# taz.de -- Experte über die Wahl in Niedersachsen: „Kalte FDP, warme AfD“ | |
> Nach der Klatsche in Niedersachsen stehen die Liberalen unter Druck. Hält | |
> die Ampel das aus? Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder sagt ja – | |
> mangels Alternativen. | |
Bild: Für die Liberalen lief es schon mal besser: FDP-Chef Christian Lindner a… | |
taz: Herr Schroeder, hält die Ampel bis 2025? Oder sind [1][die | |
Zentrifugalkräfte] zu stark? | |
Wolfgang Schroeder: Die FDP kann anders als 1982 in kein anderes Boot | |
umsteigen. Die CDU hat ihre Vergangenheit nicht aufgearbeitet und | |
gegenwärtig keinen Kandidaten, der das Vertrauen der Bevölkerung genießt. | |
Kurzum, es gibt aktuell keine Alternative zur Ampel. | |
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai klagt, man habe „nach wie vor große | |
Probleme mit der Ampel“. | |
Die FDP beharrt zu sehr [2][auf alten Positionen]. Nach dem 24. Februar ist | |
kein Weiter-so möglich. SPD und Grüne haben daher frühere Gewissheiten über | |
Bord geworfen, die SPD bei der Verteidigungspolitik, die Grünen bei AKWs | |
und Kohle. Die FDP macht das zwar implizit auch bei der Verschuldung. Aber | |
das reicht in dieser Lage nicht. | |
Welche Möglichkeiten hat die FDP? | |
Ich sehe drei Möglichkeiten. Erstens, weiter so und hoffen, dass man | |
irgendwie durchkommt. Oder zweitens, zu sagen: Wir werden in der Ampel über | |
den Tisch gezogen; was angesichts der vielen Positionen, die die FDP | |
durchsetzt, den Fakten widerspricht. Trotzdem: Rien ne va plus. | |
Die dritte Möglichkeit wäre, nicht nur pragmatisch und situationsbezogen zu | |
handeln, wie es Lindner derzeit tut, sondern zu signalisieren: Wir haben | |
verstanden. Nach dem 24.2 muss auch eine neokonservative, neoliberale | |
Partei temporär ganz anders handeln. Nur damit kann die FDP ihre | |
Stammklientel halten und neue Wähler gewinnen. | |
Ist das Problem der FDP, eine neoliberale Partei nach [3][dem Ende des | |
Neoliberalismus] zu sein? | |
Die FDP sollte anerkennen, dass es eines starken, handlungsfähigen Staates | |
bedarf. Wir leben in einer multiplen Krisen- und Kriegskonstellation, die | |
sich weniger über die Märkte regeln lässt. Anerkennt sie das nicht, wird | |
ihr vermutlich nur ihre neoliberale, konservative Stammklientel bleiben, | |
die aber teilweise anfällig für die AfD ist. | |
Denn die AfD kann Befürchtungen, die auch ein Teil der FDP-Anhänger | |
bewegen, besser mobilisieren. Im Gegensatz zur kalten FDP ist die AfD eine | |
warme Partei, die ein wärmendes Wir anbietet. Die Gefahr für die FDP sind | |
also weniger linke Positionen und Parteien, die Gefahr ist die AfD. | |
Gibt es in der FDP Köpfe, die neben dem Reflex, nun Opposition in der | |
Regierung zu spielen, strategische Konzepte entwickeln? | |
Es gibt Jüngere wie etwa Johannes Vogel oder Ria Schröder, die sich um eine | |
Versöhnung der FDP mit dem Sozialen bemühen. Aber ihr Einfluss auf den Kurs | |
der Partei scheint eher gering. Die FDP hat sich seit Westerwelle zu einer | |
fast willenlosen Führerpartei verengt. Das unterscheidet AfD und FDP. | |
Die AfD ist eher eine anarchisch-plurale Partei. In der FDP muss, wie man | |
bei Linda Teuteberg sehen konnte, abtreten, wer sich mit dem Chef anlegt. | |
Weil die FDP strukturell so stark auf die Person des Vorsitzenden | |
zugeschnitten ist, sind abweichende strategische Zugänge schwach | |
ausgeprägt. | |
Ist Niedersachsen eine Art Wiedergeburt der AfD im Westen? Oder war der | |
Erfolg situative Protestwahl? | |
Die These, dass die AfD ein Ostphänomen wird, war voreilig. Ihr Slogan bei | |
der Bundestagswahl „Deutschland, aber normal“ war ein Beispiel für | |
geglückte politische Kommunikation. Jetzt versucht die AfD, dieses Recht | |
auf Normalität gegen die komplexen Krisen in Anschlag zu bringen. Die | |
Ursache von Knappheit, Inflation, Krise sei nicht Putin, sondern Habeck. | |
