| # taz.de -- Vor den Parlamentswahlen in Schweden: Auf dem rechten Weg | |
| > Es gibt nur ein Thema, das den Wahlkampf dominiert: die steigende | |
| > Gewaltkriminalität. Das spielt den rechten Schwedendemokraten in die | |
| > Hände. | |
| Bild: Wahlkampfbuden wie auf dem Weihnachtsmarkt: der Stand der Schwedendemokra… | |
| Uppsala taz | Bei der Linkspartei gibt es Waffeln, in der Hütte hinter | |
| ihnen werden T-Shirts mit der Aufschrift „Heja Jimmie“ verschenkt, dazu | |
| Baseball-Caps mit den aufgestickten Buchstaben „SD“ – das Kürzel steht f… | |
| Sverigedemokraterna, die Schwedendemokraten. In der roten Laube quer | |
| gegenüber können sich Passant*innen Buttons mit dem Gesicht der | |
| sozialdemokratischen Ministerpräsidentin [1][Magdalena Andersson] abholen. | |
| Zwischen den Blockhütten unterhalten sich vor dem Bahnhof von Uppsala | |
| Bürger*innen mit Politiker*innen. Es geht ums Klima, um das | |
| Gesundheitssystem – um die Polizei und die Kriminalität. Einige | |
| Schüler*innen streifen mit Klemmbrettern ausgestattet von Partei zu | |
| Partei, während andere sich darüber austauschen, wo es die besten | |
| Süßigkeiten abzustauben gibt. | |
| Auf den Außenwänden der Wahlhütten hängen Plakate. „Vi skärper straffen … | |
| rekryterar poliser“ – „Wir verschärfen Strafen und stellen mehr | |
| Polizeibeamte ein“, findet sich bei den Sozialdemokraten, „Nu får vi | |
| ordning på brotten“ – „Jetzt bringen wir Verbrechen unter Kontrolle“ b… | |
| den Moderaten, „Höhere Strafen“ bei den Schwedendemokraten. Die Hütten | |
| stehen in Zweierreihen zwischen Bahnhofseingang, Busterminal und einem | |
| Brunnen aus dem 20. Jahrhundert. Wären da nicht die Poster und Parteilogos, | |
| man könnte die temporäre Siedlung für einen Weihnachtsmarkt halten. | |
| Eine gute Woche vor den Parlamentswahlen am 11. September ist der Asphalt | |
| vor dem Bahnhof noch nass, während die Sonne schon auf die neun Holzhütten | |
| scheint: die acht im Parlament vertretenen Parteien haben je eine, während | |
| sich die dort nicht vertretenen Kleinparteien „Feministische Initiative“ | |
| und „Wendepunkt“ eine kleinere Holzlaube teilen müssen. Die | |
| Sozialdemokraten tragen rote Regenjacken, die Moderaten blaue T-Shirts und | |
| Hoodies, die Schwedendemokraten weiße Stoffjacken und Baseball-Caps. Viele | |
| Menschen, die den Bahnhof passieren, statten den Wahlhütten einen Besuch | |
| ab. Einige holen sich Flyer ab. | |
| ## Schwedendemokraten im Aufwind | |
| Es läuft gut für die rechtspopulistischen [2][Schwedendemokraten]. In den | |
| aktuellen Wahlumfragen liegt die Partei mit der blaugelben Blume als Logo | |
| bei knapp 20 Prozent. Die bürgerlich-konservativen Moderaten stehen bei | |
| knapp 18 Prozent, während die Sozialdemokraten mit rund 29 Prozent vorne | |
| liegen. Wer die nächste schwedische Regierung stellen wird, scheint offen. | |
| Das knallgelbe „Heja Jimmie“-T-Shirt, das die Schwedendemokraten | |
| verschenken, bezieht sich auf [3][Jimmie Åkesson]. Seit 2005 ist der | |
| 43-Jährige Parteivorsitzender der Rechtspopulisten. Besonderen Aufschwung | |
| erhielt die Partei nach der Flüchtlingskrise, stieg bei der Wahl im Jahr | |
| 2018 auf 17 Prozent und sicherte sich 61 der insgesamt 349 | |
| Abgeordnetenmandate. In diesem Wahlkampf hängt ein Plakat mit einem | |
| Flugzeug und der Aufschrift „Ausländer ausweisen“ an der Außenwand der | |
| Wahlhütte. Doch warum liegt die Partei in den Umfragen so weit vorn? | |
| „Grund dafür sind Schießereien und Bandenkriminalität“, erklärt Jenny | |
| Jansson, eine Politikwissenschaftlerin am Department of Government der | |
| Universität Uppsala. „Die Schwedendemokraten machen die Migrationspolitik | |
| für das Problem verantwortlich.“ Seit Jahren nimmt die Kriminalität in | |
| manchen Vierteln schwedischer Städte zu. Darauf sei die schwedische Polizei | |
| nicht vorbereitet gewesen, sagt Jansson. „Man kann das Problem jedoch auch | |
| anders betrachten und nicht wie die Schwedendemokraten die Migration | |
| kritisieren, sondern die Gründe in der Armut ausfindig machen.“ | |
| „Wir haben ein großes Problem mit Gangs in Schweden. Während der großen | |
| Migrationswelle ist es nicht gelungen, dass die Menschen, die hier ankamen, | |
| die Sprache lernen, sich weiterbilden, einen Job finden – viele können | |
| deswegen nur in der Kriminalität Geld verdienen“, sagt David Perez. Der | |
| Abgeordnete der Schwedendemokraten trägt Brille, eine weiße Jacke mit | |
| seinem Parteilogo und Jeans. Er möchte, dass sich die Schwed*innen | |
| sicherer fühlen und setzt sich dafür ein, dass Menschen, die ins Land | |
