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# taz.de -- Umgang mit Obdachlosen in Stade: Untergebracht im Dreck
> Eine Obdachlosenunterkunft in Stade ist völlig heruntergekommen. Die
> Linke vermutet Absicht: Die Stadt wolle die Fläche als Baugebiet
> ausweisen.
Bild: Offensichtlich dem Verfall preisgegeben: Obdachlosenunterkunft am Fredenb…
Stade taz | Die steinernen Wände sind kahl und völlig verschmutzt, auf dem
Boden liegt ein Berg aus Plastikverpackungen, Papiertüten und dreckigem
Geschirr. Der Raum ist dunkel, das Fenster dreckig. In der Ecke steht ein
alter Elektroofen, ein Waschbecken hängt an der Wand, ist aber nicht mehr
an die Leitung angeschlossen. Es macht den Eindruck, als würde hier schon
länger niemand mehr wohnen – sicher ist das aber nicht. Der Stromkasten im
Vorraum wurde, so steht es auf einem Aufkleber zu lesen, zuletzt im Februar
2022 gewartet.
Die Räume gehören zur Obdachlosenunterkunft am Fredenbecker Weg im
niedersächsischen [1][Stade]. Die Tür zu einem Zimmer steht offen, weitere
sind verschlossen. Ein Blick von außen, durch verdreckte Fenster, zeigt
ebenso scheinbar verlassene Räume in ähnlichem Zustand. Es ist eine der
ältesten Baracken des Ensembles aus vier eingeschossigen Gebäuden und einem
neueren Container.
„Die Unterkunft ist in einem katastrophalen Zustand“, sagt Tristan Jorde
von der Stader Linkspartei. Hier dürfe man eigentlich niemanden
unterbringen, sagt er. Gemeinsam mit seinem Genossen Alexander Klinger hat
Jorde einen Antrag in den Stadtrat eingebracht, in dem sie ein neues
Konzept für die Unterkunft fordern. Besonders wichtig sei, dies gemeinsam
mit den Bewohner*innen der Unterkunft zu erarbeiten.
Denn auch wenn es kaum vorstellbar ist: Bewohner*innen gibt es hier.
Laut der Stadt leben zurzeit etwa zehn Personen in der Unterkunft. Einige
Menschen, sagt Jorde, wohnen bereits seit mehreren Jahren hier.
In ihrem Antrag fordern die Politiker der Linken nicht nur ein
langfristiges Konzept, welches auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen
abgestimmt ist, sondern auch eine Verankerung in der städtischen
Sozialpolitik. Derzeit wird das Thema [2][Obdachlosigkeit] unter
„Gefahrenabwehr“ verhandelt. Deshalb ist die Thematik im Ausschuss für
Feuerwehr, Sicherheit und Verkehr verankert. „Obdachlosigkeit ist eine
Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ lautet der erste Satz
unter dem [3][Stichwort „Obdachlosenhilfe“ auf der Internetseite der Stadt
Stade.]
Dass das Problem mit der Unterkunft bereits seit Langem besteht, bezeugt
nicht nur der völlig heruntergekommene Zustand der Gebäude. Bereits 2016
und 2018 wurden zwei Baracken abgerissen, eine dritte soll bald folgen.
Eine Containerreihe mit Duschen und Zimmern mit Kochmöglichkeit soll diese
ersetzen – noch sind die Container allerdings nicht bewohnt. Sie stellen
laut der Stadt Stade eine Übergangslösung dar, langfristig braucht es einen
Neubau. Doch wann und wo die neue Unterkunft gebaut werden soll, ist
unklar.
Währenddessen wird das an die Unterkunft angrenzende Wohngebiet immer
weiter ausgeweitet. Nur wenige Meter liegen noch zwischen den Neubauten und
den heruntergekommenen Baracken. Die Frage nach dem weiteren Umgang mit der
Unterkunft hat dadurch an Dringlichkeit gewonnen. Die Politiker der Linken
vermuten, dass die Stadt auch das Grundstück der Obdachlosenunterkunft als
Baugebiet ausweisen möchte.
Die strahlend weißen Neubauten mit gepflegten Vorgärten, dekorativen
Türschildern und polierten Neuwagen auf dem privaten Parkplatz lassen die
Obdachlosenunterkunft noch verfallener aussehen: Hier prallen Welten
aufeinander.
Das Grundstück liegt etwa zehn Autominuten vom Zentrum der Stadt entfernt,
eine Busverbindung gibt es jedoch nicht. Im Gegensatz zu allen anderen
Straßen der Umgebung ist der Weg zur Unterkunft nicht asphaltiert. „Man
drängt die Leute an den Rand der Stadt“, kritisiert Jorde.
Bis vor wenigen Jahren gab es in der Gegend nicht einmal einen Supermarkt –
immerhin das hat sich durch das Neubaugebiet verbessert, an dem sich auch
ein Supermarkt ansiedelte. Doch nicht nur geografisch sind die Obdachlosen
verdrängt.
Seit wann gibt es die Unterkunft? Wer lebt hier genau? Wie kann es sein,
dass sie so vernachlässigt wird? Was sind die Vorschläge zum Umgang mit der
Unterkunft der anderen Fraktionen? Politik, Sozialarbeit, Verwaltung –
niemand kann oder will auf Nachfrage der taz antworten. Stadträte von CDU
und SPD, den beiden größten Fraktionen im Rat, antworten nicht auf Anrufe
oder Mails. Ein Mitarbeiter der Verwaltung gibt an, einmal die Woche käme
eine Person der Diakonie bei der Unterkunft vorbei. Doch die sagt auf
Nachfrage, sie käme nur in Notfällen zum Fredenbecker Weg.
Bürgermeister Sönke Hartlef (CDU) möchte sich zum weiteren Umgang mit dem
Grundstück erst nach der kommenden Ausschusssitzung am 8. September äußern.
Es sei üblich, dass erst die Politik und dann die Presse informiert würde,
sagt er am Telefon. Doch auch Fragen zum Hintergrund der Problematik
beantwortet er nicht.
Die Linke hatte den Antrag auf ein neues Konzept bereits im Januar erstmals
gestellt. Damals ließen sie sich auf die Aufforderung ein, den Antrag
zurückzuziehen. Ihnen sei gesagt worden, die Stadt arbeite bereits an einem
Konzept, sagt Jorde. Für die Sitzung am 8. September haben sie den Antrag
erneut gestellt und wollen ihn dieses Mal nicht zurückziehen.
8 Sep 2022
## LINKS
[1] /Stade/!t5530721
[2] /Obdachlosigkeit/!t5009939
[3] https://www.stadt-stade.info/buergerservice/dienstleistungen/obdachlosenhil…
## AUTOREN
Josephine von der Haar
## TAGS
Stade
Obdachlosigkeit
Sozialpolitik
Stade
Obdachlosigkeit in Hamburg
Bremen
Notunterkunft
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