# taz.de -- Geflüchtet aus Serbien, zuhause in Berlin: Die Zenkulović arbeite… | |
> Die taz hat lange Zeit eine serbische Flüchtlingsfamilie begleitet. Ein | |
> Besuch in Hohenschönhausen bei Familie Zenkulović aus aktuellem Anlass. | |
Bild: Jesma Zenkulović mit Sohn Predrag und ihrer Enkeltochter Zara in der eig… | |
BERLIN taz | Ein Plattenbau, ein Zehngeschosser in Hohenschönhausen. | |
Verglaste Balkone, graue Wände, ein blauer Streifen an der Fassade will es | |
wohl gut meinen mit dem Auge der Betrachterin. Drinnen eine moderne | |
DHL-Packstation und ein klappriger Aufzug, im sechsten Stock ein | |
Klingelschild an der Wohnungstür: Zenkulović. | |
Predrag, 16 Jahre alt, groß gewachsen, kräftig vom Training im | |
Fitnessstudio, macht die Tür auf. Dahinter 70 verwinkelte, aber aufgeräumte | |
Quadratmeter: „Hi, kommen Sie rein!“ | |
Alles hier, diese drei Zimmer, in diesem Wohnblock, in diesem Viertel, in | |
dieser Stadt, ist ein wahnsinniger Erfolg für die Familie Zenkulović. | |
Im Winter 2015/16 ist Jesma Zenkulović, mit ihrem Sohn Predrag und der | |
älteren Tochter Victorija, damals 14 Jahre alt, aus einem Dorf in Serbien | |
nach Berlin geflüchtet. Es war der dritte Versuch der Familie, in Berlin | |
Asyl zu bekommen, als Roma werden sie in ihrem Heimatland schwer | |
diskriminiert. | |
## Vom Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit verschwunden | |
Damals, in den Jahren 2015 und 2016, schaut alle Welt auf die Katastrophe | |
in Syrien, die Tragödien im Mittelmeer, die verzweifelten Trecks über die | |
Balkanroute. Die Roma-Flüchtlinge vom Westbalkan verschwinden vom Radar der | |
öffentlichen Aufmerksamkeit. [1][Die taz hatte deshalb die Familie | |
Zenkulović ab 2016 zwei Jahre lang journalistisch begleitet]. | |
Die Chancen der Familie im Winter 2015/16, [2][als wir uns zum ersten Mal | |
treffen]: laut Asylstatistik quasi gleich null. Vier Jahre später ist die | |
Familie immer noch da in Berlin. Ihre Chancen auf einen unbefristeten | |
Aufenthaltstitel: „Sehr gut“, sagt die Anwältin Berenice Böhlo, die die | |
Familie seit Jahren mal mehr, mal weniger eng begleitet. | |
Jesma Zenkulović, 37 Jahre alt, serviert in der Plattenbauwohnung in | |
Hohenschönhausen starken türkischen Kaffee – und dankt Gott. Das tut sie | |
oft an diesem Nachmittag, an ihrem Küchentisch, und dabei legt sie eine | |
Hand auf ihr Herz und sagt, „Endlich Ruhe im Kopf, endlich.“ | |
Jesma Zenkulović muss aber neben Gott wohl vor allem sich selbst danken. | |
Sie hat es geschafft, eine Vollzeitstelle als Putzkraft in einer | |
Reinigungsfirma zu bekommen. Es reicht für die Miete der Dreizimmerwohnung. | |
Aus dem Flüchtlingswohnheim in Lichtenberg, wo sie zuvor gewohnt haben, | |
konnten sie 2017 ausziehen. „Schluss mit Jobcenter“, sagt Zenkulović. | |
## Chance auf dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung | |
Für den Aufenthaltstitel ist das wichtig. Mindestens 60 Monate, also fünf | |
Jahre lang, müssen Asylsuchende ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst in | |
Deutschland bestritten haben. Dann besteht die Chance auf eine dauerhafte | |
Aufenthaltsgenehmigung. | |
Im Sommer 2016 hatte die Härtefallkommission der Innenverwaltung der | |
Familie Zenkulović zunächst drei Jahre gewährt, wegen der guten Prognose – | |
der Job der Mutter, die Wohnung, der Sohn ging zur Schule –, danach wurde | |
die Genehmigung im Sommer 2019 um drei Jahre verlängert. | |
Im Sommer 2022 werden dann also sechs Jahre in Berlin für die Familie | |
vergangen sein – und im Moment spricht alles dafür, dass sie dann zum | |
letzten Mal bei der Ausländerbehörde vorstellig werden müssen. | |
Auch der Schulabschluss des Sohnes wird dann unter dem Punkt „günstige | |
Prognose“ verbucht werden. Predrag hat in diesem Frühjahr nach der 10. | |
Klasse seinen erweiterten Hauptschulabschluss geschafft. Er will eine | |
Ausbildung machen: „Kfz-Mechaniker kann ich mir vorstellen. Oder Pfleger.“ | |
Am liebsten will er eigentlich eine eigene Firma aufmachen, | |
