| # taz.de -- Vor der Parlamentswahl in Schweden: Bullerbü auf Abwegen | |
| > Am Sonntag wählt Schweden. Im sonst inhaltslosen Wahlkampf gab es nur ein | |
| > Thema: Bandenkriminalität. Am Ende könnte eine Rechtskoalition siegen. | |
| Bild: Schwedens sozialdemokratische Ministerpräsidentin Andersson und Herausfo… | |
| Stockholm taz | Wenn die Schweden am 11. September ihren nationalen | |
| Reichstag und die regionalen und kommunalen Parlamente neu wählen, geht es | |
| um „rödgrön“ oder „blåbrun“ – um Rot-Grün oder Blau-Braun. Bei de… | |
| Umfragen lag mal die rechte, mal die linke der aus jeweils vier Parteien | |
| bestehenden Regierungsalternativen hauchdünn in Führung: Entweder weiter | |
| mit einer Mitte-links-Regierung unter Führung der sozialdemokratischen | |
| [1][Ministerpräsidentin Magdalena Andersson], oder eine Konstellation, die | |
| parlamentarisch das gesamte Parteienspektrum rechts der Mitte unter | |
| Einschluss der rechtsextremen Schwedendemokraten abdeckt. | |
| Es wäre ein Novum für Schweden. Bei allen vorausgegangenen Wahlen hatte es | |
| noch eine gemeinsame Front aller sieben übrigen Reichstagsparteien | |
| gegenüber den Schwedendemokraten gegeben. | |
| Die Partei wurde 1988 gegründet und hat ihre Wurzeln in Schwedens | |
| militanter Neonaziszene, bei deren Aufmärschen noch Anfang der 1990er Jahre | |
| „Sieg Heil!“-Rufe skandiert wurden. Waren damals die Juden für alles Übel | |
| verantwortlich, übernahmen diese Rolle später Muslime. Sie seien Schwedens | |
| „größte Bedrohung seit dem 2. Weltkrieg“, hetzte der Parteivorsitzende | |
| Jimmie Åkesson. | |
| Gleichzeitig wehrt er sich gegen das Etikett „Braun“. Doch das | |
| Forschungsinstitut Acta publica konnte für 214 Namen auf den | |
| Kandidatenlisten der Partei zur diesjährigen Wahl „Verbindungen zu | |
| Nazismus, Rassismus und Faschismus“ nachweisen. | |
| ## Konservative: Keine Berührungsängste mit Rechtsextremen | |
| Konservative und Christdemokraten hinderte das nicht, gleich nach den | |
| Wahlen vor vier Jahren dieser Partei die Tür zu öffnen. Mittlerweile haben | |
| sich auch die Liberalen hinzugesellt, die in der zu Ende gehenden | |
| Legislatur erst Rot-Grün unterstützten und dann die Seiten wechselten. | |
| Die Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten wurde stetig ausgebaut und | |
| gipfelte im August in einer teilweise gemeinsamen Wahlkampfkampagne der | |
| vier Parteien. | |
| Mit ähnlichem Nachdruck, mit dem der Konservativen-Vorsitzende Ulf | |
| Kristersson vor vier Jahren eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten | |
| als „absolut unvorstellbar“ ausgeschlossen hatte, befürwortet er sie nun | |
| als völlig unproblematisch. Er lobt sie mittlerweile sogar dafür, dass sie | |
| als einzige Partei darauf beharrt hätten, „dass wir nicht mehr Einwanderung | |
| haben dürfen“. Rassistische Ausfälle führender Schwedendemokraten | |
| verharmlost er als „dumme Sprüche“. | |
| Der Wahlkampf kreist um die Themen Kriminalität und Migration. Schweden hat | |
| ein massives Problem mit kriminellen Gangs. Vorwiegend bei deren internen | |
| Machtkämpfen wurde im Schnitt der vergangenen Jahre fast jede Woche ein | |
| Mensch erschossen – für Law-and-Order-Parteien ein idealer Nährboden. | |
| ## Dänemarks „Ghetto“-Gesetz als Modell | |
| So forderten die Liberalen gar Sprachtests für Zweijährige: Kinder, die der | |
| schwedischen Sprache nicht ausreichend mächtig seien, sollten ihren Eltern | |
| weggenommen werden können. „Als vorbeugenden Einsatz gegen | |
| Bandenkriminalität“ schlagen die Konservativen ADHS-Schnelltests bei | |
| Fünfjährigen vor – natürlich nur in „besonders exponierten Wohnvierteln�… | |
| Auf diese Stadtquartiere zielt auch eine von den Sozialdemokraten geplante | |
