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# taz.de -- UN-Menschenrechtsbericht zu China: Verbrechen gegen die Menschlichk…
> Wenige Minuten vor Ende ihrer Amtszeit veröffentlicht die
> UN-Menschenrechtskommissarin ihren lang erwarteten Xinjiang-Bericht. Er
> enthält schwere Vorwürfe.
Bild: Wartete bis zum letzten Moment: Die jetzt ehemalige UN-Menschenrechtskomm…
Peking taz | 12 Minuten, bevor die Amtszeit von
UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet endete, veröffentlichte sie
ihren bis dato am stärksten erwarteten [1][Bericht]. Auf 48 Seiten legt die
70-Jährige die „schwerwiegenden Menschenrechtsverbrechen“ der chinesischen
Regierung in Xinjiang dar, bei denen es sich möglicherweise gar um
„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ handelt. Dies wäre nicht nur eines
der gravierendsten Vergehen unter dem Völkerrecht überhaupt, sondern nähme
zwangsläufig auch die internationale Staatengemeinschaft in die
Verantwortung. „Das ist kein inländisches Problem“, kommentierte Patricia
Flor, die neue deutsche Botschafterin in Peking. auf Twitter:
„Terrorbekämpfung kann keine Menschenrechtsverbrechen entschuldigen“.
Die Anschuldigungen des Berichts sind massiv: Am detailliertesten geht er
auf die politischen [2][“Umerziehungslager“] ein, in denen Chinas Regierung
in den letzten Jahren hunderttausende Uiguren, Angehörige eines
muslimischen Turkesvolk, gesteckt hat. Der Bericht hält es für gesichert,
dass „ein substantieller Anteil der uigurischen Bevölkerung“ Opfer
willkürlicher „Freiheitsberaubung“ wurde. Zudem seien die Insassen laut
Augenzeugenberichten „körperlicher Folter“ und „sexueller Gewalt“ und
„Zwangsarbeit“ ausgesetzt, was der UN-Bericht als glaubhaft einstuft.
Nicht zuletzt wird auf die „stark eingebrochenen Geburtenraten“ in mehreren
Landkreisen Xinjiangs hingewiesen, die bis zu 50 Prozent betragen – laut
Experten Indiz für Zwangssterilisierungen der weiblichen Bevölkerung. Der
Bericht spricht etwas zaghafter von „erzwungener Durchsetzung von
Familienplanungsvorschriften“.
Die Gretchen-Frage wird in dem Dokument jedoch nicht beantwortet, ja nicht
einmal gestreift: Ob es sich bei den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang
möglicherweise um einen Genozid handelt, wie einige westliche Regierungen
behaupten. Die Anforderungen für diesen Strafbestand sind nahezu unmöglich
zu dokumentieren, da dies die nachweisliche Absicht voraussetzt, „eine
Gruppe ganz oder teilweise zu vernichten“.
## Keine neuen Erkenntnisse, dafür Öffentlichkeit
Zu den Quelle des Berichts gehörden Interviews mit 40 betroffenen Uiguren,
die teilweise in Internierungslagern eingesperrt waren. Auch wurden mehrere
Regierungsleaks ausgewertet, deren Echtheit zuvor überprüft worden war. Vor
allem aber sind ein Großteil der Quellen offiziell zugängliche Statistiken
und Daten der Regierung. Dies lässt die Argumentation von Peking, dessen
Staatsführung sämtliche Vorwürfe kategorisch, besonders schwach erscheinen:
Wie kann sie ein Dokument als „Farce westlicher Regierungen“ abtun, wenn es
maßgeblich auf eigenen Quellen beruht?
Der UN-Bericht liefert keine neue Erkenntnisse, denn die
Menschenrechtsverbrechen sind schon detailliert von Forschern und
investigativen Journalisten dokumentiert worden. Doch die Bestätigung durch
die Vereinten Nationen verleiht der Thematik nicht nur eine
Medienöffentlichkeit, sondern auch größere Glaubwürdigkeit.
