| # taz.de -- Wahlen in Italien: Disastro italiano | |
| > In Italien hat das rechte Bündnis um die postfaschistische Partei | |
| > Fratelli d’Italia unter Giorgia Meloni gewonnen. Das ist eine historische | |
| > Zäsur. | |
| Bild: Gewonnen: Giorgia Meloni mit einer Wählerin am 25. September in Rom | |
| Rom taz | Giorgia Meloni war überglücklich, als sie sich Sonntagnacht in | |
| einem Hotel in Rom vor Hunderte von Journalist*innen aus aller Welt | |
| stellte. Sie lächelte selig in die Kameras, hielt ein Blatt mit den zwei | |
| Worten „Grazie Italia“ in die Objektive und bot eine kleine Gesangseinlage. | |
| Meloni hat allen Grund, gut gelaunt zu sein. Wie von den | |
| Meinungsforscher*innen vorhergesehen gewann ihr geeinter Rechtsblock | |
| 44 Prozent der Stimmen. Allein ihre postfaschistische [1][Partei Fratelli | |
| d’Italia] (FdI – Brüder Italiens) räumte [2][26 Prozent] ab. Damit erober… | |
| das Rechtslager aus Fdl, Lega per Salvini Premier und Forza Italia eine | |
| satte Mehrheit von rund 60 Prozent der Sitze in beiden Häusern des | |
| Parlaments, Abgeordnetenhaus und Senat. | |
| Die hohe Anzahl der Sitze hängt mit dem italienischen Wahlrecht zusammen. | |
| Parteienbündnisse haben darin einen proportionalen Vorteil. Damit steht | |
| einer Regierungsbildung unter einer Ministerpräsidentin Meloni nichts mehr | |
| im Wege. Und erstmals seit 1945 käme damit in Westeuropa eine von | |
| [3][harten Rechtspopulisten dominierte Exekutive] an die Macht. | |
| Erst vor knapp zehn Jahren hatte die 45-jährige Römerin ihre Partei | |
| gegründet. Eine Partei, in deren Symbol auch heute noch die Flamme in den | |
| Farben der italienischen Flagge prangt – genauso wie in dem Symbol der 1946 | |
| gegründeten neofaschistischen Formation Movimento Sociale Italiano. Doch in | |
| der Politik ist Meloni nicht erst seit 2012. Zuvor war sie in der ebenfalls | |
| postfaschistischen und seit 1994 mit Silvio Berlusconis Forza Italia | |
| verbündeten Partei Alleanza Nazionale aktiv, diente im Kabinett Berlusconis | |
| in den Jahren 2008–11 als Jugendministerin. | |
| Ihrer 2012 gegründeten Partei, in der sich anfangs vor allem alte | |
| ultrarechte Kämpen versammelten, hätte damals niemand den Wahlsieg vom | |
| Sonntag vorausgesagt. Bei den Wahlen 2013 gab es lediglich 2 Prozent für | |
| FdI, 2018 dann 4 – viel mehr schien damals nicht drin zu sein für die | |
| Juniorpartnerin Berlusconis. | |
| Doch am Sonntag haben sich die Kräfteverhältnisse innerhalb des rechten | |
| Lagers radikal verändert. Meloni gibt mit ihren 26 Prozent jetzt den Ton | |
| an. Forza Italia dagegen – 2018 hatte sie noch 14 Prozent geholt – muss | |
| sich mit 8,1 Prozent zufriedengeben, und Matteo Salvinis Lega ist auf 8,8 | |
| Prozent abgestürzt, nachdem sie noch bei den nationalen Wahlen 2018 17 | |
| Prozent, bei den Europawahlen 2019 gar 34 Prozent erreichte. | |
| Hinter dem Kantersieg der Rechten verbirgt sich mithin ein zweischneidiger | |
| Ausgang für die zukünftigen Koalitionäre. Diesmal gelang es nur Fratelli | |
| d’Italia, den Unmut der eher rechtsgewirkten Wähler*innen abzugreifen. | |
| Vor allem die Lega muss damit leben, dass der Sieg der Rechtsfront zugleich | |
| eine herbe Niederlage für die eigene Partei bedeutet. Selbst in der Region | |
| Venetien in Norditalien, dem früheren Kernland der Lega Nord, konnte die | |
| FdI mit gut 30 Prozent doppelt so viele Stimmen einfahren. | |
| „Unverbraucht“ und „kohärent“ sei Giorgia Meloni eben, gaben rechte | |
| Wähler*innen in den letzten Wochen immer wieder zu Protokoll. In der Tat | |
