# taz.de -- Pride im ostukrainischen Charkiw: „Vereint wie nie zuvor“ | |
> Aktivist*innen aus Charkiw machen auf Verletzung der Rechte der | |
> LGBTQ-Community aufmerksam. Viele Probleme werden durch den Krieg | |
> verstärkt. | |
Bild: Ehe für alle: Pride im kriegszerstörten Charkiw in der Ostukraine | |
CHARKIW taz | Die Charkiw-Pride ist die größte Veranstaltung für die Rechte | |
von LGBTQ-Menschen im Osten der Ukraine und die einzige, die dieses Jahr im | |
offline-Format stattfindet. Unter dem Motto „Vereint wie nie zuvor“ fanden | |
zwischen dem 17. und 25. September in der Stadt mehrere Veranstaltungen | |
statt, um der Welt den Unterschied zwischen der ukrainischen Demokratie und | |
dem totalitären Regime der Russischen Föderation aufzuzeigen. | |
Erstmals seit Jahren wurden viele Veranstaltungen nicht vorab publik | |
gemacht, unter anderem wegen des Frontverlaufs und des fast täglichen | |
Beschusses der Stadt durch die russische Armee. | |
Am 17. September hatten die Aktivist*innen eine Performance zur | |
Unterstützung der EuroPride in Belgrad organisiert, die der [1][serbische | |
Präsident Aleksandar Vučić zu verbieten versucht hatte]. | |
Eine Gedenkfeier für die Opfer des Krieges fand dann am 21. September | |
statt. Während einer landesweiten Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer | |
der russischen Aggressionen gedachten Aktivist*innen der von den | |
russischen Besatzern ermordeten Mitglieder der Charkiwer LGBTQ-Community | |
und legte Blumen am Denkmal für die Verteidiger der Ukraine ab. Dabei | |
gedachte man besonders der LGBTQ-Aktivistin Elvira Schtschemur, die am 1. | |
März bei einem Raketenangriff der russischen Armee auf das Gebäude der | |
Regionalverwaltung in Charkiw ums Leben gekommen war. | |
„Elis Tod steht für uns stellvertretend für alle LGBTQ-Menschen, die durch | |
die russische Aggression ihr Leben verloren haben. Es gibt viele Opfer, | |
aber wir werden ihre genaue Zahl nie erfahren, weil sich nicht alle | |
Menschen im Verlauf ihres Lebens für ein Coming-out entscheiden konnten“, | |
sagte Stanislawa Petliza, eine der Organisatorinnen der Aktion. „Viele | |
LGBTQ-Menschen dienen bei den ukrainischen Streitkräften, und die meisten | |
von ihnen können es wegen der für sich unsicheren Situation in der Armee | |
nicht riskieren sich zu outen.“ | |
## Das Recht auf Ehe für alle | |
Am 23. September fand die Performance „Das Recht auf gleichgestellte Ehen“ | |
statt. In der Ukraine können LGBTQ-Menschen bislang nicht heiraten und | |
haben damit auch viele Rechte nicht, die Verheirateten sonst zustehen. | |
„Durch Charkiw fuhr ein Auto, das mit Regenbogen-Hochzeitssymbolen | |
geschmückt war. Die Organisator*innen wollten damit darauf aufmerksam | |
machen, dass LGBTQ-Menschen in der Ukraine kein Recht auf Eheschließung | |
haben. Das bunt geschmückte Auto blieb nicht unbemerkt. Man winkte ihm zu, | |
lächelte“, so die Organisatorin der Charkiw-Pride, Xenia Lewadnaja. | |
Am Sonntag stand zum Abschluss die Charkiw-Pride-Parade in der Metro, der | |
Charkiwer U-Bahn, auf der Agenda: ein friedlicher Demonstrationszug mit | |
Menschen, die sich für gleiche Rechte und Chancen für alle einsetzen, | |
unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. In | |
diesem Jahr fand der Marsch angesichts der Bedingungen in der Frontstadt in | |
geschlossener Form mit Voranmeldung statt. | |
„Noch ist niemand in der Ukraine in Sicherheit. Jedes einzelne Leben ist | |
bedroht. Doch zugleich dürfen wir auch die Menschenrechte nicht außer Acht | |
lassen. Wenn LGBTQ-Menschen es wert sind, für die Ukraine zu sterben, dann | |
sind sie es auch wert, in diesem Land gleiche Rechte zu haben“, sagte eine | |
