# taz.de -- Europride in Belgrad: Pride-Parade oder Polizei-Geleit? | |
> Die verbotene Parade hat den Veranstaltern zufolge gekürzt stattgefunden. | |
> Laut Behörden habe die Polizei lediglich Menschen zu einem Konzert | |
> „geleitet“. | |
Bild: Teilnehmende an der Europride-Parade am Samstag in Belgrad | |
BELGRAD taz | Am Samstag ist mit der Eurpride 2022 in Belgrad die erste | |
europäische LGBTIQ-Veranstaltung im Südosten Europas zu Ende gegangen. Der | |
Höhepunkt der Pride-Woche hätte, wie in der westlichen Hemisphäre üblich, | |
die Parade sein sollen, die in fröhlicher Karnevalsstimmung | |
Gleichberechtigung und Liebe zelebriert. Der EU-Beitrittskandidat Serbien | |
hätte sich dabei als Staat präsentieren können, der Menschenrechte ernst | |
nimmt und Diskriminierung hinter sich gelassen hat. | |
Doch ob die Pride, die Parade, oder, ganz bescheiden, der Spaziergang der | |
LGBTIQ-Menschen durch Belgrads Zentrum überhaupt stattgefunden hat, ist | |
eine Frage der Interpretation. Und das Tohuwabohu rund um die Parade | |
zeigte, dass Serbien noch Lichtjahre entfernt ist von einem | |
funktionierenden Rechtsstaat. | |
Die konservative, prorussische, slawisch-orthodoxe serbische Gesellschaft | |
hat irgendwie das Stattfinden einer Vielzahl von Veranstaltungen im Rahmen | |
der Pride-Woche geschluckt. Doch gegen die Parade der „Kranken“, | |
„Devianten“, „Entfremdeten“, des „Bösen“, gegen die „Förderung�… | |
gotteswidrigen Homosexualität, des „Unnormalen“ als etwas Normales, dagegen | |
[1][bildete sich eine breite Front] angeführt vom serbischen Patriarchen | |
Porfirije. | |
Sie forderte diesen „Marsch der Unmoral“, der ihre christlichen und | |
familiären Werte verletze, zu verbieten. Rechtsextremistische Parteien | |
hatten für Samstag eine Gegendemonstration angekündigt. | |
## „Sicherheitsbedenken“ als Vorwand | |
Unter diesem Druck [2][verbat das Innenministerium „aus Sicherheitsgründen“ | |
die Parade]. Die Organisatoren klagten, das zuständige Gericht bestätigte | |
das Verbot, die Staatsanwaltschaft drohte mit hohen Geldstrafen für alle, | |
die es wagten, sich zu versammeln. Die LGBTIQ-Organisationen verkündeten | |
aber: Die Parade wird trotzdem stattfinden. | |
Nur zwei serbische Oppositionsparteien stellten sich hinter die Pride, | |
riefen ihre Mitglieder auf, sich anzuschließen und nannten das Verbot | |
verfassungswidrig. Mehrmals schon war in Serbien die Pride aus | |
„Sicherheitsgründen“ verboten worden, doch viermal verurteilte das | |
Verfassungsgericht das Verbot im Nachhinein als verfassungswidrig. | |
Jetzt gerieten die serbischen Entscheidungsträger unter den Druck des | |
Westens. Zahlreiche EU-Abgeordnete waren extra wegen der Pride angereist, | |
europäische Botschafter forderten, sie müsse stattfinden, und der | |
US-Botschafter Christopher Hill traf sich Samstagmorgen mit Serbiens alles | |
entscheidendem Staatspräsident Aleksandar Vučić. Danach hieß es: Der | |
„Spaziergang“ darf stattfinden. | |
Und er fand statt, eingezwängt zwischen gewaltigen Polizeikordons, getrennt | |
von der serbischen Außenwelt auf einer auf wenige hundert Meter gekürzten | |
Strecke durch den Park Tasmajdan bis zum Stadion. Dort fand danach ein | |
Technokonzert statt. Heftige Regenschauer passten irgendwie zu dem, was aus | |
der Parade geworden war. | |
## Innenministerium behauptet, Verbot durchgesetzt zu haben | |
Für die einen war es ein Erfolg der diplomatischen Bemühungen, für die | |
Organisatoren eine Errungenschaft ihrer Unnachgiebigkeit, für die | |
Rechtsextremisten eine Kapitulation des serbischen Staates. | |
Serbiens Innenminister Aleksandar Vulin erklärte, das Verbot des | |
„Spaziergangs“ sei aufrecht geblieben, die Polizei hätte die Teilnehmer | |
lediglich zum Konzert „geleitet“. Rund 6.000 Polizisten waren am Samstag im | |
Einsatz. So viele waren laut Einschätzung der Polizeidirektion Belgrad | |
notwendig, um einige Tausend Menschen einige hundert Meter sicher zu | |
„geleiten“. | |
Es gab wenige Zwischenfälle, doch wurden einige LGBTIQ-Menschen aus | |
Deutschland und Albanien nach dem Konzert angegriffen und verletzt. Am | |
Sonntag sprach Innenminister Vulin von 87 Festnahmen. Gegen 11 der | |
Festgenommenen werde strafrechtlich ermittelt. 13 Polizisten seien bei | |
Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten verletzt worden. | |
18 Sep 2022 | |
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## AUTOREN | |
Andrej Ivanji | |
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