# taz.de -- Parlamentswahlen in Schweden: Rechtsextreme erstmals Zweite | |
> Laut vorläufigem Ergebnis hat das blau-braune Rechtsbündnis eine | |
> hauchdünne Mehrheit. Das Endergebnis wird für Mittwoch erwartet. | |
Bild: Anhänger der rechtspopulistischen Schwedendemokraten jubeln über das Wa… | |
STOCKHOLM taz | Nach den Parlamentswahlen vom Sonntag steht in Schweden | |
voraussichtlich ein Regierungswechsel an. Ein vorläufiges Ergebnis der | |
Wahlbehörde errechnete am Montagmorgen eine Mehrheit von einem Mandat für | |
die blau-braune Regierungsalternative mit Ulf Kristersson, dem Vorsitzenden | |
der konservativen Moderaten an der Spitze. | |
Die vier Parteien des rechten Flügels des Parteienspektrums – Konservative, | |
Christdemokraten, Rechtsliberale und Schwedendemokraten – würden danach auf | |
175 der 349 Reichstagsmandate kommen. Auf die derzeitige | |
sozialdemokratische Minderheitsregierung von Ministerpräsidentin Magdalena | |
Andersson und die übrigen drei Parteien des linken Flügels würden 174 | |
Mandate entfallen. | |
Lag bei den vergangenen schwedischen Parlamentswahlen üblicherweise ein | |
vorläufiges Endergebnis gegen Mitternacht vor, kam es diesmal zu einer | |
extremen Verzögerung bei der Stimmauszählung. Neue Routinen bei der | |
Stimmabgabe, auf die man sich offenbar in vielen Wahllokalen ungenügend | |
eingestellt hatte, führten zu langen Warteschlangen. In Stockholm gab es | |
vereinzelt Wartezeiten von bis zu vier Stunden. | |
Regulär sollten die Wahllokale um 20 Uhr schließen. Da aber allen | |
WählerInnen, die sich bis dahin angestellt hatten, die Möglichkeit der | |
Stimmabgabe eingeräumt werden musste, schlossen die letzten Wahllokale erst | |
rund eine Stunde vor Mitternacht. Trotzdem wurden von den Medien schon | |
gleich nach 20 Uhr Hochrechnungen aufgrund von Wahllokaluntersuchungen | |
verbreitetet, was umgehend auf Kritik stieß. | |
## Kristersson und seine Konservativen verlieren | |
Da mit einem Endergebnis erst nach der für Mittwoch vorgesehenen Auszahlung | |
von Hunderttausenden im Ausland abgegebenen Briefwahlstimmen erwartet wird, | |
zeigten sich die beiden SpitzenkandidatInnen Andersson und Kristersson in | |
der Wahlnacht zurückhaltend bei der Bewertung des Zwischenresultats. | |
Er sei jedenfalls bereit „alles zu tun, um eine neue, stabile und | |
handlungskräftige Regierung zu bilden“, kündigte Ulf Kristersson an. | |
Konkret wäre dies eine Minderheitsregierung seiner Konservativen mit den | |
Christdemokraten, die sich für eine parlamentarische Mehrheit auf die | |
Stimmen der Rechtsliberalen und der rechtsextremen Schwedendemokraten | |
stützen müsste. | |
Sollte er tatsächlich Ministerpräsident werden, dann nicht aus eigener | |
Kraft, sondern nur wegen der kräftigen Zugewinne der Schwedendemokraten. | |
Kristersson bescherte seinen Konservativen mit 19 Prozent nämlich nicht nur | |
in der zweiten Wahl in Folge ein Minusresultat, auch die Christdemokraten | |
(5,4 Prozent) und die Rechtsliberalen, die mit 4,6 Prozent nur mit Mühe die | |
4-Prozent Sperrklausel nahmen und nun kleinste Partei im Parlament sind, | |
gehören zu den Wahlverlierern. Die einzige Partei seiner | |
Regierungsalternative mit einem Plusresultat sind die Schwedendemokraten. | |
War die Partei mit ihrem Vorsitzenden Jimmie Åkesson 2010 mit 5,7 Prozent | |
erstmals in den Reichstag gekommen, hatte sie ihren Stimmenanteil vier | |
Jahre später auf 12,9 und 2018 auf 17,5 Prozent erhöhen können. Nun gewann | |
sie weitere 3,1 Prozent hinzu und konnte mit 20,6 Prozent erstmals die | |
Stimmen von mehr als einem Fünftel der WählerInnen gewinnen. | |
