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# taz.de -- Schadstoffe in Obdachlosenunterkunft: Gleichgültige Behörden
> Schon vor der Eröffnung einer Notunterkunft in Hannover wusste die Stadt
> von erhöhten Schadstoffwerten im Boden. Dort lebten vor allem Kinder.
Bild: Seit letztem Jahr geschlossen: Notunterkunft in Hannover-Burg
Hamburg taz | Die Stadt Hannover hat jahrelang eine Notunterkunft für
obdachlose Menschen auf einem Grundstück betrieben, dessen Boden mit
krebserregenden Schadstoffen belastet ist. Dabei sollen laut der
Hannoverschen Allgemeinen Zeitung die Behörden noch vor Eröffnung der
Unterkunft 2014 von den Umweltproblemen gewusst haben. [1][Bis zum Ende des
Betriebs voriges Jahr waren dort vor allem Kinder untergekommen] – obwohl
Kinder bei einer solchen Erdbelastung besonders gefährdet sind.
Insgesamt bis zu 120 Personen waren über mehrere Jahre in der Unterkunft
untergebracht. Die Bewohner*innen waren überwiegend Roma-Familien. Das
Gelände im Stadtteil Burg im Norden der Stadt war zuvor eine Schule. 2011
wurde die Paul-Dohrmann-Schule geschlossen. Danach stand das
denkmalgeschützte Gebäude zunächst leer. 2014 errichtete die Stadt auf dem
Gelände die Notunterkunft für obdachlose Menschen.
Zu diesem Zeitpunkt wussten die Behörden bereits von einer [2][erhöhten
Belastung des Bodens mit Blei] und sogenannten Polyzyklischen aromatischen
Kohlenwasserstoffen (PAK). Das bestätigte ein Sprecher auf Anfrage der taz.
Für Hermann Kruse ist es unverständlich, dass der Boden zuvor nicht saniert
wurde. Er ist Toxikologe an der Kieler Universität und konnte zentrale
Auszüge des Gutachtens von 2014 einsehen. „Die Bleiwerte im Boden sind sehr
hoch – solche Werte können besonders für Kinder krebserregend sein“, sagt
Kruse. Aus seiner Sicht hätten die Behörden längst reagieren müssen. „Auch
im Gutachten von 2014 wurde darauf hingewiesen, dass etwas geschehen
müsse“, sagt Kruse.
Besonders Kinder seien bei Blei im Boden gefährdet, weil das Schwermetall
im Laufe der Zeit an die Oberfläche dränge. „Und dort spielen Kinder und
kommen damit meist als Erstes in Kontakt“, sagt Kruse. Über Pflanzen können
die Schadstoffe [3][auch in die Nahrungskette gelangen.]
Vonseiten der Stadt heißt es, dass die gemessenen Werte nicht so hoch
seien, als dass die Stadt darauf hätte reagieren müssen. „Für die
untergebrachten Personen, einschließlich der Kinder, bestand zu keinem
Zeitpunkt eine Gesundheitsgefährdung“, sagt Dennis Dix, Sprecher der Stadt.
Alle Werte seien unterhalb der Grenzwerte, die die Bodenschutzverordnung
vorgibt.
Als Ursache für die Schadstoffbelastung führt die Stadt
„trümmerschutthaltige Auffüllungen“ an, die in Großstädten wie Hannover
weit verbreitet seien. Demnach befindet sich Blei bereits seit mehreren
Jahrzehnten im Boden.
Widerstand gegen die Sichtweise im Rathaus regt sich nun allerdings vor
Ort. Denn zu der Bodenbelastung kommt, dass die Ergebnisse des Gutachtens
nicht in den öffentlichen Unterlagen für die politischen Gremien
aufgenommen wurden. Die Bezirkspolitiker*innen im Stadtbezirk
Herrenhausen-Stöcken wussten von der Giftbelastung bislang nichts.
„Wir wurden im Bezirksrat bis heute nicht darüber informiert“, sagt
Hannelore Mücke-Bertram, die für die Grünen im Rat sitzt. Das hält die
Stadt auch bis heute nicht für nötig. „Da zu keinem Zeitpunkt eine
Gefährdung für Menschen vorlag, ist eine Vorlage des Gutachtens an
politische Gremien nicht erforderlich“, sagt Dix.
## Besorgnis über weitere Gefährdung
2019 wurde der Betrieb des Gebäudes vonseiten der Stadt aufgegeben, die
Bewohner*innen wurden auf andere Unterkünfte verteilt. Zuvor stand die
Unterkunft in der Burgstraße mehrmals in der Kritik. Einerseits gab es
Beschwerden von Anwohner*innen, andererseits forderten Lehrer*innen mehr
Unterstützung der Stadt für die dort wohnenden Roma-Kinder.
Bei der Begründung zur Schließung der Unterkunft war die
Schadstoffbelastung des Bodens kein Thema. Es gebe erhebliche Mängel in der
Gebäudesubstanz, die eine Fortführung als Notunterkunft unmöglich mache,
hieß es damals. Im Bezirk war man überrascht: „Wir haben uns im Bezirk
gewundert, dass die Stadt die Unterkunft so plötzlich aus diesem Grund
aufgegeben hat“, sagt Mücke-Bertram.
Besorgnis gibt es im Stadtteil darüber, ob weiterhin eine Gefährdung
bestehe. „In unmittelbarer Nähe befindet sich eine Freiluftschule, in der
Schulklassen bis zu einer Woche Zeit verbringen“, sagt Mücke-Bertram. Und
mittlerweile ist in den Gebäuden eine Nachhaltigkeitsinitiative
untergekommen. Doch eine Sanierung des Bodens steht weiterhin nicht an. Für
den Toxikologen Kruse ist das unverständlich: „Da muss dringend etwas getan
werden.“
6 Aug 2020
## LINKS
[1] /Petition-fuer-Strassenkinder/!5679458&s=notunterkunft/
[2] /Bleirecycling-in-Kenia/!5637071&s=bodenschutz/
[3] /Fische-aus-norddeutschen-Gewaessern/!5690368&s=gift+nahrungskette/
## AUTOREN
André Zuschlag
## TAGS
Notunterkunft
Obdachlosigkeit
Roma
Gift
Stade
Schwerpunkt Flucht
Mietpreisbremse
Migrantifa
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