel immer unbeschwerter Pop aufleuchtete. | |
| Zu „Lullaby“ wagt Smith seine berüchtigten Tanzschritte, „Dad-Dancing“… | |
| leicht unbeholfene, aber sehr sympathische Moves. „The Walk“, „Friday I�… | |
| in Love“, „Just Like Heaven“. Teile des Publikums sind nun selbst so mit | |
| Tanzen beschäftigt, dass sie vergessen, mit den Smartphones zu filmen. Kurz | |
| vorm Ende zieht Trockeneisnebel auf. Schon mit dem Finale hat er sich | |
| wieder verzogen: „Boys Don’t Cry“, nicht alle halten sich dran. | |
| 17 Oct 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Gregor Kessler | |
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