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# taz.de -- Kritik an Netflixfilm „365 Tage“: Ein schlechter, ärgerlicher …
> Einem polnischen Film wird die Verherrlichung von Vergewaltigungen
> vorgeworfen. Sicher ist: Er ist grotesk schlecht.
Bild: Sängerin Duffy wurde Opfer eines Sexualverbrechens. Sie übt deutliche K…
Berlin taz | Nein heißt Nein. Vor allem bei sexualisierter Gewalt muss das
immer und überall gelten – sich über das Nein eines designierten Opfers
hinwegzusetzen, bedeutet Missbrauch. Insofern hat Duffy Recht: Die
walisische Sängerin, die vor ein paar Jahren das Opfer eines monströsen
Sexualverbrechens inklusive Gefangenschaft und Vergewaltigung wurde,
meldete sich bezüglich des polnischen Netflix-Erotikfilms „365 Tage“ in
einem offenen Brief an den Streaminganbieters zu Wort. Sie warf dem Portal
vor, „eine Plattform für ein solches ‚Kino‘“ zu sein, „das Entführu…
erotisiert und sexuelle Gewalt und Menschenhandel verzerrt darstellt.“
Neben dieser auch als [1][Triggerwarnung zu lesenden Anschuldigung] war in
der Presse schon vorher von „Vergewaltigungsverherrlichung“ die Rede.
Im Film wird eine polnische Geschäftsfrau von einem italienischen
Gangsterboss entführt, dem sie vorher unbekannterweise im Traum erschienen
war. Der durchtrainierte, schweigsame Massimo ist von der langwimprigen
Laura besessen, und kündigt an, sie ein Jahr lang festzuhalten, um ihr die
Chance zu geben, sich in ihn zu verlieben. Über ihre körperlichen Grenzen
werde er sich – trotz einer in vielen Kreisen fälschlicherweise mit
Männlichkeit assoziierten Grobheit – nicht hinwegsetzen, verspricht er ihr.
Dabei lässt er außer Acht, dass bereits die Entführung selbst Gewalt
beinhaltet, von den späteren mit Musik und viel [2][male und female gaze]
auf normativ perfekte Körper unterschnittenen Soft-Bondage- und
Fesselszenen mal ganz abgesehen.
## Schlecht gespielt, schlecht inszeniert
Und hier liegt das Missverständnis vergraben: Der grotesk schlecht
geschriebene, inszenierte und gespielte Film verpasst es, auf die
Unterschiede zwischen konsensuellen oder herbeifantasierten und erzwungenen
Sextechniken hinzuweisen. Er müht sich mit Anhaltspunkten ab – wenn etwa
Laura am Anfang elegant im Hotelbett masturbiert, und die Szene parallel zu
einer zunächst wie forciertes Fellatio wirkenden, aber einvernehmlichen
Nummer Massimos mit seiner Privatjet-Stewardess montiert wird, insinuieren
die Regisseur*innen Barbara Bialowas und Tomasz Mandes damit den Ton von
Lauras Fantasien.
Später sucht Laura Massimos nach exquisitem Porno-Set aussehendes
Hotelzimmer auf, weigert sich, seinen Penis anzufassen, wird von ihm ans
Bett gefesselt – und muss zuschauen, wie er einen Blow Job bekommt. Danach
lässt er sie frei. Und sie entscheidet sich, bei ihm zu bleiben.
Mit allem, was man in diesem kruden, durch das grottige Schauspiel und die
absurde Geschichte unfreiwillig albern wirkenden Pseudo-BDSM-Film an
psychologischer Tiefe liest, gibt man ihm zu viel Aufmerksamkeit: Er ist
simpel. „365 Tage“ ist vor allem ärgerlich, weil seine Prämisse behauptet,
man könne eine Frau (mit dem [3][Stockholm Syndrom]) zwingen, sich in einen
Mann zu verlieben.
## Hoffen auf den Skandal
Dabei schwingt Lauras Interesse an der Situation permanent mit, und
personifiziert somit die These, die Nein-heißt-Nein notwendig machte: Laura
sagt zwar Nein, aber Massimo weiß besser, was sie will – und soll Recht
behalten. Insofern ist Massimos Verhalten pure Verachtung, seine Taten auch
als Mafiosi wären – in einer realen Welt – misogyn und
gewaltverherrlichend. (Obwohl die inkriminierte Vergewaltigung tatsächlich
nie stattfindet, und Laura Massimo später sogar wegen „victim shaming“ zur
Rede stellt.)
Doch gleichzeitig pinselt der Film durch seine Ästhetik, sein Setting,
seine Fokussierung auf die langen, nach dem deutschen Gesetz nicht als
pornografisch, sondern als erotisch zu definierenden Sexszenen, ungelenk
eine eindeutige, vom angepeilten Publikum ab 16 decodierbare Fantasie. Und
ist damit weder Handlungsanweisung, noch weidet er sich am Leiden des
Opfers. Denn das Opfer, Laura, leidet nicht.
Duffys Vorwurf, der Film verzerre sexuelle Gewalt und Entführungen, ist
richtig – denn das tun sexuelle oder erotische Fantasien, in denen Gewalt
oder Unterwerfung eine Rolle spielen. Und das dürfen sie auch. „365 Tage“
ist ein schlechter, ärgerlicher, ungenauer Film, der auf einen provozierten
Skandal hofft, mehr nicht. Mit Duffys traumatischen Erfahrungen hat er
dennoch wenig zu tun.
5 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.duffywords.com/
[2] /Regisseurin-ueber-Marie-Curie/!5693768
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Stockholm-Syndrom
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Netflix
Erotikfilm
Vergewaltigung
Porno
Polen
Polen
Filmfestival
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