## Schwedendemokraten erstmals zweitstärkste Partei | |
Die Schwedendemokraten verdrängten damit die Konservativen vom Platz der | |
zweitgrößten Parlamentspartei. Schweden ist nun das EU-Land mit einer der | |
stärksten Rechtsaußenparteien. | |
Bestätigt sich das derzeitige vorläufige Resultat, wird die Regierungszeit | |
der ersten Frau an der Spitze einer schwedischen Regierung nach nur neun | |
Monaten schon wieder beendet sein. Magdalena Andersson konnte zwar den | |
Stimmenanteil für die Sozialdemokraten um 2,2 auf 30,5 Prozent steigern und | |
damit in ihren 285 Tagen als Ministerpräsidentin einen seit 20 Jahren | |
andauernden Negativtrend dieser Partei drehen. | |
Historisch gesehen ist dieses Resultat aber dennoch das zweitschlechteste | |
seit über 100 Jahren. Wenn die bisherige parlamentarische Basis, auf die | |
sie ihre Regierung stützte, kaum Chancen auf eine Reichstagsmehrheit hat, | |
dann weil der Zugewinn der Sozialdemokraten und der Grünen (5 Prozent, plus | |
0,6) durch gleichzeitige Verluste der Linken und der Zentrumsliberalen von | |
zusammen 3,4 Prozent mehr als zunichtegemacht wurde. | |
## Frauen stimmten ganz anders ab als Männer | |
Wobei Andersson das relativ gute Abschneiden ihrer Regierungsalternative | |
vor allem den Wählerinnen zu verdanken hat. Denn Männer und Frauen haben | |
bei dieser Wahl extrem unterschiedlich gestimmt. Hätten allein die Frauen | |
den Ausgang der Reichstagswahl bestimmen können, wäre das Resultat | |
eindeutig: Anderssons sozialdemokratisch geführte Regierungsalternative | |
hätte 58 Prozent, die von Kristersson nur 42 Prozent erhalten. | |
Ebenfalls mit 58 zu 42, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen, hätte ein | |
Wahlrecht nur für Männer Kristersson zum klaren Sieger gemacht. Diese | |
„rekordgroße geschlechtsspezifische Kluft“, so der Wahlforscher Jakob | |
Ahlbom, ist vor allem auf die Einstellung der Wahlberechtigten gegenüber | |
den Schwedendemokraten zurückzuführen. | |
Von den Männern stimmten 25 Prozent für diese Partei, von den Frauen nur 10 | |
Prozent. Bei keiner anderen schwedischen Partei gab es so einen großen | |
Unterschied im Wahlverhalten. | |
Erste Wahlanalysen führen das zum einen auf das unterschiedliche | |
Bildungsniveau zurück: Mehr Frauen als Männer haben in Schweden eine | |
nachgymnasiale Ausbildung. Zum anderen darauf, dass Priorität bei der | |
Wahlentscheidung der Männer viele Themenschwerpunkte der Rechtsparteien | |
waren, wie Kriminalitätsbekämpfung und Migration. | |
Während für Frauen entscheidender die Themen Bildung und Gesundheit – | |
Berufe, in denen sie oft selbst beruflich tätig sind -, sowie Umwelt und | |
Klima waren, die eher von den Parteien des linken politischen Spektrums | |
bedient wurden. | |
Wie geht es nun weiter? Bewegungen in der vorläufigen Mandatsverteilung | |
könnte es laut Wahlanalysen geben – einige halten sogar ein Pingpong hin | |
und zurück nicht für ausgeschlossen –, sind aber vermutlich eher | |
unwahrscheinlich. | |
Einem der Parteivorsitzenden den Auftrag für eine Regierungsbildung zu | |
erteilen, ist Aufgabe des Reichstagspräsidenten Andreas Norlén. Vor vier | |
Jahren hatte es angesichts eines ähnlich engen Wahlergebnisses wie jetzt | |
134 Tagen und zwei gescheiterten Abstimmungen bedurft, bevor im dritten | |
Anlauf die rot-grüne Regierung im Amt war. | |
So viel Zeit werde er den Parteien diesmal nicht einräumen, kündigte Norlén | |
schon einmal an. | |
12 Sep 2022 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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