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# taz.de -- Rede zur Lage der Union in Straßburg: Die Frau der großen, vagen …
> In ihrer Rede zeigt sich Kommissionspräsidentin von der Leyen solidarisch
> mit der Ukraine. Wie es mit dem Krieg weitergehen soll, bleibt jedoch
> offen.
Bild: Große Geste, richtige Farben – Ursula von der Leyen hält ihre Rede vo…
Brüssel taz | Eine große Rede zur „Lage der Europäischen Union“ hatte
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt. Um die
Energiekrise und die Ängste der Menschen in diesem Kriegsherbst sollte es
gehen, viele Hoffnungen waren mit dem Auftritt im Europaparlament in
Straßburg am Mittwoch verbunden.
Doch dann drehte sich erst mal alles um die Ukraine. In der ersten Reihe
saß Olena Selenska, die First Lady aus Kiew, sie war eigens angereist. Dann
kam von der Leyen: Sie war demonstrativ in den ukrainischen Landesfarben
gekleidet: gelber Blazer auf blauer Bluse. Blau und gelb ist dann auch ihre
Rede. „Nie zuvor wurde in diesem Haus über die Lage unserer Union
debattiert, während auf europäischem Boden Krieg herrscht“, setzt die
CDU-Politikerin an. „Slava Ukraini“ – Ruhm der Ukraine – ruft sie an ei…
zentralen Stelle aus.
Nicht weniger als 28-mal wird von der Leyen an diesem Tag die Ukraine
ansprechen, sie ist Dreh- und Angelpunkt ihres 57-minütigen Vortrags. Doch
wer große Neuigkeiten erwartet hatte, wird enttäuscht. Die Ukrainer sollen
bald keine Roaminggebühren fürs Handy mehr bezahlen und besseren Zugang zum
Binnenmarkt erhalten, das war’s.
Ansonsten: Im Osten nichts Neues. Keine neuen Waffen, keine weiteren
Sanktionen, auch keine diplomatische Initiative, die angesichts des
ukrainischen Vormarschs endlich denkbar wäre. Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) setzt [1][auf eine Verhandlungslösung], von der Leyen offenbar nicht.
„Das ist die Zeit für uns, Entschlossenheit zu demonstrieren und kein
Appeasement“, betont die ehemalige Verteidigungsministerin. Europa habe
seit dem ersten Tag an der Seite der Ukraine gestanden und werde dies auch
weiter tun. „Putin wird scheitern, die Ukraine und Europa werden sich
durchsetzen.“
Der Beifall ist mäßig. Er wird auch nicht größer, als sich die
Kommissionspräsidentin endlich den Themen zuwendet, die den Menschen in der
EU wohl auf den Nägeln brennen. Werden wir heil [2][durch Herbst und Winter
kommen], wie sollen wir die Strom- und Gasrechnung bezahlen? Und was tut
Brüssel konkret für uns? Von der Leyen weicht diesen unangenehmen Fragen
aus. Sie flüchtet in die hohe Politik – und attackiert erst mal Kremlchef
Wladimir Putin. Der führe einen „Energiekrieg“ gegen Europa und manipuliere
den Markt. Nur deshalb gebe es Probleme. Eigene Versäumnisse kann sie nicht
erkennen.
Den Sommer verschlafen
Dabei diskutiert die EU schon seit einem Jahr über die [3][explodierenden
Gas- und Strompreise]. Die EU-Kommission habe viel zu spät auf die
explodierenden Preise reagiert, klagt Ratspräsident Charles Michel. „Wir
haben den Sommer verschlafen“, kritisiert sogar der Chef der konservativen
EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber.
Doch nun soll plötzlich alles ganz schnell gehen. Die geplante Abschöpfung
der Gewinne von Stromerzeugern werde den Mitgliedstaaten „mehr als 140
Milliarden Euro einbringen“, sagt die Kommissionspräsidentin. Das Geld
werde „denjenigen zugute kommen, die es am meisten brauchen“.