| saß ihre Partei im Vergleich zu ihren Bündnispartnern immer in der | |
| Opposition. Forza Italia koalierte 2013 etwa mit der gemäßigt linken | |
| Partito Democratico (PD). Die Lega war 2018/19 mit den Fünf Sternen an der | |
| Regierung. Und beide Parteien trugen seit 2021 Mario Draghis | |
| Notstandsregierung mit. | |
| Melonis Ruf als glaubhafte Oppositionspolitikerin konnten dann im Wahlkampf | |
| weder Salvini noch Berlusconi wettmachen, auch nicht durch üppige | |
| Versprechungen, wie zum Beispiel kräftige Steuersenkungen. Meloni dagegen | |
| konnte es sich leisten, bei diesem Überbietungswettbewerb gar nicht | |
| mitzumachen, sondern sich selbst als das eigentliche Versprechen zu | |
| inszenieren. | |
| Es ist ein Versprechen, das es in sich hat. Aus ihrer reaktionären, stramm | |
| nationalistischen Gesinnung hat Meloni nie ein Hehl gemacht. Sie wettert | |
| gegen „Genderwahnsinn“ und empörte sich zum Beispiel gegen die | |
| Zeichentrickfigur Peppa Pig, weil in einer neuen Folge ein kleines Mädchen | |
| zwei Mütter hatte. An der Seite Salvinis verhinderte sie erst vor wenigen | |
| Monaten ein Gesetz, das homosexuellen- und transfeindliche Motive zum | |
| strafverschärfenden Tatbestand bei Verbrechen machen sollte. | |
| Auch den Migrant*innen wird der Wind wieder ins Gesicht blasen, wie | |
| schon in den Jahren 2018/19, als der damalige Innenminister Salvini die | |
| Politik der „geschlossenen Häfen“ verfügte. Meloni dagegen redet gar von | |
| einer Seeblockade gegen die Flüchtlingsschiffe auf dem Mittelmeer. Ihre | |
| Vision ist das ethnisch reine, weiße Italien – noch vor wenigen Jahren | |
| sprach sie vom angeblich drohenden „ethnischen Austausch“. | |
| Weitgehend einig ist sie sich mit Salvini auch darin, dass die | |
| Bürger*innen bei einem erneuten Aufflammen der Coronapandemie nicht mit | |
| Einschränkungen und Verboten, mit Impf- oder Maskenpflicht traktiert | |
| werden. Auch wettert sie gegen die angeblich „chinesische Coronapolitik“ | |
| des bisherigen Gesundheitsministers. | |
| Völlig zahm präsentiert sie sich dagegen auf dem Feld der Haushaltspolitik. | |
| Natürlich würden die europäischen Vorgaben, die EU-Verträge eingehalten, | |
| erklärte sie dazu denkbar knapp. Sie hat Grund dazu. Die Rechte gewann in | |
| einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt ihre satte Mehrheit. Auch Italien steht | |
| ein harter Herbst bevor, auch hier explodieren die Energiepreise, geraten | |
| Unternehmen ins Schlingern. Und auf diesem Feld zeichnet sich eine erste | |
| Konfliktlinie im Rechtsblock ab. Salvini nämlich forderte im Wahlkampf | |
| einen sofortigen Nachtragshaushalt von 30 Milliarden Euro, von dem Meloni | |
| angesichts der hochverschuldeten öffentlichen Kassen vorerst nichts wissen | |
| will. | |
| Sprengstoff birgt auch die Außenpolitik. Die Siegerin hat sich klar als | |
| Transatlantikerin positioniert, ist für die Beibehaltung der | |
| Russlandsanktionen und für die Fortsetzung italienischer Waffenlieferungen | |
| an die Ukraine. Ganz anders sieht der alte Putin-Freund Berlusconi die | |
| Dinge. In einer TV-Sendung wenige Tage vor der Wahl behauptete er, Putin | |
| sei „in den Krieg gedrängt worden“ und habe die Ukraine überhaupt nur | |
| attackiert, um in Kiew „anständige Leute“ an der Regierung zu installieren. | |
| Und der ebenfalls traditionell prorussische Salvini bekennte sich verbal | |
| zwar zu den Sanktionen, legte dann aber nach, sie seien Italien „von Europa | |
| auferlegt worden“ – und deshalb solle „Europa“ gefälligst für den dur… | |