andere Organisatorin der Charkiw-Pride, Anna Scharygina. | |
Pride-Marsch in der Metro | |
Die friedlichen Veranstaltungen für Menschenrechte in der Metro, seit | |
Kriegsbeginn der größte Luftschutzraum der Stadt, wurde von mehr als 30 | |
Teilnehmenden in Vyshyvankas, traditionell bestickten Hemden und geschmückt | |
mit Regenbogensymbolen, unterstützt. Die Teilnehmenden marschierten durch | |
die Metrostationen, um zu zeigen, dass LGBTQ-Menschen ein | |
gleichberechtigter Teil der ukrainischen Gesellschaft sind, dass die | |
LGBTQ-Community sich aktiv am Kampf für die Ukraine beteiligt und deshalb | |
auch gleiche Rechte in diesem Land haben sollte. Die Demo fand auf allen | |
drei Metrolinien statt, auf insgesamt zehn Stationen und an zwei | |
Übergängen. Etwa 50 Mitarbeiter*innen der Polizei und des | |
Metro-Wachschutzes begleiteten den Umzug. | |
## Gleiche Rechte auch im Krieg | |
Eine Teilnehmerin der Demo, die Juristin Lisa Kruk, sagte, dass sie in | |
diesem Jahr nicht nur für sich selbst zur Pride gekommen sei, sondern auch | |
„für alle, die dieses Mal nicht teilnehmen können: für die Gefallenen und | |
Evakuierten, für unsere Soldat*innen“. Sie „verstehe, dass wir die | |
Verfassung nicht von heute auf morgen ändern können, dass die | |
Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Ehen nicht im nächsten Monat | |
beschlossen wird“. | |
Kruk sagte, für sie gehe es bei der diesjährigen Pride vor allem darum, | |
dass LGBTQ-Rechte immer aktuell seien. „Wir sind mit Beginn des Krieges | |
nicht verschwunden und haben immer noch Probleme.“ Außerdem neue Probleme, | |
die direkt mit dem Krieg zusammenhingen. „Wie kann man an die Leiche | |
des/der verstorbenen Partner*in kommen? Wie kann man den/die Partner *in | |
im Krankenhaus besuchen? Friedliche öffentliche Demos sind schon lange Teil | |
der ukrainischen Kultur. Die Pride ist in diesem Jahr keine Feier des | |
Stolzes. Es ist eine Möglichkeit zu zeigen, dass wir als Teil der | |
Gesellschaft existieren und als solcher auch gehört werden müssen“, sagte | |
Kruk. | |
## Größte LGBTQ-Veranstaltung der Ostukraine | |
Die Mitorganisatorin der Charkiw-Pride Xenia Lewadnaja betonte, dass die | |
Veranstaltung die größte LGBTQ-Aktion im Osten der Ukraine sei. Die | |
Teilnehmer*innen kämpften um rechtliche Gleichstellung mit den anderen | |
Bürger*innen der Ukraine. Zu den derzeit stärksten Diskriminierungen | |
zähle, dass LGBTQ-Bürger*innen in der Ukraine die Leichen ihrer | |
Partner*innen nicht aus dem Leichenschauhaus abholen und den geliebten | |
Menschen nicht bestatten dürfen. | |
Sie dürfen keine lebensrettenden Entscheidungen für den Partner oder die | |
Partnerin treffen, wenn diese im Koma liegen. Auch die Betreuung des Kindes | |
des Partners oder der Partnerin, wenn diese an der Front kämpfen bzw. | |
verwundet wurden oder gestorben sind ist immer noch nicht gestattet, da | |
LGBTQ-Menschen immer noch nicht legal heiraten können. | |
Alle Veranstaltungen der Charkiw-Pride verliefen in Sicherheit. | |
Aktivist*innen kündigten eine Spendenaktion unter der LGBTQ-Community | |
für den [2][Wohltätigkeitsfonds „Charkiv with You“] an, der Frauen hilft, | |
die in der Region Charkiw kämpfen. | |
Das Format der nächstjährigen Charkiw Pride wird, so die | |
Organisator*innen in erster Linie von der militärischen Situation in | |
der Stadt abhängen. | |
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey] | |
28 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Europride-in-Belgrad/!5879379 | |
[2] https://kharkiv-with-you.org/ | |
[3] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
## AUTOREN | |
Juri Larin | |
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