| Variante der dänischen „Getto“-Gesetzgebung. Demnach soll es bis 2030 keine | |
| Wohnviertel mehr geben, in denen eine Mehrheit der Bevölkerung | |
| „nichtnordische“ Ethnizität hat. Nicht nur inhaltlich, sondern auch | |
| rhetorisch haben die Sozialdemokraten einen Rechtsschwenk vollzogen. | |
| Für ihre Aussage „wir wollen kein Somalitown in Schweden“, erntete die | |
| Ministerpräsidentin auch heftige Kritik aus der eigenen Partei. Dass die | |
| Schwedendemokraten die Zahl von Asylsuchenden laut Åkesson „so nahe null | |
| wie möglich“ bringen wollen und schon den „Ausweisungszug“ abfahrbereit | |
| sehen – „nächste Station Kabul“, wie es ihr Justizministerkandidat Tobias | |
| Andersson twitterte – versteht sich von selbst. | |
| Angesichts solcher Äußerungen twitterte Christian Christensen, dänischer | |
| Medienprofessor an der Uni Stockholm: „Ich bin 2004 nach Schweden gezogen. | |
| Der aktuelle Wahlkampf ist der am wenigsten politikorientierte, giftigste | |
| und fremdenfeindlichste, den ich je erlebt habe.“ Inhalte wie die | |
| Entscheidung zu einer [2][Nato-Mitgliedschaft] oder die Klimakrise spielen | |
| im Wahlkampf keine Rolle. | |
| ## Das einzige Argument der Sozialdemokraten ist „Magda“ | |
| Inhalte finden sich auch bei den regierenden Sozialdemokraten kaum. Ihr | |
| einziges Argument: Magda. Die Partei setzt ganz auf die Popularität von | |
| Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, der mit weitem Abstand zu ihrem | |
| Herausforderer Kristersson eine Mehrheit der Schweden das Vertrauen | |
| schenkt. | |
| „Man geht ein enormes Risiko ein, zu 100 Prozent auf diese | |
| Vertrauensschiene zu setzen“, sagt Daniel Suhonen, Chef des | |
| gewerkschaftseigenen Think Tanks Katalys. | |
| Entscheidend dafür, ob Magda weitermachen kann, ist auch das Abschneiden | |
| der drei kleinen Parteien, die sie für einer Parlamentsmehrheit bräuchte: | |
| Die Linkspartei, das liberale Zentrum und die Grünen. | |
| In Schweden ist es nicht zwingend, dass solche „Unterstützerparteien“ auch | |
| formal Teil einer Regierungskoalition sind. Anderssons Sozialdemokraten | |
| regieren seit einem Jahr allein, nachdem die Grünen aus wahltaktischen | |
| Gründen aus der Koalition ausgeschieden waren. Jetzt wollen sie wieder Teil | |
| einer Koalition sein, was Andersson begrüßte. | |
| ## Koalitionstaktierei auf allen Seiten | |
| Erstmals will auch das Zentrum Ministerposten haben. Die Linken wolle man | |
| allenfalls über ein Regierungsabkommen einbinden, um sich deren | |
| parlamentarische Unterstützung zu sichern. | |
| Ähnlich kommunizieren es Konservative und Christdemokraten für den Fall | |
| einer Rechtskoalition. Die Schwedendemokraten könnten „diesmal noch nicht“ | |
| formal Teil der Regierung werden, sagte die Christdemokraten-Vorsitzende | |
| Ebba Busch. Der Grund: Laut einer Umfrage im Dezember 2021 denkt eine | |
| Mehrheit der Schweden, dass die Schwedendemokraten eine rassistische Partei | |
| ist. | |
| Deren Vorsitzender Åkesson hat andere Vorstellungen für die Formation des | |
| von ihm ersehnten „nationalistischen Blocks“: Seine Partei solle natürlich | |
| Teil einer Regierungskoalition sein, gerne mit ihm selbst als | |
| Ministerpräsidenten. | |
| Er kündigte bereits an, „die Spielregeln in der schwedischen Politik werden | |
| sich ganz ändern“, würden die Schwedendemokraten mehr Stimmen als die | |
| Konservativen erhalten und damit zweitstärkste Partei werden. Die letzten | |
| Umfragen sagen genau das vorher. | |
| 9 Sep 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwedens-neue-Ministerpraesidentin/!5815651 | |
| [2] /Nato-Beitritt-von-Finnland-und-Schweden/!5864582 | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
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