| entstehenden ökonomischen Schaden in Italien zahlen. | |
| Mitte-Links-Lager hatte keine Chance | |
| Für reichlich Konfliktstoff in der kommenden Rechtsregierung ist also | |
| gesorgt, doch die drei Partner waren clever genug, ihre Zwistigkeiten auf | |
| die Zeit nach der Wahl zu vertagen. Anders hielt es das Mitte-links-Lager. | |
| Es zerlegte sich schon im Vorfeld, trat zweifach gespalten an und hatte | |
| deshalb angesichts des Wahlrechts, 37 Prozent der Sitze werden per | |
| Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen vergeben, auch nicht den Hauch einer | |
| Chance: Überall im Land waren die Stimmen der gegen die Rechte votierenden | |
| Wähler*innen auf drei Kandidat*innen aufgesplittert; fast überall | |
| hatte deshalb die geeinte Rechte am Ende die Nase vorn. | |
| Den höchsten Preis für dieses Desaster zahlte die gemäßigt linke Partito | |
| Democratico (PD) unter Enrico Letta. Sie hatte das ursprünglich anvisierte | |
| Bündnis mit den Fünf Sternen in letzter Minute ausgeschlossen, weil die von | |
| Giuseppe Conte geführte Partei zum [4][Sturz der Notstandsregierung unter | |
| Mario Draghi] beigetragen hatte. Die PD hat deshalb die Allianz hin zur | |
| Mitte mit den beiden Mini-Mitteparteien Italia Viva und Azione gesucht. | |
| Doch deren beiden Anführer gaben Letta den Korb, traten genauso wie die | |
| Fünf Sterne am Ende separat an. | |
| Und der PD gelang es nicht, mit einer linken Sozialagenda zu punkten, zu | |
| der ein gesetzlicher Mindestlohn ebenso wie die deutliche Steigerung der | |
| Arbeitnehmereinkommen per Steuersenkung gehörten. Am Ende fuhr Letta mit | |
| 19,1 Prozent ein katastrophales Ergebnis ein. Am Montag gab er bekannt, in | |
| Kürze einen Parteitag anzu beraumen, auf dem er nicht mehr als Vorsitzender | |
| kandidieren werde. | |
| 5 Sterne haben sich neu aufgestellt | |
| Letta geht, Giuseppe Conte dagegen ist zurückgekommen: Der frühere | |
| Ministerpräsident darf sich über die Auferstehung des von ihm angeführten, | |
| schon totgesagten „Movimento 5 Stelle“ (M5S – 5-Sterne-Bewegung) freuen. … | |
| hat im Wahlkampf die Fünf Sterne, die früher „weder rechte noch linke“ | |
| Protestbewegung gegen die alte „politische Kaste“, neu aufgestellt. | |
| Mit der Verteidigung der von ihm 2019 eingeführten Grundsicherung, der | |
| Forderung nach einem flächendeckenden Mindestlohn von 9 Euro und dem | |
| Verlangen, die Energiewende voranzutreiben, stellte Conte eine | |
| sozialökologische Agenda in den Mittelpunkt des Wahlkampfs. Waren ihm noch | |
| vor wenigen Wochen nur 7 bis 8 Prozent vorhergesagt worden, führte er mit | |
| seinem Auftritt als Mélenchon light die Fünf Sterne dann doch auf 15,4 | |
| Prozent, mit guten Resultaten vor allem im armen Süden. | |
| „Mit dieser PD-Führung“ unter Letta werde es nie mehr eine Zusammenarbeit | |
| geben, hatte Conte schon in den Tagen vor der Wahl erklärt. Dieses Problem | |
| hat sich mit dem angekündigten Rückzug Lettas erledigt. Doch auch die Fünf | |
| Sterne müssen vorerst aus der Opposition heraus zusehen, dass „die | |
| rechteste Regierung in Italien“ (so Letta) seit 1945 in Zukunft die | |
| Geschäfte führt. Als er seinen Rückzug bekanntgab, sagte Letta sehr klar, | |
| dass an einer neuen Mitte-links-Allianz vorneweg zwischen der PD und den | |
| Fünf Sternen kein Weg vorbeiführt, um die Vormacht der Rechten wieder | |
| infrage stellen zu können. | |
| 26 Sep 2022 | |
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| Michael Braun | |
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