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# taz.de -- Energiekrise in Deutschland: Die neue Poolscham
> Während die Bundesregierung um Entlastungen ringt, wird der Swimmingpool
> mehr und mehr zum Symbol unsozialer Energiepolitik. Zu Recht?
Bild: Wer sich einen beheizbaren Pool leisten kann, braucht keine Gaspreisbremse
Berlin taz | Als die Gaskommission am Montag ihre Ergebnisse vorstellte,
war die soziale Unausgewogenheit der wohl größte Kritikpunkt. Durch das
Modell werde eine Zwei-Zimmer-Wohnung genauso behandelt wie eine Villa mit
Pool, klagte beispielsweise Verdi-Chef Frank Wernecke. Die grüne
Fraktionschefin Katharina Dröge musste im Deutschlandfunk erklären, wie es
sein könne, dass die „Millionärin mit Pool im Garten“ jetzt so viel
zurückbekomme, und der energiesparende kleine Haushalt so viel weniger.
Und auch bei Maybrit Illner kam das Anwesen mit dem obligatorischen Pool
zur Sprache, ab demnächst beheizt auf Kosten des Steuerzahlers.
Im Grunde plane der Staat via „Gießkannenprinzip“ private Schwimmanstalten
mit Warmwasser aufzufüllen – oder so ähnlich. Aber Moment mal. Erinnert
sich denn niemand mehr an Paragraf 4 der
Kurzfristenergieversorgungssicherheitsmaßnahmenverordnung? War die Debatte
über das Bahnenziehen in und um die eigenen vier Wände nicht Ende August
schon abschließend ausge(pool)nudelt? Im Spätsommer hatte
Wirtschaftsminister Habeck eine Verordnung auf den Weg gebracht, die
Besitzer:innen von Schwimmbädern in Wohngebäuden und Privatgärten das
Heizen mit Gas oder Strom aus dem Stromnetz ab September untersagt.
Der Bundesverband Schwimmbad & Wellness e. V. beschwerte sich, als einzige
Branche herausgepickt worden zu sein, deren Produkte nun auch im Privaten
verboten würden. Die Wirtschaftswoche machte den Pool gleich zum [1][„neuen
Diesel]“. Und der autonome [2][„Bademantel-Block]“, hervorgegangen aus
einer linken Berliner Initiative, rief zum Kontrollieren der
Pooltemperaturen im Grunewald auf.
Schwimmbad & Wellness e. V. gibt an, dass es in Deutschland rund 2,1
Millionen private Pools gibt, 40 Prozent davon würden überhaupt nicht
beheizt, und die allermeisten, nämlich Gartenpools, über den Herbst und
Winter abgedeckt. Insgesamt ginge es also um lediglich 156.000
Indoor-Pools, und wie die auf Wohlfühl-Temperatur kommen, ist dem Verband
nicht bekannt.
Bei 2,1 Millionen privaten Haushalten könne man außerdem nicht
ausschließlich von „Superreichen“ sprechen, denn 700.000 davon hätten
lediglich einen Aufstellpool, und den bekomme man schon für vergleichsweise
wenig Geld, heißt es [3][in einer Stellungnahme von August]. Der Verband
bemängelt außerdem, dass auch die „zu Recht gelobte Wärmepumpe“ dem Verb…
unterliegt. Immer mehr Poolbesitzer:innen stiegen darauf um, laut
Wirtschaftsministerium erwärmen eine halbe Million Haushalte ihre Pools
bisher auf diese Weise.
Habeck zufolge solle „zunächst dort gespart werden, wo dies die geringsten
sozialen und ökonomischen Nachteile bringt“. Dass ihm da als Erstes Pools
in den Sinn kommen, ist sicher nicht abwegig, konsequenterweise wären dann
aber auch die Saunen in Kellern oder Gärten fällig. Von denen gab es laut
Saunaverband vor Corona etwa 1,7 Millionen, da während der Pandemie aber
massenhaft ein sogenanntes Cocooning – also zu Hause Einmümmeln –
stattgefunden habe, liege die Zahl nun wohl darüber, sagt ein Sprecher des
Deutschen Saunabunds.
Ob das Poolverbot nur ein Symbol ist, oder ob mit dem Verbot tatsächlich
viel Energie gespart werden kann, ist nicht zu beantworten, da unklar ist,
wie viele Pools wie beheizt werden. Das Ministerium gibt zu, keine
verlässlichen Zahlen nennen zu können.
Betty Rose, 60 Jahre alt, aus Porta Westfalica, gehört zu den
schätzungsweise 156.000 Menschen mit Indoor-Pool, dabei hat sie sich den
gar nicht ausgesucht. Vor 20 Jahren kauften sie und ihr Mann ein „ganz
normales Einfamilienhaus“, wie sie selbst sagt, Baujahr 1975, das
Schwimmbad war schon drin. Den Bereich, in dem sich das Becken befindet,
nutzten sie bis vor fünf Jahren als Hobbyraum. Weil das Rheuma der Tochter
aber immer schlimmer wurde, beschlossen sie, auf einen Urlaub zu verzichten
und den Pool zu reaktivieren. Die tägliche Bewegung im warmen Wasser tut
den Gelenken der jungen Frau gut.
## „Da gibt man einen Driss drauf!“
Als das Gas knapp wurde, analysierte das Ehepaar Rose, wo sie ihren
Verbrauch reduzieren könnten, und installierten eine Wärmepumpe für den
Pool – mit Habecks Verbot haben sie beschlossen, das Teil an die
Photovoltaikanlage anzuschließen und ihr privates Schwimmbad einfach selbst
zu versorgen. Familie Rose darf den Pool trotz Habecks Verordnung weiter
benutzen, weil sie ihn für therapeutische Zwecke braucht. Mit dem Pool ist
es also ein bisschen wie bei der Maske: Ausnahmen nur mit Attest. Betty
Rose verschweigt mittlerweile, dass sie einen Pool besitzt, und postet auch
keine Fotos in sozialen Netzwerken. Poolscham.
Wolfgang Schmidt, der am Niederrhein gerade seinen Pool baut und unter
Poolbesitzer:innen „gut vernetzt“ ist, wie er sagt, kennt niemanden,
der sich an das Heizverbot hält. „Da gibt man einen Driss drauf!“, sagt er.
Wer soll es auch kontrollieren? Schon allein, weil die Pumpe weiterlaufen
müsse, damit manche Pools „aktiv frostfrei überwintern“. Aber auch er wei…
von einigen, die jetzt begonnen hätten, den Strom aus ihren Solarpanels für
das Schwimmbecken zu nutzen. Das ist trotz der Verordnung erlaubt. Vom
Dach gleich in den Keller. Wo halt so die Prioritäten liegen.
15 Oct 2022
## LINKS
[1] https://www.wiwo.de/politik/deutschland/pool-besitzer-sollen-energie-sparen…
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/satire-demo-in-berlin-grunewald-bademant…
[3] http://https://www.bsw-web.de/wp-content/uploads/2022/08/Stellungnahme-bsw-…
## AUTOREN
Leonie Gubela
## TAGS
Energiekrise
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