Wie das gehen soll, bleibt allerdings offen. Darüber müssen die
Energieminister auf einer Krisensitzung Ende September entscheiden. Das
letzte Treffen am vergangenen Freitag war ohne greifbare Ergebnisse zu Ende
gegangen. Danach hatte von der Leyen ihren radikalsten Vorschlag – einen
Preisdeckel für russisches Gas – fallen lassen. Er fand keine Mehrheit.
Weniger Wettbewerbsfähigkeit
Nun versucht sie es mit unverbindlichen Vorschlägen, die allen gefallen und
niemandem weh tun. In der Krise müssten auch die Krisengewinner zur Kasse
gebeten werden, sagte sie. Das sei ein Gebot der sozialen Marktwirtschaft.
Ob das reicht, um die EU durch die Krise zu bringen, ist offen. Die
Gewerkschaften sind skeptisch.
Nun gehe es darum, die „warmen Worte“ in einen konkreten Schutz der
Arbeitnehmer umzusetzen, sagte der Chef des Europäischen
Gewerkschaftsbunds, Luca Visentini. Die Kommissionspräsidentin habe kein
einziges Mal die Löhne erwähnt. Dabei laufen den Menschen die
Lebenshaltungskosten davon. Sorgen machen sich auch die Unternehmen. Wegen
der explodierenden Energiekosten verlieren sie rasant an
Wettbewerbsfähigkeit, einigen Firmen droht das Aus. Doch wieder weicht von
der Leyen aus. „Die bevorstehenden Monate werden nicht leicht“, räumt sie
ein. Direkte Hilfen sind jedoch nicht geplant.
Stattdessen gelobt von der Leyen, die Bürokratie abzubauen – ein
Dauerthema, das schon Edmund Stoiber (CSU) in Brüssel beschäftigt hat.
Zudem kündigt sie ein „Jahr der Aus- und Weiterbildung“ an – sogar auf
Deutsch, damit es die Arbeitgeber in Berlin oder München besser verstehen.
Danach wurde es bunt und beliebig. Von der Leyen würdigte Queen Elizabeth
(„eine Legende“), klagte über das Ende der alten Weltordnung und kündigte
eine neue Außenpolitik an, die sich auf westliche Werte stützen soll.
Künftig werde man mehr mit gleichgesinnten Partnern zusammenarbeiten und
sich von China unabhängiger machen.
Zudem versprach sie, die Staaten des westlichen Balkans sowie Moldau und
die Ukraine in die EU aufzunehmen: „Ohne euch ist unsere Union nicht
komplett.“ Damit schloss sich der Kreis, jedenfalls aus Sicht der
EU-Präsidentin. Am Abend reiste sie nach Kiew, um mit Präsident
[4][Wolodymyr Selenskyj] über die künftige, noch engere Zusammenarbeit zu
beraten. Die Probleme der EU wird sie dort allerdings nicht lösen können.
„Von der Leyen unterschätzt die sozialen Probleme“, kritisierte der
SPD-Europapolitiker Jens Geier nach der Rede in Straßburg. „Wir vermissen
Action bei der Durchsetzung des Rechtsstaats“, sagte Ska Keller von den
Grünen.
Vor allem Ungarn und Polen setzen sich immer wieder über Demokratie und
Rechtsstaat hinweg. Doch von der Leyen hat diese Länder in ihrer Rede mit
keinem Wort erwähnt. Es ist ihr offenbar leichter gefallen, über die
Ukraine zu sprechen, als über die Probleme vor der eigenen Haustür.
14 Sep 2022
## LINKS
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[3] /Preise-fuer-Gas-und-Strom/!5876615
[4] /Biografie-ueber-Selenski/!5868806
## AUTOREN
Eric Bonse
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Energiekrise
Gasknappheit
GNS
EU-Kommission
Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen
Ska Keller
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Strompreisbremse
FDP
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