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# taz.de -- Kanzler Scholz vor UN-Vollversammlung: Recht vor Gewalt
> Als „Akt der Verzweiflung“ bezeichnet der Kanzler Putins neueste
> Drohungen. Auch Biden und Macron stellen klar: Sie stehen hinter der
> Ukraine.
Bild: Bundeskanzler Olaf Scholz mit einem Exemplar der UN-Charta am 22. Septemb…
New York taz Teilmobilmachung – dieses Wort geisterte schon am Dienstag
durch die Reihen der Delegationsteilnehmer:innen, die mit Bundeskanzler
Olaf Scholz zur UN-Generalversammlung nach New York gereist waren.
Eigentlich war die Rede des russischen Präsidenten schon am Dienstagabend
erwartet worden.
Hätte Putin sich an diesen Zeitplan gehalten, wäre die Rede des deutschen
Bundeskanzlers vor der Staatengemeinschaft sicher eine andere gewesen.
Putin entschied sich für den Mittwochmorgen und Scholz holte um acht New
Yorker Ortszeit in einem Park unter Platanen nach, was er sonst vielleicht
zwölf Stunden zuvor in der Versammlungshalle unter dem UN-Logo gesagt
hätte.
„Die jüngsten Entscheidungen der russischen Regierung sind ein Akt der
Verzweiflung“, sagte Scholz. „Russland kann diesen Krieg nicht gewinnen.“
Und mit den jüngsten Entscheidungen mache Putin alles noch viel schlimmer.
„Die jetzt angekündigten Scheinreferenden werden niemals akzeptiert“, sagte
Scholz mit finsterem Blick. Weder vom ukrainischen Volk, aber auch nicht
von der Weltgemeinschaft. „In der Welt, in der wir leben, muss das Recht
über die Gewalt siegen, aber nicht die Gewalt stärker sein als das Recht.“
So steht es sinngemäß auch in der [1][Charta der Vereinten Nationen], die
die Gründungmitglieder, darunter die Sowjetunion, nach dem Ende des Zweiten
Weltkriegs in San Francisco unterzeichneten. Auch Russland, das sich als
Nachfolger der SU sieht, bekennt sich offiziell zur Charta, die russische
Flagge ist eine von 193, die in diesen Tagen auf der United Nations Plaza
wehen.
## Westen verurteilt Russland
In dieses Treffen der Weltgemeinschaft hinein platzte erst die Nachricht
über die [2][bevorstehenden „Referenden“] in den sogenannten
Volksrepubliken Luhansk und Donezk und am Mittwoch der Erlass zur
Teilmobilmachung in Russland. Der Krieg in der Ukraine war aber auch ohne
die neuen Hiobsbotschaften eines der bestimmenden Themen auf der 77.
Generalversammlung.
Auch Scholz, der zuvor am Dienstagabend um 20.30 Uhr New Yorker Zeit ans
Pult trat, nutzte die Weltbühne, um den russischen Krieg, wie schon
zahlreiche Vorredner:innen, zu verurteilen: „Das ist blanker
Imperialismus“. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hatte
diesen Begriff in seiner Rede an die Welt gebraucht.
Der amerikanische Joe Biden warf Russland mit seinem „brutalen, unnötigen
Krieg“ eine schamlose Verletzung der UN-Charta vor. Die Ankünding der
Einberufung neuer Soldaten für diesen Krieg und auch die angekündigten
Scheinreferenden stellten eine weitere schwerwiegende Verletzung der
Prinzipien der Charta dar. Biden stellte klar: „Niemand hat Russland
bedroht.“ Putin wolle das Recht der Ukraine als Staat zu existieren
auslöschen. „Wo immer ihr lebt und woran ihr glaubt, dass muss Euch das
Blut in den Adern gefrieren lassen“, wandte sich Biden an die
Vertreter:innen der Staaten im Saal.
Biden betonte auch die 25 Milliarden Dollar an Militärhilfe. Man werde
Russland für die Verbrechen in der Ukraine zur Rechenschaft ziehen. Auch
Scholz hatte mit leiser Stimme verkündet, man unterstützte die Ukraine
dabei mit aller Kraft: finanziell, wirtschaftlich, humanitär und [3][auch
mit Waffen].
