# taz.de -- Nonconsensual Porn: Ohne Zustimmung | |
> Bei bildbasierter sexueller Gewalt werden Bilder und Videos ohne | |
> Einwilligung verbreitet. Betroffene werden rechtlich oft alleingelassen. | |
Bild: Auf vielen Pornoseiten gibt es die Genres „non-consensual“, „reveng… | |
Zunächst dachte Judith, es sei ja gar nicht so schlimm. Die Fotos, die | |
jemand von ihr auf der Pornoplattform xHamster hochgeladen hatte, zeigen | |
sie alle angezogen. Harmlose Bilder, teilweise von ihr selbst bei Facebook | |
gepostet. Judith heißt in Wirklichkeit anders, möchte aber lieber anonym | |
bleiben. Die Dimension des Geschehens wird ihr erst durch andere betroffene | |
Frauen bewusst. Sie wird eingeladen in eine Whatsapp-Gruppe, in der in | |
Laufe weniger Tage rund 50 vom selben mutmaßlichen Täter betroffene Frauen | |
zusammenfinden. Die meisten kennen sich aus der Leipziger Partyszene, | |
identifizieren weitere Frauen auf den Bildern und informieren sie. | |
Unter den Fotos sind auch intime Aufnahmen, auf denen Brüste, Po und | |
Genitalbereich von Frauen zu sehen sind. Eine wurde bei einer Übernachtung | |
abgelichtet. Der Urheber des Fotos hatte ihr die Decke weggezogen und ihren | |
entblößten Genitalbereich fotografiert. Später stellt sich heraus: Diese | |
Frau wurde von ihm missbraucht. Doch auch die Fotos bekleideter Frauen auf | |
dieser Seite sind ein Angriff. Häufig finden sich darunter obszöne | |
Kommentare voller Gewaltfantasien, teilweise stehen Name und Adresse dabei: | |
„Diese Nutte würde sich über einen Besuch freuen.“ | |
Was den Frauen der Leipziger Initiative „[1][Our bodies, not yours]“ | |
geschehen ist, ist eine Form von bildbasierter sexueller Gewalt. Unter | |
diesem Sammelbegriff versteht man das Aufnehmen, Erstellen oder Verbreiten | |
intimer oder sexueller Bilder und Videos ohne Zustimmung, sowie die | |
Androhung der Verbreitung. Beim Verbreiten persönlicher Bilder im | |
pornografischen Kontext geht es nicht nur um intime Bilder. | |
Die Verwendung des Gewaltbegriffs ist unter Jurist:innen umstritten. | |
Nach streng juristischer Auffassung muss es sich bei Gewalt um einen | |
unmittelbar körperlichen Eingriff handeln. Dennoch wird die Bezeichnung | |
auch von vielen Jurist:innen befürwortet, weil sie den Schaden für | |
Betroffene besser fasse, die mit anderen Formen sexueller Gewalt | |
vergleichbar sind. Bekannt ist eher der Ausdruck „[2][Racheporno]“. | |
Er greift jedoch zu kurz, handelt es sich dabei nur um eine von vielen | |
Formen bildbasierter sexueller Gewalt. Auch das sogenannte Upskirting und | |
andere „Creepshots“ zählen dazu, also heimlich aufgenommene Bilder „unte… | |
Rock“ oder [3][etwa vom Ausschnitt]. Am extremsten für betroffene Frauen | |
ist die Herstellung und Weitergabe von Aufnahmen sexueller Übergriffe. | |
Das Tatmotiv ist häufig nicht Rache, sondern schlicht sexuelle | |
Befriedigung, finanzieller Gewinn oder ein Macht- und Kontrollbedürfnis. | |
Auf vielen Pornoseiten gibt es eigene Genres namens „non-consensual“, | |
„revenge porn“ oder „hidden camera“. | |
In den USA verschaffte schon 2011 die Debatte um die Pornoseite „[4][Is | |
Anyone Up!?]“ dem Phänomen „Racheporno“ größere Aufmerksamkeit. In | |
Deutschland taucht das Thema erst seit wenigen Jahren in der breiteren | |
Öffentlichkeit auf. 2019 hatte [5][Anna Nackt], die unter diesem Pseudonym | |
mittlerweile anderen Betroffenen hilft, intime Fotos von sich auf xHamster | |
entdeckt. Anfang 2020 hatte das Investigativ-Team des Funkformats [6][STRG | |
F aufgedeckt], dass ein Mitarbeiter des Festivals Monis Rache Spannervideos | |
von Frauen auf Dixi-Klos gemacht und die Aufnahmen veröffentlicht hatte – | |
ebenfalls auf xHamster. | |