Offen ist, ob die aktuelle Konstellation auch neue Perspektiven für die AfD | |
jenseits der völkischen, rechtsextremen Referenz ermöglicht. Es gibt ein | |
Potenzial von 15 bis 25 Prozent, das gegen die sogenannte grüne Ideologie | |
mobilisierbar ist. Die FDP dagegen, die früher auch gegen grüne Verbote | |
agitierte, kann das in der Koalition nicht mehr offensiv tun. | |
Die Ampel hat in Berlin Fehler gemacht. Die Gasumlage war ein unbrauchbares | |
Konzept, das nur langsam korrigiert wurde. Geht das auf Robert Habecks | |
Konto? | |
Habeck schien nach der Bundestagswahl über Wasser gehen zu können. Dem | |
Kanzler wurde in jeder Sekunde vorgehalten – schau her, so geht moderne | |
Krisenkommunikation. Es ist nicht so überraschend, dass dieser Zustand | |
nicht ewig anhalten konnte. Beim Handwerklichen fehlt es Habeck an | |
Erfahrung. Zudem wurde das Wirtschaftsministerium neu zugeschnitten. Die | |
Gasumlage war wegen der gewaltigen Mitnahmeeffekte für einzelne Konzerne zu | |
Lasten der Steuerzahler ein Sündenfall. Dass man eine Gaspreisbremse | |
braucht, war schon lange klar. | |
Andererseits ist die Regierung seit dem 24. Februar situationsbedingt in | |
einem komplexen Prozess von trial and error. Das muss man bei aller Kritik | |
berücksichtigen. | |
Also ein verständlicher Fehler? | |
Fehler sind bei einem so existentiellen Thema einerseits schlimm, | |
andererseits aber nachvollziehbar. Die Entscheidungen sollen ziel- und | |
wirkungsgenau sein, finden jedoch unter erheblichem Zeitdruck und bei | |
begrenzten Steuerungsmitteln statt. Bei der Gasumlage verschränkten sich | |
Politik- und Verwaltungsversagen. Die Verwaltung war nicht in der Lage, | |
schnell genug neue Instrumente und Szenarien zu präsentieren. Die Politik | |
konnte sich nicht schnell genug auf einen Plan B verständigen. | |
Was folgt daraus? | |
Wenn Habeck es mit der transparenten Kommunikation ernst meint, muss er | |
jetzt sagen: Ich werde die drei zentralen Fehler benennen, die zur | |
Gasumlage geführt haben. Habeck pflegt eine Rhetorik des Zweifels. Wenn das | |
mehr als nur eine Stilfigur sein soll, dann muss er die Fehlerkette | |
aufklären. Vor allem, um eine Wiederholung zu verhindern. Sonst ist die | |
Rhetorik des Zweifels nur wohlfeile Attitüde. | |
Die Ampel ist bald ein Jahr im Amt. Ist von dem Anspruch, | |
Fortschrittskoalition zu sein, noch etwas übrig? | |
Von Fortschritt ist nicht mehr viel zu sehen. Die Krise wird durch | |
Verteilen von Geld mit der Gießkanne gemeistert. Auch Leistungsträger | |
erhalten Kompensationen. Damit soll eine Legitimationskrise verhindert | |
werden – damit die Leute nicht sagen: Wir zahlen und kriegen nichts zurück. | |
Die Reproduktion der alten Normalität scheint mir das größte Problem der | |
Krisenlösungspolitik zu sein. Offenbar sind in diesem komplizierten | |
Dreierbündnis keine Modelle zur Lösung der Krise möglich, die den | |
Fortschrittsanspruch einlösen. Die Ampel hat keine den multiplen Krisen | |
angemessene Rhetorik, Gesetzgebung und Administration. | |
Also Politikverwaltung wie bei Merkel? Angela Scholz? | |
Scholz' Rolle ist es, den Laden zusammenzuhalten. Er vermeidet alles, was | |
die Koalitionspartner verletzen könnte. Natürlich könnte er kommunikativ | |
klarer und bildhafter sprechen, darüber hinaus begrenzt diese Rolle aber | |
seine Möglichkeiten. Er ist weder Sprinter noch Mittelstreckenläufer, | |
sondern ein Langstreckenläufer. Zugleich verzichtet er auf das heroische | |
Momentum, dafür Dosierung für morgen und übermorgen. | |
Scholz setzt auf einen rhetorischen Minimalismus, der sich auf die Fakten | |
beschränkt, um sich längerfristig zu verankern. Dabei spielt auch die | |
Hoffnung eine Rolle, dass sich die Bevölkerung an seinen Stil gewöhnt. | |
12 Oct 2022 | |
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Stefan Reinecke | |
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