„Gebäudereinigung“, sagt er, aber er ist ja noch nicht volljährig. „Mei… | |
Mutter müsste alles für mich unterschreiben“, hat er bereits | |
herausgefunden. | |
## Die Mutter ist stolz auf den Sohn | |
Seine Mutter ist stolz auf ihn, das sieht man. „Mit Predrag ist immer alles | |
gut“, sagt sie. Für ihre Tochter Victorija liefen die letzten Jahre weniger | |
glatt. Sie, die inzwischen 19 Jahre ist, ist an diesem Nachmittag nicht in | |
der Wohnung der Mutter mit dabei, sie richtet schöne Grüße aus. Aber ihre | |
dreijährige Tochter, Zara, ist da. | |
Zara sagt „Mama“ zu ihrer Oma. Jesma Zenkulović hat beim Familiengericht | |
das Sorgerecht für das Mädchen beantragt. Victorija wolle das so, | |
versichern Mutter und Bruder. Im Moment liegt die Vormundschaft beim | |
Jugendamt. Der Vater sei unbekannt, sagt Predrag. | |
Victorija wohne alleine, sagt der Bruder, aber viel Kontakt habe er nicht. | |
Mal eine WhatsApp-Nachricht oder so. Seine Schwester sei vor drei Monaten | |
nochmal Mutter geworden, wieder eine Tochter, Anna. Leider sei der Vater | |
wieder verschwunden. Die 10. Klasse habe sie abgebrochen, einen | |
Schulabschluss hat sie nicht. Victorijas Wohnung in Pankow bezahle das | |
Jobcenter. | |
Für Victorija wird es 2022, wenn ihre Aufenthaltsgenehmigung abläuft, eng. | |
„Sie muss sehr schnell auf die Füße kommen und etwas vorweisen“, sagt auch | |
Rechtsanwältin Böhlo. | |
## Ausgerechnet Victorija | |
Den ersten Aufenthaltstitel 2016 bekam die Familie wohl vor allem wegen | |
Victorija. Die Härtefallkommission macht die Begründung ihrer | |
Entscheidungen grundsätzlich nicht öffentlich. Aber ein Mitglied der | |
Kommission sagte der taz damals, dass vor allem die Tatsache, dass | |
Victorija in ihrem Heimatdorf wohl schwer vergewaltigt wurde – der Anlass | |
für die dritte Flucht der Familie 2015 –, den Ausschlag gegeben habe, der | |
Familie Aufenthalt zu gewähren. | |
Es ist eine traurige Pointe, dass ausgerechnet Victorija, wegen der die | |
Familie überhaupt anfangs den Aufenthaltstitel bekommen hat, in zwei Jahren | |
vielleicht mit ihrer jüngsten Tochter als Einzige zurück nach Serbien muss. | |
Im Juni haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lediglich noch | |
24 Personen aus Serbien in Berlin einen Asylantrag gestellt, 27 einen | |
Folgeantrag. Auch bei der Härtefallkommission machen Ersuche an den | |
Innensenator um Aufenthalt nur noch einen sehr geringen Anteil aus, im | |
laufenden Jahr 7 von 74 Ersuchen. Zwei davon wurden laut Innenverwaltung | |
stattgegeben. | |
Seitdem Serbien 2016 mit dem Asylpaket II der schwarz-roten Koalition zum | |
sicheren Herkunftsland erklärt wurde, hat sich die Asyl-Option für die | |
meisten Westbalkanländer quasi erledigt. Nahezu 100 Prozent der Anträge | |
werden laut Asylstatistik abgelehnt. | |
## Flucht aus purer Not und Armut | |
„Natürlich hat sich an der Problemlage aber nichts geändert“, sagt | |
Rechtsanwältin Barbara Dubick, die in ihrer Kanzlei in Wedding vor allem | |
Menschen vom Westbalkan berät. Noch immer kämen vor allem Roma aus purer | |
Not und Armut hier an. Die Tatsache, dass jetzt auch ungelernte | |
Arbeitskräfte, zum Beispiel auf dem Bau, bei Vorlage eines Arbeitsvertrags | |
sofort ein Visum für sechs Monate bekämen, sei in der Praxis oft auch | |
schwierig umsetzbar. Die Botschaft in Belgrad arbeite extrem langsam, erst | |
recht in Coronazeiten. | |
Jesma Zenkulović’ Exmann will das jetzt versuchen. Er habe einen | |
unterschriebenen Arbeitsvertrag bei einer Baufirma, sagt seine Exfrau. | |
„Demontage und Abriss.“ Jetzt muss nur noch die Botschaft in Belgrad | |
mitspielen. „Aber Wartezeit: 19 Monate“, sagt Jesma Zenkulović. Verfällt | |
dann nicht der Arbeitsvertrag? „Er bekommt jederzeit einen, hat mein Chef | |
gesagt“, sagt sie. Der „Chef“ habe nämlich neben der Reinigungsfirma auch | |
noch die Baufirma. | |
Die Zenkulović könnten, so scheint es, wieder mal Glück haben. | |
8 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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