## Oft werden Betroffene auch gedoxxt | |
Die Plattform war unter Usern lange bekannt als die Seite für | |
Amateurpornovideos. In Deutschland wird sie 1,3 Milliarden Mal im Monat | |
besucht und hat damit ein höheres Nutzeraufkommen als Netflix oder PayPal. | |
Den Leipziger Frauen ist schnell klar, wessen xHamster-Profil es ist, von | |
dem aus über 1.000 Fotos von ihnen hochgeladen wurden. Einige der | |
Betroffenen kennen ihn nur flüchtig von Partys, bei denen er als DJ | |
auflegte. Andere waren gut mit ihm befreundet oder liiert, mit einer von | |
ihnen ist er aufgewachsen, hat Weihnachten mit ihrer Familie gefeiert. Der | |
Schock ist nachhaltig. Manche Betroffene haben das Gefühl, insbesondere | |
Männern nicht mehr trauen zu können. | |
Eine Betroffene konnte zeitweilig nicht mehr zu Hause wohnen, weil ihre | |
Adresse veröffentlicht wurde. „Einige von uns haben sich nicht mehr alleine | |
aus dem Haus getraut, sich paranoid gefühlt in der Öffentlichkeit, eine war | |
arbeitsunfähig“, berichtet Judith. Dass die Gruppe einander hat, ist die | |
positive Seite der Medaille. Diese kollektive Kraft bezeichnet Judith als | |
„Superpower“. | |
Fälle bildbasierter sexueller Gewalt strafrechtlich zu verfolgen, ist nicht | |
einfach. „Im geltenden Recht ist das Problem absolut unterbelichtet“, sagt | |
Juristin Anja Schmidt von der Uni Halle. Sie leitet ein Forschungsprojekt | |
zum Thema [7][Pornografie und sexuelle Selbstbestimmung]. Wenn es um | |
Straftaten im Internet geht, hinke die veraltete Gesetzeslage der digitalen | |
Realität hinterher. Und generell fehle es in Strafverfolgungsbehörden an | |
Wissen. Deshalb würden Fälle oft auch bagatellisiert, ihre Ermittlung | |
eingestellt. | |
Bei [8][Kinder- und Jugendpornografie] ist die Strafbarkeit umfassend | |
geregelt: Herstellung, Verbreitung, Besitz und Abruf sind verboten. In | |
Bezug auf die Wiedergabe von Erwachsenen gelte das nicht, erklärt Schmidt. | |
Regelungen seien in unterschiedliche Rechtsbereiche verteilt und | |
lückenhaft. So greift das Verbot der „Verletzung des höchstpersönlichen | |
Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen“ gemäß | |
Paragraf 201a Strafgesetzbuch nur, wenn eine Person fotografiert wird, die | |
sich in einem gegen Einblicke geschützten Raum befindet, beispielsweise in | |
einer Wohnung, und wenn die Aufnahme den höchstpersönlichen Lebensbereich | |
der Person verletzt, beispielsweise durch Nacktheit oder erkennbare | |
sexuelle Handlungen. | |
Umstritten ist seine Geltung, wenn eine Person zum Beispiel in einer | |
öffentlichen Dusche gefilmt wurde, wie es gelegentlich bei Festivals | |
passiert ist. Nicht geregelt sind Fälle, in denen die betroffene Person | |
bekleidet ist und lediglich der Kontext das Bild sexualisiert. | |
Die meisten Straftatbestände, die sich auf Fälle von bildbasierter | |
sexueller Gewalt anwenden lassen, befinden sich laut Dr. Anja Schmidt | |
außerhalb des Sexualstrafrechts. Häufig komme der allgemeine Schutz am | |
eigenen Bild aus dem Kunst-Urhebergesetz zum Tragen, was mit einem | |
unangemessen geringen Strafmaß einhergehe. „Wenn eine Aufnahme auf einer | |
Pornoseite hochgeladen wird, ist aber weit mehr verletzt als das Recht am | |
eigenen Bild“, betont Schmidt. | |
## Vor allem Frauen sind betroffen | |
Viele [9][Frauenberatungsstellen] sehen das Hauptproblem nicht in erster | |
Linie in Gesetzeslücken, sondern darin, dass Polizei und Justiz für das | |
Thema nicht sensibilisiert sind. „Meistens kommen Betroffene gar nicht an | |
den Punkt, wo wir evaluieren können, ob das materielle Recht ausreichend | |
ist, weil auf dem Weg dahin schon so viele Fallstricke sind“, so Kerstin | |
Demuth vom Bundesverband der [10][Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe | |
