# taz.de -- Ukrainisches Hiphop-Trio Fo Sho: „Wir sind 100 Prozent“ | |
> Fo Sho waren dabei, Superstars zu werden, als der Krieg sie aus ihrer | |
> Heimat Charkiw vertrieb. Nun leben sie in Schwaben. | |
Bild: Die Schwestern Miriam, Siona und Betty Endale sind Fo Sho | |
Hätte man der Ukrainerin Betty Endale noch vor einem Jahr erzählt, dass sie | |
heute in einer Kleinstadt in Süddeutschland leben und mit ihrer Hiphop-Band | |
erfolgreich durch Europa touren wird – sie hätte einen vermutlich für | |
verrückt erklärt. Bethlehem „Betty“ Endale, 34 Jahre alt, kommt aus | |
[1][Charkiw], der ukrainischen Großstadt an der russischen Grenze. Zu | |
Beginn [2][des Krieges] im Februar fliehen sie und ihre Familie, darunter | |
die Schwestern Miriam, 25, und Siona, 20, nach Deutschland. | |
Über eine Bekannte bekommen die Schwestern den Kontakt einer Frau in | |
Schwieberdingen, 30 Autominuten von Stuttgart entfernt. Die Frau nimmt die | |
Familie bei sich auf. Was sie zunächst nicht weiß: Mit Betty, Miriam und | |
Siona hat sie sich das bekannte ukrainische Hiphop-Trio Fo Sho ins Haus | |
geholt. | |
Fo Sho wurden vom Forbes-Magazin dieses Jahr auf die Liste der besten „30 | |
unter 30“ in Europa im Bereich Entertainment gewählt. Die Gruppe gibt es | |
seit 2020, damals kandidieren die Schwestern mit dem Track „BLCK SQR“ im | |
ukrainischen Vorentscheid des Eurovision Song Contest. Musikalisch aktiv | |
waren sie vorher schon, allerdings nicht gemeinsam. „Der Altersunterschied | |
war so groß, dass wir nie gedacht haben, dass wir mal in einer Band | |
zusammenspielen werden“, sagt Betty Endale. „Auf Fotos sahen wir zusammen | |
total schräg aus.“ Sie lacht. „Ich war groß, Miriam war klein und Siona | |
noch kleiner.“ | |
Vor einigen Jahren stellen die Schwestern dann fest, dass ihr | |
Altersunterschied nicht mehr ins Auge sticht. „Endlich sahen wir aus, als | |
hätten wir das Zeug zur Girlband.“ Betty Endale hat zu dem Zeitpunkt | |
bereits Fuß gefasst in der ukrainischen Musikbranche, und die Schwestern | |
beschließen, Fo Sho zu gründen. | |
Ihre Texte, die die Schwestern selbst schreiben, sind auf Englisch und auf | |
Ukrainisch. Ihre Musik hat Trap, R’n’B und Hiphop-Einflüsse. In einigen | |
Songs mixen sie auch Elemente traditioneller ukrainischer Volksmusik dazu. | |
Nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine versteckt sich die | |
Familie zwei Wochen lang vor den Bomben in einem Keller. „Es war | |
schrecklich, die Explosionen und Schießereien zu hören“, sagt Siona Endale. | |
Betty lebt zu diesem Zeitpunkt in Kiew, sie drängt die Familie zur Flucht. | |
Die Eltern zögern zunächst. Sie leben seit Jahrzehnten in Charkiw, arbeiten | |
dort als Ärzt*innen. Sie haben bereits eine Migration hinter sich, für das | |
Medizinstudium wanderten sie von Äthiopien in die Ukraine aus. „Alles, was | |
unsere Eltern ihr Leben lang aufgebaut haben, wurde durch den Einmarsch der | |
russischen Armee zerstört“, sagt Betty. Als die Angriffe auf Charkiw immer | |
schlimmer werden, überzeugt schließlich Betty ihre Familie zu fliehen. Auch | |
ihr Vater kommt mit. Er ist zum Zeitpunkt seiner Flucht 60 Jahre alt und | |
muss deshalb nicht mehr im Land bleiben, um für die ukrainische Armee zu | |
kämpfen. „Er hatte vor Kurzem erst eine schwere Operation überstanden. Er | |
ist kein Soldat, er ist Arzt, ein gelehrter Mann, der noch nie in seinem | |
Leben eine Waffe gehalten hat. Wir hatten Glück, dass er schon 60 Jahre alt | |
war“, sagt Betty. | |
## „Selbst der Klang der Waschmaschine war unerträglich“ | |
„Der Bahnhof in Charkiw, an dem nur sechs Züge pro Tag Richtung Westen | |
abfahren, war so überfüllt, dass man nicht mal Platz hatte, um auf einem | |
Bein zu stehen“, erinnert sich Siona. „Alle haben gedrängelt und versucht, | |
in den Zug zu kommen, und gleichzeitig hat man im Hintergrund gehört, nicht | |
besonders weit weg, den andauernden Beschuss des Militärs.“ Betty, die sich | |
in Kiew befindet, bleibt die ganze Zeit am Telefon. „Meine Schwestern | |
sagten mir, sie passen nicht mehr in den Zug. Ich habe ihnen gesagt, dass | |
sie alles Erdenkliche tun sollen, um doch noch reinzukommen. Entweder jetzt | |
oder nie.“ [3][Viele ukrainische Menschen of Color erfuhren damals auf der | |
Flucht Rassismus], wurden zurückgedrängt, teilweise wurde ihnen der | |
Eintritt nach Polen verwehrt. Weitere Details über ihre Fluchterfahrungen | |
wollen die Schwestern auf Nachfrage nicht erzählen. | |
Die Familie wird schließlich in Deutschland vereint. Allerdings hat sich | |
