# taz.de -- Heruntergekommene Unterkunft in Stade: Obdachlose haben keine Prior… | |
> Die Unterkunft am Fredenbecker Weg in Stade ist völlig verwahrlost. Die | |
> Politik kann sich nicht auf ein Vorgehen einigen und schiebt das Thema | |
> weg. | |
Bild: Heruntergekommen: Baracke der Unterkunft am Fredenbecker Weg | |
STADE taz | Die Hansestadt Stade kann die ewige Diskussion um die | |
Obdachlosenunterkunft am Fredenbecker Weg einfach nicht beenden. Vor | |
Wochenfrist hat die Linkspartei die Stadt aufgefordert, ein Konzept für die | |
Sanierung der heruntergekommenen Unterkunft zu erstellen. Im | |
Sicherheitsausschuss wurde der Antrag abgelehnt. Stattdessen soll zunächst | |
ein Bericht klären, wie es um die Obdachlosen in Stade steht. [1][Dabei | |
zeigt schon eine einfache Inaugenscheinnahme: nicht gut]. | |
Nur eine Hecke trennt am Fredenbecker Weg die Menschen, die den Traum vom | |
Eigenheim leben, von denjenigen, die am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen | |
sind: Auf der einen Seite steht ein schickes Neubaugebiet, auf der anderen | |
stehen verwahrloste Baracken. Das Gelände der Unterkunft ist vermüllt und | |
wenn es regnet, sammelt sich das Wasser an manchen Eingängen so tief, dass | |
die Bewohner*innen beim Vor-die-Tür-Treten bis zu den Knöcheln | |
versinken würden. | |
Norbert ist seit zwei Tagen hier, als die taz nord mit ihm spricht. Er | |
wohnt in der heruntergekommenen Baracke am Eingang der Unterkunft. Seine | |
Freundin hat ihn aus ihrem Haus geworfen. Er soll im Alkoholrausch | |
gewalttätig geworden sein. Deprimiert sitzt er auf dem Bett in dem | |
dreckigen und kaputten Zimmer. „Ich hätte entweder hierhin gehen oder in | |
Polizeigewahrsam bleiben müssen“, sagt er. „Ich wäre mal besser bei der | |
Polizei geblieben.“ | |
Norbert kann sich nicht waschen und nicht kochen. An der Wand sind zwar | |
noch die Überreste einer Dusche zu erkennen, aber aus dem Hahn kommt kein | |
Wasser mehr. Norberts Zimmer lässt sich nicht verschließen. „Ich sitze hier | |
wie auf dem Präsentierteller“, klagt er. Ein Handtuch zwischen Tür und | |
Türrahmen verhindert, dass sie komplett aufschwingt. „Ich kann in der Nacht | |
kein Auge zumachen“, sagt Norbert. „Hier kann ja jeder einfach reinkommen.�… | |
Norbert leidet an Panikattacken. In der Unterkunft fühlt er sich nicht | |
sicher, sein Nachbar soll gewalttätig sein. Er traut sich nicht, einkaufen | |
zu gehen, weil er befürchtet, das Wenige, was er noch hat, könnte geklaut | |
werden. Plötzlich geht das Radio, das ihm ein anderer Bewohner geschenkt | |
hat, an. „Ui, der Strom geht wieder“, sagt Norbert. | |
Die Baracke, in der der 56-Jährige wohnt, soll eigentlich abgerissen | |
werden. Ersatzweise stehen Container auf dem Gelände, aber noch sind diese | |
nicht bewohnbar. Ein anderer Bewohner kritisiert, dass die Stadt sich nicht | |
um die Unterkunft kümmere: „Die Zustände sind schlecht. Hier beklauen und | |
verprügeln sich alle gegenseitig und die Polizei schaut weg.“ | |
In der Neubausiedlung gegenüber herrscht vor allem Mitgefühl mit den | |
Obdachlosen. „Die Menschen da stören mich nicht, aber es wäre schöner, wenn | |
man sie wieder in die Gesellschaft integrieren würde, anstatt sie hier an | |
den Stadtrand abzuschieben“, sagt einer der neuen Hausbesitzer*innen. Dass | |
sich die Stadt zu wenig um die Unterkunft und deren Bewohner*innen | |
kümmert, sieht man hier so wie in der Unterkunft. | |
Tristan Jorde von der Linkspartei hat sich der Unterkunft und ihrer | |
Bewohner*innen angenommen. Schon vor dem neuesten Antrag wies seine | |
Partei immer wieder auf die Lage am Fredenbecker Weg hin. Im November | |
forderte Jorde, dass das Problem im Sozialausschuss und nicht im | |
Sicherheitsausschuss diskutiert wird – und stieß damit auf Ablehnung. „Es | |
ist eine langjährige, traurige Geschichte“, sagt er. „Die Bewohner leben in | |
menschenunwürdigen Verhältnissen und für die Stadt sind sie nur eine Frage | |
der Sicherheit.“ | |
Im Februar [2][kündigte die Stadt ein Konzept an], welches jedoch nie | |
erschien. Eine Ausschusssitzung im Juni wurde kurzfristig abgesagt – wohl | |
weil am selben Tag das Ratsschießen stattfand. Die Ablehnung seines neusten | |
[3][Antrags], ein Konzept zu erstellen, kann Jorde nicht verstehen: | |
„Niemand von den anderen Fraktionen hat auch nur erwogen, die Betroffenen | |
einzubeziehen“, sagt er. „Das scheint völlig außerhalb des Denkradius zu | |
liegen.“ | |
Die Lebensraum-Diakonie, mit der die Stadt seit 2019 bei der Bekämpfung der | |
Obdachlosigkeit kooperiert, soll nun einen Bericht vorlegen, der die Lage | |
der Obdachlosen in Stade erfasst. Dann könne gehandelt werden. Die Menschen | |
in der Unterkunft müssen also weiter warten. | |
17 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Umgang-mit-Obdachlosen-in-Stade/!5878830 | |
[2] https://www.kreiszeitung-wochenblatt.de/stade/c-politik/stader-dauerthema-u… | |
[3] https://sessionnet.krz.de/stade/bi/getfile.asp?id=63737&type=do | |
## AUTOREN | |
Ben Reddig | |
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