# taz.de -- Neuwahlen in Berlin: Demokratische Rutschpartie | |
> In Berlin muss wohl die Wahl von Bundestag und Abgeordnetenhaus | |
> wiederholt werden. Das könnte massive Folgen haben. | |
Bild: Viel zu viel: Vier Abstimmungszettel an einem Tag – Berliner Wahllokal … | |
Vor wenigen Tagen liefen Tausende von Menschen in Leibchen durch Berlin – | |
[1][es war Marathon]. Mein erster Reflex: Himmel, sie werden doch heute | |
nicht sonst noch etwas Großes veranstalten wollen, Wahlen etwa? | |
Vor einem Jahr fanden am Tag des Berlin-Marathons Wahlen statt – die | |
Bundestagswahl, die Wahl zum Abgeordnetenhaus (das hiesige Landesparlament) | |
und zu den Bezirksparlamenten (eine Ebene drunter). Dazu gab’s noch ein | |
Volksbegehren. Dem Marathon hat das nicht geschadet, den Wahlen schon. | |
Deshalb müssen Letztere nun wiederholt werden. So jedenfalls hat es [2][das | |
Berliner Landesverfassungsgericht] bei der Verhandlung diese Woche in | |
Aussicht gestellt. | |
Überrascht schienen davon nicht nur die rot-grün-roten Regierungsparteien | |
zu sein. Nun sind viele Berliner PolitikerInnen wirklich gut darin, Dinge | |
zu ignorieren, die nicht klappen oder nicht klappen könnten. Anders lässt | |
es sich sowieso nicht erklären, dass Wahlleitung und Innenbehörde den | |
Herausforderungen des Wahltags, sagen wir: so gelassen entgegenblickten. | |
So hatte offenbar niemand gedacht, dass die WählerInnen angesichts der | |
Vielzahl und des Ausmaßes der Wahlzettel in den Kabinen ins Grübeln geraten | |
könnten. Das hatte unter Coronabedingungen zur Folge, dass sich vor den | |
Wahllokalen lange Schlangen bildeten. Außerdem aber gab es zu wenige | |
Wahlzettel – wobei besser von Wahlpapyrusrollen zu sprechen wäre. Um | |
Nachschub zu holen, wurden Boten losgeschickt, doch ach, sie kamen nirgends | |
durch – der Marathon! –, sie kamen zu spät, weshalb mancherorts die | |
Kopierer angeworfen wurden (verboten) und vielerorts die 18-Uhr-Grenze | |
gerissen wurde (auch problematisch). | |
## Geschrumpfte Freude | |
Meine Freundin war Wahlhelferin und berichtete von kommunikativen | |
Ausschreitungen im Wahllokal. Co-Helferinnen hätten zu entrinnen versucht – | |
Kind allein daheim etc. –, doch der überforderte Wahllokalleiter habe | |
schreiend Bußgelder angedroht. Ihre Wahlhelferinnenfreude dürfte arg | |
geschrumpft sein. | |
Zu niedlich, wie nun die PolitikerInnen der rot-rot-grünen Koalition sich | |
gegenseitig dazu aufrufen, es gebe so viel zu tun, man möge bitte nicht | |
sofort in den Wahlkampfmodus verfallen. Die regierende Bürgermeistern | |
Franziska Giffey von der SPD hat im Laufe des Jahres ohnehin schon Federn | |
gelassen. | |
Doch auch die Linkspartei kann sich ausrechnen, dass die Sache für sie | |
nicht gut ausgeht. Zumal ja auch noch eine Wiederholung der Bundestagswahl | |
in Berlin droht, worüber freilich die Ampelkoalition entscheidet. Zur | |
Erinnerung: Die Linke sitzt überhaupt nur wegen der Berliner Direktmandate | |
im Bundestag. Werden Berliner Mandate neu vergeben, könnten noch ganz | |
andere Dinge ins Rutschen geraten. | |
Man möge aus Rücksicht auf die demokratische Gesamtlage nicht zu harsch mit | |
Berliner Umständen ins Gericht gehen, kritisierten WahlanalystInnen diese | |
Woche das Landesverfassungsgericht. Es war eine Variante des | |
Too-big-to-fail-Arguments: Wer jetzt die Wahlen komplett wiederholen lasse, | |
riskiere zu viel – auch, dass die Leute das Wählen nicht mehr ernst nähmen. | |
Mein Gegenvorschlag wäre, Wahlen so auszurichten, dass man sie auch ernst | |
nehmen kann. Dann klappt das auch mit der Legitimität. | |
1 Oct 2022 | |
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[1] /Plastikmuell-beim-Berlin-Marathon/!5880126 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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