| # taz.de -- Unfreiwillig intime Fotos im Netz: Wenn die Bilderlawine rollt | |
| > Eine Frau entdeckt Nacktfotos von sich auf der Pornoplattform xHamster. | |
| > Sie ist eine von vielen Betroffenen digitaler sexualisierter Gewalt. | |
| Bild: Eine von 12 Personen ist in ihrem Leben einmal von digitaler sexualisiert… | |
| Es ist März 2019, als Anna Nackt – die heute als Aktivistin unter diesem | |
| Pseudonym tätig ist – intime Fotos von sich auf der Pornoplattform xHamster | |
| entdeckt. Es sind Nacktbilder und Screenshots von ihrem Facebook-Account, | |
| versehen mit ihrem Namen und ihrem Wohnort. Als sie davon erfährt, sind die | |
| Bilder längst nicht mehr nur auf Deutschlands meistbesuchter Pornoseite, | |
| sondern auch auf anderen Plattformen verbreitet. | |
| Anna Nackt, die auch hier im Text unter ihrem Pseudonym spricht und | |
| [1][eine gleichnamige Hilfeplattform] gegründet hat, ist nur eine von | |
| vielen Betroffenen digitaler sexualisierter Gewalt – sie will dagegen | |
| kämpfen. Doch die juristischen Möglichkeiten in Deutschland, dagegen | |
| vorzugehen, sind gering. Eine von 12 Personen ist in ihrem Leben einmal von | |
| dieser Gewaltform im Netz betroffen, es sind mehr Frauen als Männer. Der | |
| Täter ist in den meisten Fällen männlich. Dies geht aus einer [2][Studie | |
| der American Psychologial Assciation unter Facebook-User*innen von 2020 | |
| hervor]. Die Wege, wie Täter*innen an die Bilder kommen, sind | |
| unterschiedlich. | |
| Mal sind es Ex-Partner*innen, die die Bilder veröffentlichen, mal gelangen | |
| sie durch Hacks in die Hände von Täter*innen, oder werden von privaten | |
| Profilen heruntergeladen. Sogenannte Exposer Networks verbreiten dann die | |
| intimen Bilder weiter, indem sie sie laufend von einer Plattform | |
| herunterladen und auf einer neuen wieder hochladen. Dadurch entsteht eine | |
| Bilderlawine, die kaum aufzuhalten ist. Etwas weniger als 24 Stunden | |
| nachdem Anna Nackt sich bei xHamster meldet, sind ihre Fotos von der Seite | |
| verschwunden, doch eine Antwort auf ihre Kontaktanfrage bekommt sie nie. | |
| Die Löscharbeiten übernehmen zu diesem Zeitpunkt ehrenamtliche User*innen, | |
| die die gemeldeten Fotos überprüfen. Unabhängig davon, ob es sich bei den | |
| Dargestellten um Minderjährige, es sich um unerlaubte Fotos oder reale | |
| Gewalt handelt. Mit Hilfe eines Handbuches sollen die User*innen | |
| entscheiden können, ob es sich beispielsweise um „echte“ oder „gefakte“ | |
| Tränen handelt, die auf dem Bild zu sehen sind. Ob also reale oder | |
| gespielte Gewalt stattgefunden hat. Das geht [3][aus einer | |
| Investigativrecherche der Vice hervor], bei der zwei Journalist*innen in | |
| solch einem Löschteam inkognito mitgearbeitet haben. | |
| ## Rechtlich ist das Vorgehen korrekt | |
| Die Löscharbeiter*innen konnten bis kurz vor Weihnachten 2020 auch nicht | |
| der Frage nachgehen, wer die Fotos hochgeladen hat, denn bis zu diesem | |
| Zeitpunkt konnte man anonym Uploads auf xHamster durchführen. Einen Schritt | |
| weiter ging Pornhub: Nachdem Visa und Mastercard [4][aufgrund einer | |
| Recherche der New York Times ] die Zahlungsabwicklung mit der Plattform | |
| einstellten, blockierte Pornhub Mitte Dezember alle Inhalte, die von | |
| anonymen User*innen hochgeladen wurden. | |
| Rechtlich gesehen ist das Vorgehen von xHamster, Inhalte erst zu löschen, | |
| wenn sie überprüft wurden, korrekt. Plattformen können in Deutschland erst | |
| dann für die Inhalte haftbar gemacht werden, wenn sie gemeldete Inhalte | |
| nicht überprüfen und Illegales nicht löschen. Das Prinzip heißt „Notice a… | |
| Takedown“. Für Betroffene bedeutet es, dass ihre Bilder nach dem Entdecken | |