Doch es gibt Zweifel, ob Deutschland die Ukraine militärisch tatsächlich
mit aller Kraft unterstützt. Deutschland ist der zweitgrößte Geldgeber der
UN, und die Rufe, sich gemäß seiner Wirtschaftsgröße als politische, aber
auch als militärische Führungsmacht zu engagieren, mehren sich. Die
US-amerikanische Botschafterin in Berlin, Amy Gutman, hatte in der
vergangenen Woche Deutschland für seine Unterstützung der Ukraine gelobt,
aber auch den zarten Hinweis gegeben, dass sich die USA eine noch größere
Führungsrolle von Deutschland erwarteten.
## Ruhepuls: intakt
Scholz bezog das freilich im [4][Interview mit dem Deutschlandfunk] am
Wochenende nicht auf die vieldiskutierte Lieferung von Schützen- und
Kampfpanzern. Begründung: Andere Länder, zuvörderst die USA, liefern auch
keine, wir machen keine Alleingänge.
Die Union forderte nun erneut, dass Scholz seine Zurückhaltung aufgebe. „Es
ist höchste Zeit, dass Deutschland endlich den entscheidenden Schritt geht
und Kampf- und Schützenpanzer westlicher Bauart liefert“, so der
stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Johann
Wadephul, am Mittwoch: „Das Material steht bereit, andere Allianzpartner
würden umgehend folgen.“
Doch eine solche prompte Reaktion auf die russischen Teilmobilmachung ist
eher unwahrscheinlich. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gab am
Mittwoch die Parole aus: Wir bleiben ruhig.
Auch der Ruhepuls des Kanzlers ist intakt. Zumal der Druck auf ihn, endlich
die von der Ukraine begehrten Panzer zu liefern, in New York deutlich
schwächer ist als in Berlin. Eine größere Rolle spielte in der
UN-Generalversammlung vielmehr ein anderes Thema, das direkt mit dem Krieg
zusammenhängt: die westlichen Sanktionen gegen Russland.
## Krieg der Narrative
Kaum ein Land des Globalen Südens trägt sie mit. Dort herrscht die
Auffassung: Das ist euer Konflikt. Löst ihn. Die Folgen bekommen die
Schwellen- und Entwicklungsländer ja dennoch zu spüren: steigende
Energiepreise, überteuerte Lebensmittel. Und die russische Erzählung, der
Westen mit seinen Sanktionen sei schuld daran, verfängt.
Es ist auch ein Krieg der Narrative. Scholz ging in New York rhetorisch in
die Offensive: „Nicht ein Sack Getreide wurde aufgrund dieser Sanktionen
zurückgehalten.“ [5][Russland allein habe die ukrainischen Getreideschiffe]
am Auslaufen gehindert.
Doch der Kanzler weiß auch: Mit warmen Worten lassen sich die Länder des
Südens nicht abspeisen, es geht darum, Vertrauen zurückzugewinnen. Noch
bevor er in der Generalversammlung sprach, redete der Kanzler am Dienstag
auf einem Gipfel zur Ernährungssicherheit, den der Vorsitzende der
Afrikanischen Union, der senegalesische Präsident Macky Sall, einberufen
hatte.
Scholz erinnert daran, dass Deutschland seinen Beitrag für
[6][Ernährungssicherheit verdoppelt] habe und in diesem Jahr 4 Milliarden
Euro zur Verfügung stellt. Dennoch: Bei 345 Millionen Hungernden weltweit
reicht das bei Weitem nicht. Zumal der Ukrainekrieg die Hungerkrisen nur
verschärft hat, die Zahl der Hungernden steigt seit mehreren Jahren. Der
entscheidende Treiber ist der Klimawandel, mit Dürre, Hitzewellen und
Überflutungen.
21 Sep 2022
## LINKS
[1] https://unric.org/de/charta/
[2] /Russland-beruft-Volksabstimmung-ein/!5883002
[3] /SPD-Aussenexperte-ueber-Waffenlieferungen/!5882055
[4] https://www.deutschlandfunk.de/bundeskanzler-olaf-scholz-spd-102.html
[5] /Getreideexporte-der-Ukraine/!5880891
[6] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/nachhaltigkeitspolitik/ernaeh…
## AUTOREN
Anna Lehmann
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