in Deutschland]. Frauen machten die Erfahrung, nicht ernst genommen zu | |
werden, wenn sie Anzeige erstatten wollen. Sie würden etwa gefragt, warum | |
sie einem Täter überhaupt intime Aufnahmen geschickt hätten, sodass die | |
Verantwortung für die Tat den Betroffenen statt den Tätern zugeschoben | |
würde. | |
Forschungen über das Ausmaß nicht einvernehmlicher Inhalte im Internet sind | |
spärlich. Eine im Jahr 2020 erschienene [11][Studie eines Netzwerks] von | |
Juristinnen und Kriminologinnen aus dem angelsächsischen Raum stellt | |
empirisch fest: Jede dritte der befragten Personen hat mindestens eine Form | |
bildbasierter sexueller Gewalt erfahren und jede fünfte zumindest eine | |
Androhung der Verbreitung von Aufnahmen. Der Studie liegt eine Umfrage mit | |
über 6.000 Befragten aus drei Ländern zugrunde. | |
In einem Gutachten von Forscherinnen desselben Netzwerks heißt es, | |
betroffen seien unverhältnismäßig viele Frauen und Mädchen. Alle | |
berichteten laut der Studie von erheblichen lebensverändernden bis | |
-bedrohlichen psychologischen und physischen Schäden. Bei den Tätern | |
handele es sich überproportional um Männer. | |
Im Fall der Leipzigerinnen liegt inzwischen eine Anklageschrift vor. | |
Berücksichtigt wurden die Fälle von fünfzehn der Frauen. Dem mutmaßlichen | |
Täter wird [12][sexueller Missbrauch] einer widerstandsunfähigen Person, | |
die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, | |
Beleidigung und unerlaubtes Verbreiten von Bildnissen vorgeworfen. | |
Von der Anklageerhebung erfuhren die Leipziger Frauen erst fast zwei Jahre | |
nach ihrer Anzeige und erst im Zuge der Recherchen für diesen Artikel. Auch | |
kam eine zwischenzeitliche Hausdurchsuchung beim mutmaßlichen Täter erst | |
zustande, nachdem eine Betroffene die Polizei anrief, als der Beschuldigte | |
gerade online war und die Frau der Polizei mitteilte, dass auch | |
Minderjährige auf den Bildern zu sehen seien. | |
Wegen der Überlastung der Justiz seien ein bis zwei Jahre für die | |
Ermittlung solcher Fälle die Regel, sodass Verfahren bis zu einer | |
rechtskräftigen Verurteilung der Täter drei bis vier Jahre dauern könnten, | |
sagt Nadine Maiwald, die Anwältin der Betroffenen. „Das führt zu | |
Verzögerungen der Verfahren, die für alle Betroffenen mittlerweile | |
unzumutbar werden.“ | |
Für die betroffenen Frauen, deren Fall nicht in die Anklage mit aufgenommen | |
wurde, bleibt die Frage offen, ob und wie sie sich nach derzeitig geltender | |
Gesetzeslage erfolgreich juristisch wehren können. | |
Anmerkung der Redaktion: | |
Die Hammy Media Ltd lässt uns wissen, dass xHamster im Dezember 2020 einen | |
Verifizierungsprozess sowohl für den Hochladenden als auch für das | |
hochgeladene Material eingeführt hat. Spätestens seitdem sei das Problem | |
von „nonconsensual porn“ auf xHamster nicht mehr vorhanden. | |
28 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.ourbodiesnotyours.com/was-passiert-ist/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Racheporno | |
[3] /Zauber-und-Gefahr-von-Deepfakes/!5600572 | |
[4] /Doku-zu-Nonconsensual-Porn/!5870188 | |
[5] /Unfreiwillig-intime-Fotos-im-Netz/!5738064 | |
[6] https://www.youtube.com/watch?v=nGldiXxljhQ | |
[7] https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/386171237?context=projekt&task=sho… | |
[8] /Kampf-gegen-sexuelle-Gewalt-an-Kindern/!5856085 | |
[9] /Ein-Jahr-Corona-in-Berlin/!5753659 | |
[10] /Digitale-Gewalt-gegen-Frauen/!5813914 | |
[11] https://www.routledge.com/Image-based-sexual-abuse-A-study-on-the-causes-a… | |
[12] /Sexualisierte-Gewalt-im-Sport/!5880194 | |
## AUTOREN | |
Clara Engelien | |
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