| noch solange online zugänglich sind, bis die Prüfung abgeschlossen ist. | |
| ## Sie startet die Petition #NotYourPorn | |
| Anna Nackt sieht das Problem deswegen in der Gesetzgebung und fordert in | |
| ihrer [5][im Oktober gestarteten Petition #NotYourPorn], dass Betroffene | |
| besser geschützt werden müssten. Handlungsbedarf sieht sie im Strafrecht, | |
| bei der Sensibilisierung von Polizei und Justiz und beim NetzDG. | |
| 2018 eingeführt, soll das NetzDG im Umgang mit Hasskriminalität und anderen | |
| strafbaren Inhalten helfen. So müssen Plattformen alle drei Monate einen | |
| Straftatenbericht einreichen und Ansprechpartner*innen sowohl für | |
| Betroffene als für Ermittlungsbehörden anbieten. Doch das Problem ist: | |
| Pornoplattformen fallen nicht unter das NetzDG. Denn das gilt erst für | |
| Plattformen mit zwei Millionen registrierten User*innen in Deutschland, was | |
| bislang keine Pornoplattform vorweisen kann. | |
| ## Das NetzDG hilft bei Pornos kaum | |
| Zudem ist ein Grund, dass dort „spezifische“, also pornografische Inhalte | |
| verbreitet werden. Nackt fordert, dass das NetzDG angepasst wird. | |
| [6][Christin Laxa, Medienrechtsanwältin in der Kanzlei Buse Herz Grunst] | |
| zweifelt, ob solch eine Änderungen umgesetzt wird. Vor allem, weil das | |
| NetzDG für Straftaten geschaffen wurde, die auf Pornoplattformen kaum | |
| vorkommen, wie Volksverhetzung, Bedrohungen und Vorbereitungen eines | |
| Terroranschlags. | |
| Ein anderer Weg wäre es, Pornoplattformen dazu zu verpflichten, Bilder und | |
| Videos zu prüfen, bevor sie veröffentlicht werden. Das fordert nicht nur | |
| Anna Nackt in ihrer Petition, die mittlerweile fast 65.000 Unterschriften | |
| aufweist, sondern auch die [7][Beratungsstelle HateAid] und die | |
| Macher*innen der [8][Gesichtserkennungssoftware Am I in Porn]. Da | |
| Upload-Filter jedoch eine Overblocking-Gefahr bergen, scheint das auch | |
| keine Lösung zu sein. Eine Datenbank könnte den Mittelweg darstellen. | |
| ## Gesetzliche Regelung unwahrscheinlich | |
| In dieser könnten sogenannte Hashs von Bilder gesammelt werden, eine Art | |
| digitaler Fingerabdruck. Neu hochgeladene Bilder und Videos – nicht jedoch | |
| wie bei einem Upload-Filter Videos, die noch gar nicht online sind – können | |
| so direkt nach der Veröffentlichung überprüft und gegebenenfalls wieder | |
| gelöscht werden. | |
| Schon seit mehreren Jahren werden diese Hash-Datenbanken von Plattformen | |
| wie Facebook oder Youtube genutzt, um etwa terroristische Aufnahmen | |
| schneller zu finden. Auch das Unternehmen MindGeek, zu dem große | |
| Pornoplattformen wie Pornhub und YouPorn gehören, nutzt eine solche | |
| Technologie, um zu verhindern, dass bereits entferntes Material wieder | |
| hochgeladen wird. Doch dass hier eine gesetzliche Regelung in Kraft tritt, | |
| hält Laxa für unwahrscheinlich. | |
| ## Der Facebook-Account als Seismograf | |
| „Wenn eine Verletzung vorliegt, kann man es den Betroffenen aus Sicht des | |
| Gesetzgebers zumuten, dass sie sich beim Plattformbetreiber melden“, sagt | |
| sie der taz. Doch dafür müssen Betroffene erst mal von den Re-Uploads | |
| erfahren. Anna Nackt nutzt deswegen ihren Facebook-Account als | |
| Seismografen, der anhand von Dickpics, Beschimpfungen, | |
| Vergewaltigungsfantasien ausschlägt, wenn ihre Bilder wieder mal | |
| veröffentlicht wurden. | |
| Die Bundesregierung weiß nicht viel mit dem Begriff „digitale Gewalt“ | |
| anzufangen: 2018 musste sie zugeben, dass sie noch keine Definition des | |
| Begriffes hat. Taten wie die gegen Anna Nackt werden aktuell juristisch | |
| anders behandelt als analoge Gewalttaten – obwohl auch sie weitreichende | |