Dabei ist der Bericht in seiner Sprache zaghaft und in seinen Rückschlüssen
konservativ gehalten. Vielen Menschenrechtsanwälten geht er deshalb nicht
weit genug. „Keine Erwähnung eines Genozids, kein Analyseversuch, ob die
Behandlung der Uiguren jenes Kriterium erfüllen würde“, kritisiert etwa die
Menschenrechtsanwältin Emma Reilly per Twitter.
## Massiver Druck auf Bachelet
Doch findet das Dokument bei den meisten Experten Anklang. Der deutsche
Forscher Adrian Zenz, der in den letzten Jahren die Umerziehungslager in
Xinjiang dokumentiert hat, meint: „Zwar ist der Bericht nicht perfekt und
viele Beweise wurden nicht verwendet. Doch wird er eine starke Grundlage
dafür bieten, Peking zur Rechenschaft zu ziehen“. Human Rights Watch nannte
den Bericht „wegweisend“ und forderte eine offizielle Präsentation vor dem
UN-Menschenrechtsrat in Genf.
Doch ob es dazu kommt, ist fraglich. Peking hatte schon im Vorfeld massiv
Druck auf Bachelet ausgeübt, von der Publikation abzusehen. Dafür
mobilisierte Chinas Regierung in einem Brief insgesamt 40 Staaten, die
diese Auffordrung ebenfalls unterzeichnet hatten.
In der Tat ist Bachelet schon [3][Kritik mehrfach gegenüber Peking
eingeknickt]. So stimmte sie einem hoch-orchestrierten Xinjiang-Besuch im
Mai zu, um im Gegenzug den bereits fertigen UN-Bericht um weitere Monate zu
verschieben. Während ihrer China-Reise ließ sie sich zudem von Pekings
Propaganda einspannen und bezeichnete in einer befremdlichen
Pressekonferenz die politischen „Umerziehungslager“ als
„Ausbildungszentren“.
Die Befürchtung, dass die UN-Kommissarin ihr Amt nachhaltig beschädigt hat,
erwiesen sich jedoch rückblickend als unbegründet. Es gibt in dem am
Mittwoch veröffentlichten Bericht nämlich keinerlei Hinweise darauf, dass
Pekings Druck die Substanz des Dokuments verwässern konnte.
## Xi und die Nationalismus-Karte
Ob der Bericht weitreichende Konsequenzen haben wird, bleibt offen. Die UN
forderte bereits, dass China die Opfer der willkürlichen Freiheitsberaubung
und anderer Menschenrechtsverbrechen finanziell entschädigt. Auch sollen
andere Staaten keine Uiguren und Angehörige muslimischer Minderheiten mehr
nach China abschieben. Der Bericht dürfte auch als Grundlage für
Regierungen dienen, einzelne chinesische Regierungsvertreter und
Unternehmen mit Sanktionen zu belegen.
Dass sich Peking aber inhaltlich auf die Kritik einlässt, gilt als nahezu
ausgeschlossen. Parteichef Xi Jinping steht derzeit vor der wichtigsten
Herausforderung seiner Laufbahn: Mitte Oktober wird der 69-Jährige inmitten
einer Wirtschaftskrise seine umstrittene dritte Amtszeit verkünden – und
auf den Bericht der UN wohl zweigleisig reagieren: Einerseits wird der
Zensurapparat dafür sorgen, dass die Anschuldigungen nicht ihren Weg in die
chinesische Öffentlichkeit finden. Und zugleich wird Xi weiter die
Nationalismus-Karte spielen und das Narrativ etablieren, dass China das
Opfer eines feindlich gesinnten Westens unter Führung Washingtons ist, das
die Volksrepublik an ihrem rechtmäßigen Aufstieg zur Weltmacht hindert.
1 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.ohchr.org/sites/default/files/documents/countries/2022-08-31/22…
[2] https://www.icij.org/investigations/china-cables/xinjiang-police-files-uygh…
[3] /UN-Menschenrechtspolitik/!5854787
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
## TAGS
China
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