Miriam, die mittlere Schwester, vorerst aus dem Musikgeschäft | |
zurückgezogen. Aus dem Trio Fo Sho ist vorerst ein Duo geworden. Miriam | |
möchte sich jenseits der Öffentlichkeit von Kriegserlebnissen erholen. | |
„Jede verarbeitet es anders“, sagt Betty. „Sie musste sich erst mal etwas | |
Zeit für sich nehmen.“ Auch für Siona und Betty war der Weg zurück zur | |
Musik nicht leicht. „Es gibt wahrscheinlich kaum etwas, das noch mehr | |
Stress verursacht als der Krieg,“ sagt Siona Endale. Fast zwei Monate habe | |
es gebraucht, bis sie wieder Musik hören konnten. „Selbst der Klang der | |
Waschmaschine war unerträglich für uns.“ | |
Die ersten zwei Monate in Deutschland sitzen die Schwestern Tag und Nacht | |
am Telefon, um die Nachrichten zu Hause zu verfolgen. Um Menschen, die in | |
der Ukraine zurückgeblieben sind, aus der Ferne zu unterstützen. Sie | |
organisieren Essen, helfen Menschen, deren Flucht zu organisieren, und | |
sammeln Spenden. | |
Im April, knapp zwei Monate nach Kriegsbeginn, stehen Siona und Betty dann | |
wieder auf der Bühne. Ihr erster Auftritt nach der Flucht ist ein | |
Solidaritätskonzert für die Ukraine in Amsterdam. „Wir können zwar nicht | |
vorne an der Front kämpfen, eine Waffe nehmen und schießen“, sagt Betty, | |
„aber wir können performen und darüber sprechen, was in unserem Land gerade | |
passiert.“ Die Schwestern haben mittlerweile eine eigene Hilfsinitiative, | |
mit der sie Spenden sammeln. Ihren Song „U CRY NOW“ widmeten sie ihrer | |
Heimat. Mit der ukrainischen Flagge im Rücken skandieren die Schwestern bei | |
ihren Konzerten „Slava Ukraini“ – „Ruhm der Ukraine“. | |
Demnächst soll ein neuer Song mit dem Titel „100 %“ erscheinen. „100 %�… | |
weil viele Menschen uns einfach nicht glauben wollen, dass wir | |
Ukrainerinnen sind“, sagt Betty Endale. „Auf unseren Konzerten kommen Leute | |
auf uns zu und fragen, ob wir die ukrainische Flagge dabeihätten, weil es | |
gerade ein Trend sei.“ Dann müssten sie erklären: „Nein, wir kommen | |
wirklich aus der Ukraine, wir sprechen Ukrainisch, wir sind dort geboren | |
und aufgewachsen. 100 %.“ | |
## Die Promis von Schwieberdingen | |
Auch in Deutschland werde den Schwestern abgesprochen, ukrainisch zu sein. | |
Viele glaubten nicht, dass es auch Schwarze Menschen in der Ukraine gebe. | |
„In der Ukraine wurden wir häufig verurteilt, aber in Deutschland ist es | |
nicht anders. Als Schwarze Ukrainerin musst du erst beweisen, dass du | |
wirklich ukrainisch bist. Manchmal müssen wir sogar unseren ukrainischen | |
Pass vorzeigen, damit die Menschen uns glauben. Wir sind ukrainisch, aber | |
wir sind auch äthiopisch und jüdisch.“ | |
Lange Zeit haben die Schwestern in der Ukraine verheimlicht, dass sie | |
jüdisch sind. „Als Schwarze Jüdin wirst du zu einer laufenden Zielscheibe | |
für Rassismus und Antisemitismus.“ Erst seit dem Ausbruch des Krieges | |
begannen sie öffentlich darüber zu sprechen, jüdisch zu sein. „Wir haben | |
beschlossen, dass es nichts gibt, vor wem oder was man sich verstecken | |
muss. Wer auch immer uns umbringen will, wird uns eines Tages sowieso | |
umbringen. Wir sind, was wir sind. Wenn jemand uns dafür hasst, dann hat | |
die Person ein Problem mit sich selbst. Wir sind stolz darauf, wer wir | |
sind, und wir werden uns nicht mehr verstecken.“ | |
Darüber singen sie in ihrem Song „XTRA“, der auf YouTube knapp 400.000-mal | |
aufgerufen wurde. „Menschen, die in keine Schublade passen, die mit etwas | |
Besonderem, Einzigartigen gesegnet sind, bezeichnen wir als XTRA.“ Und so | |
sehen auch einige Menschen die Schwestern in ihrem neuen Zuhause in | |
Schwaben. „Bei unserem letzten Interview, bei dem wir in Schwieberdingen | |
durch die Straßen gelaufen sind, kamen Jugendliche auf uns zu und haben | |
gefragt, ob wir Superstars sind“, sagt Betty Endale. | |
Tatsächlich sind die Schwestern auf dem besten Weg dorthin, welche zu | |
werden. Vorerst weiterhin nur zu zweit, aber in naher Zukunft wieder als | |
Trio, spielen sie mittlerweile auf den größten europäischen Festivals, wie | |
dem Sziget in Budapest. Sie touren derzeit durch Europa, spielen im | |
Dezember dann in New York. Dafür, dass sie nach jeder Tour ins beschauliche | |
Schwieberdingen zurückkehren können, seien sie dankbar, sagte Betty Endale. | |
„Nach dem Schrecken des Krieges können wir hier durchatmen, spazieren und | |
meditieren.“ | |
9 Oct 2022 | |
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## AUTOREN | |
Sonja Smolenski | |
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