| Folgen für die Betroffenen haben. Wenn illegal intime Fotos von einer | |
| Person hochgeladen werden, wie im Fall von Anna Nackt, ist das eine | |
| Verletzung des „höchstpersönlichen Lebensbereichs“, doch es zählt nicht … | |
| sexualisierte Gewalt, denn dafür muss laut Laxa „körperlich wirkender | |
| Zwang“ vorliegen, oder wie Anna Nackt es sagt: „Erst, wenn man angefasst | |
| wird, versteht das deutsche Recht etwas als Gewalt.“. | |
| ## Exposing wird als Privatklagedelikt angesehen | |
| Zudem wird Exposing, also das Veröffentlichen intimer Bilder, als | |
| sogenanntes Privatklagedelikt angesehen, ähnlich wie die Verletzung des | |
| Briefgeheimnisses. Während in anderen Bereichen Ermittlungsbehörden aktiv | |
| werden müssen, sobald sie einen Anfangsverdacht haben, beurteilt die | |
| Staatsanwaltschaft bei Privatklagedelikten bei jedem Einzelfall erst mal, | |
| ob ein „öffentliches Interesse“ vorliegt. Bei Exposing entscheidet sie sich | |
| laut Laxa häufig dagegen. Exposing aus den Privatklagedelikten | |
| herauszunehmen, hält Laxa für schwierig durchsetzbar. | |
| Doch allein die Diskussion über Exposer Networks kann helfen, die | |
| Gesellschaft zu sensibilisieren und Wissen über Digitale Gewalt zu | |
| vermitteln. Denn an dem mangelt es – auch bei der Polizei. Bevor Anna Nackt | |
| sich an xHamster zur Entfernung der Bilder wendete, rief sie bei der | |
| Polizei an. Doch statt Hilfe kam dort nur Unverständnis für ihr Anliegen. | |
| „Sind Sie sicher, dass Sie die Bilder nicht selbst hochgeladen haben?“ Auch | |
| bei späteren Taten meldete sich Nackt bei der Polizei, schickte Links und | |
| Screenshots – und bekam teilweise, sagt sie der taz, keine Antworten. „Es | |
| war wie Arbeitsverweigerung.“ | |
| ## Schulungen der Polizei könnten helfen | |
| Was helfen könnte, wären Schulungen für Polizei und Justiz, damit sie | |
| künftig sensibler mit den Betroffenen umgehen. Gerade wenn die Polizei der | |
| Erstkontakt ist, ist das unabdingbar – auch um der Verstärkung psychischer | |
| Folgeerscheinungen vorzubeugen. Dazu zählen: Vertrauensprobleme, | |
| posttraumatische Belastungsstörungen, Angstzustände, Depressionen und | |
| Suizidgedanken. Auch Anna Nackt ist in psychologischer Behandlung und sagt | |
| heute, es gehe ihr „okay“. Doch besonders kurz nach der ersten Tat habe sie | |
| auf der Straße Paranoia gehabt, habe gefürchtet, dass die Täter*innen | |
| Nachrichten an ihr Umfeld schicken könnten. | |
| Noch immer besteht die Gefahr, dass die Bilder von Anna Nackt wieder | |
| hochgeladen werden. Indem sie mit ihrem Umfeld offen darüber spricht und | |
| als Aktivistin die Situation auch für andere Betroffene verbessern will, | |
| hat sie für sich einen Weg gefunden, um mit der digitalen Gewalt umzugehen. | |
| Doch nicht jede Person hat die nötigen psychischen und finanziellen | |
| Ressourcen, dagegen vorzugehen. Diese Aufgabe fällt auch der | |
| Bundesregierung zu, die sich mit der Istanbul-Konvention verpflichtet hat, | |
| sich gegen Gewalt gegen Frauen einzusetzen – auch gegen digitale. Passiert | |
| ist in der Hinsicht bislang jedoch wenig. | |
| 6 Jan 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://annanackt.com/ | |
| [2] https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fvio0000233 | |
| [3] https://www.vice.com/de/article/akdzdp/inside-xhamster-undercover-im-loesch… | |
| [4] https://www.nytimes.com/2020/12/04/opinion/sunday/pornhub-rape-trafficking.… | |
| [5] https://www.change.org/p/notyourporn-missbrauch-auf-porno-plattformen-muss-… | |
| [6] https://www.kanzlei-wirtschaftsrecht.berlin/ | |
| [7] https://hateaid.org/ | |
| [8] https://amiinporn.org/de | |
| ## AUTOREN | |
| Johannes Drosdowski | |
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