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# taz.de -- Kindesmissbrauch von Priestern in Polen: Dem Peiniger gegenübertre…
> Der Film „Versteckspiel“ von zwei Brüdern, die ein Priester als Kinder
> vergewaltigte, wird in Polen lebhaft diskutiert. Doch die Aufarbeitung
> fehlt.
Bild: Katholische Kirche in Pleszew. In Polen wird wieder heftig über sexuelle…
Warschau taz | Jakub Pankowiak schlägt die Hände vors Gesicht. „Ich hatte
mir das einfacher vorgestellt“, stöhnt er schamrot. Als 13-Jähriger wurde
er von seinem besten Freund, einem katholischen Priester, vergewaltigt.
Wieder und wieder. Analverkehr – meist im eigenen Kinderzimmer, oft Wand an
Wand mit den Eltern, die nichtsahnend in der Küche das Abendessen
vorbereiteten und den Tisch für alle deckten.
Auch für den Priester. Im Dokumentarfilm „Versteckspiel“ über die
systematische Vertuschung von Kindesmissbrauch durch die katholische Kirche
in Polen erzählen er und sein jüngerer Bruder, wie sie zu seelischen
Krüppeln wurden – hinter der Fassade von „normalen“ Heranwachsenden und
heute jungen Männern. Doch nun reißen sie die Fassade ein, zeigen ihr
Gesicht und treten sogar ihrem Peiniger von Angesicht zu Angesicht
gegenüber.
Der Dokumentarfilm „Zabawa w chowanego“ (Versteckspiel) ist bereits der
zweite über Sexualdelikte katholischer Geistlicher, den der
Investigativjournalist Tomasz Sekielski und sein Bruder, der Filmproduzent
Marek Sekielski, im Internet-Video-Kanal Youtube publizieren.
„Ich bin einfach nur entsetzt!“, sagt eine Kioskbesitzerin in
Warschau-Mokotow. „Diese Priester schimpfen ständig über unsere Sünden,
dabei sind sie selber durch und durch verdorben.“ Schweigend gibt sie das
Wechselgeld raus, lenkt dann ein: „Na ja, nicht alle Priester. Am
schlimmsten sind die Bischöfe, die alles vertuschen.“ In nur einer Woche
haben bereits über sechs Millionen Polen und Polinnen auf den Link
geklickt.
## Netter Priester von nebenan
[1][Der erste Film „Nur sag es bloß keinem“] löste ein Erdbeben aus: Mehr
als 20 Millionen Polen und Polinnen diskutierten wochenlang über das Tabu,
dass der nette Priester von nebenan auch gerne mal an den Hoden ihrer
Sprösslinge leckte oder mit einem freundlichen Lächeln einem Mädchen auf
dem Schoss den Finger in die Vagina steckte. Bis dahin hatte kaum jemand
den Horrorgeschichten der inzwischen Erwachsenen glauben wollen, wenn sie
sich überhaupt trauten, darüber zu sprechen.
Nach dem Film gelobte [2][Polens katholische Kirche] Besserung. Man werde
künftig gegen Kinderschänder in der Soutane nicht nur nach kanonischem
Recht vorgehen, sondern sie auch dem weltlichen Arm der Gerechtigkeit
übergeben.
Die seit 2015 in Polen regierenden Nationalpopulisten von der Partei Recht
und Gerechtigkeit (PiS) beteuerten, sowieso alle Sexualstraftäter hinter
Schloss und Riegel bringen zu wollen.
Nun aber sollte sogar eine gemeinsame Kommission von Regierung und
katholischer Kirche eingerichtet werden, die den Kindesmissbrauch durch
Geistliche rückhaltlos aufklären sollte. Der Opferverein „Fürchtet euch
nicht“ bekam immer mehr Zulauf und publizierte eine Aufsehen erregende
interaktive Polenkarte mit knapp 300 aktenkundigen Missbrauchsfällen.
## Ständig zur Verfügung
„Wir waren leichte Opfer für Priester Arkadiusz“, erzählt der heute
27-jährige Bartek Pankowiak im Film „Versteckspiel“. Die sechsköpfige
Familie des Kirchenorganisten wohnte in einer Wohnung des Pfarrhauses. „Wir
waren wie Fische in einem Gartenteich ständig zur freien Verfügung.“
Mal er selbst mit sieben, acht Jahren, mal sein Bruder mit 13 und 14
Jahren. „Priester Arkadiusz kam als guter Freund zu uns nach Hause, brachte
Geschenke mit und zog sich dann unter dem Vorwand, uns das Gitarre spielen
beibringen zu wollen, mit mir oder Jakub ins Kinderzimmer zurück.
Die Jungen waren überzeugt, dass der Vater seine Arbeit als Organist
verlieren würde, wenn sie den Priester verraten würden. Dann hätte die
Familie die Behandlung des schwerkranken dritten Bruders nicht mehr
bezahlen können. Der heute 33-jährige Jakub erzählt: „Nicht einmal ich
wusste, dass mein kleiner Bruder das gleiche durchmachte wie ich. Erst vor
sieben Jahren haben wir uns einander anvertraut.“
Vertuschen, schweigen, nichtstun – das ist die für Laien völlig
unverständliche Strategie von Episkopat und PiS-Regierung. Ein Jahr nach
dem ersten Film der Sekielski-Brüder fällt die Bilanz bitter aus. Denn es
ist nichts geschehen. Weder existiert die gemeinsame Kommission, noch
melden Bischöfe Sexualstraftäter in den eigenen Reihen dem Vatikan oder der
Staatsanwaltschaft.
## Kurie kann in Ermittlungsakten schauen
Der Opferverein wurde aufgelöst, und sein ehemaliger Vorsitzender muss sich
wegen eines Griffs in die Vereinskasse vor Gericht verantworten. Polens
Staatsanwälte aber wurden im Januar 2019 von ganz oben angewiesen, mit der
katholischen Kirche zusammenzuarbeiten. So können die Kurien heute die
Ermittlungsakten gegen Priester anfordern, angeblich um damit nach
Kirchenrecht ebenfalls einen Prozess vorzubereiten.
Doch es hilft natürlich dem Soutaneträger und seinem Verteidiger ungemein,
wenn sie die Anklageakten mit allen Vorwürfen, Beweisen und Zeugenaussagen
vor dem eigentlichen Prozess schon kennen. Nur kirchliche Angeklagte
genießen dieses Privileg in Polen.
Die meisten polnischen Bischöfe aber, die das ganze Vertuschungssystem am
Leben halten, finden selbst nach Jahren nicht einmal ein Wort der
Entschuldigung für die missbrauchten Kinder. Nur Polens Primas, Erzbischof
Wojciech Polak, bemüht sich ein Jahr nach dem ersten Film wieder um
Schadensbegrenzung und meldet die nun öffentlich gewordenen Sexualdelikte
nach Rom an den Vatikan.
22 May 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Gabriele Lesser
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Polen
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