| einwandern, schnell die Sprache lernen und Arbeit finden. | |
| Am Sonntagmittag, eine Woche vor der Parlamentswahl, betreut David Perez | |
| zusammen mit drei Parteifreunden die Wahlhütte der Rechten. Das von den | |
| Schwedendemokraten angebotene Rezept gegen die sich ausbreitende | |
| Gewaltkriminalität lautet: mehr Polizei, mehr Sicherheitskameras und die | |
| Einrichtung von speziellen Zonen, in denen die Polizei nach dänischem | |
| Vorbild anlasslose stichprobenartige Personenkontrollen einschließlich der | |
| Untersuchung von Kleidung und anderen Gegenständen sowie von Fahrzeugen | |
| durchführen darf. | |
| Perez’ politische Laufbahn begann bei den [4][Moderate]n, der | |
| bürgerlich-konservativen Partei, bei der sich der heute 32-Jährige jedoch | |
| nicht zu Hause fühlte. Er sagt, dass in seinem spanisch-schwedischen | |
| Elternhaus schon immer offen und laut debattiert wurde. Deshalb, so sagt | |
| er, der Schwenk zu den Schwedendemokraten. Doch stimmt Perez mit seiner | |
| Migrationsgeschichte mit allem, was die Rechtspopulistischen von sich | |
| geben, überein? „Ich glaube, dass es keine Partei gibt, mit der man in | |
| allen Belangen übereinstimmt“, lautet die Antwort. Er drückt sich bedacht | |
| aus, legt Denkpausen ein. Wo seine Meinung von der Parteilinie abschweift, | |
| will er für sich behalten. | |
| Die Rechtspopulisten scheinen bei dieser Wahl salonfähig zu sein. Perez | |
| sagt, dass sich auch immer mehr Frauen, die sich wegen der | |
| Gewaltkriminalität unsicher fühlten, mit den Schwedendemokraten ins | |
| Gespräch kommen wollten. Bei den Angeordneten der Partei spiegelt sich das | |
| bisher nicht wider: Lediglich 15 der 61 Abgeordneten im Stockholmer | |
| Parlament sind Frauen. | |
| Auch die anderen großen Parteien haben die Themen Sicherheit und | |
| Kriminalität oben auf ihrer Agenda. „Die Lage in Schweden ist schrecklich“, | |
| sagt Jessika Roswall von den Moderaten dazu. Seit zwölf Jahren vertritt die | |
| 49-Jährige die bürgerlich-konservative Partei im Stockholmer Reichstag. Sie | |
| findet, dass die Polizeiausbildung endlich bezahlt werden sollte, außerdem | |
| befürwortet sie (wie auch die Schwedendemokraten) härtere Strafen für | |
| Kriminelle. „Aber auch die Schulen müssen bessere Arbeit leisten, genauso | |
| wie die Eltern, damit junge Menschen nicht kriminell werden“, merkt sie an. | |
| „Freiheit und Verantwortung“ sind die beiden Werte, die die Juristin nach | |
| ihren eigenen Worten dazu bewegt haben, sich politisch zu engagieren. | |
| Neun Tage vor der Wahl spricht Roswall vor der blauen Holzlaube der | |
| Moderaten mit Bürger*innen. Danach geht es sie für in die Ortschaft Tierp, | |
| eine Autostunde nördlich von Uppsala. „Dort gibt es keine großen Plätze, | |
| man spricht die Menschen vor dem Supermarkt an oder klopft an Türen.“ Die | |
| Juristin lächelt, als sie das sagt. Sie trägt Jeans und eine blaue Jacke | |
| mit dem Logo ihrer Partei, darunter ein weißes T-Shirt, von dem aus der | |
| Parteivorsitzende Ulf Kristersson mit Hund die Wähler*innen anlächelt. | |
| Der Weg von Uppsala nach Tierp führt an kleinen Dörfern zwischen Feldern | |
| und Wäldern vorbei. Eines dieser Dörfer trägt den Namen Björklinge und hat | |
| genau 3.269 Einwohner*innen. Dort klopft einen Tag später Ardalan Shekarabi | |
| an die Türen. Er ist Spitzenkandidat der Sozialdemokraten für die Region | |
| Uppsala und Minister für soziale Sicherheit. | |
| ## Eine große Koalition ist unwahrscheinlich | |
| Auch wenn die Sozialdemokraten die derzeit stärkste Partei sind und die | |
| Regierung stellen, so führen sie doch nur eine [5][Minderheitsregierung] | |
| und sind auf die Unterstützung des rot-grünen Blocks, angewiesen, also auf | |
| die Zustimmung der Linkspartei, der Zentrumspartei und der Grünen. Schon | |
| seit Jahrzehnten hat keine Partei in Schweden mehr die absolute Mehrheit im | |
| Parlament erreichen können. | |
| „Mit acht Parteien im Reichstag war es bei der letzten Wahl schwer, eine | |
| Regierung zu formen. Eigentlich muss die Regierung 19 Tage nach der Wahl | |
| stehen. Im Jahr 2018 dauerte es 134 Tage“, sagt Politikwissenschaftlerin | |
| Jansson. Erst als die bürgerliche Zentrumspartei den Sozialdemokraten ihre | |
| Unterstützung zusagte, war eine Einigung gefunden. Doch könnten die zwei | |
| großen Parteien, die Sozialdemokraten und die Moderaten, nach der kommenden | |
| Wahl nicht eine Koalition eingehen? „Ich glaube nicht, dass es eine GroKo | |
| in Schweden geben wird“, urteilt die Politikwissenschaftlerin. „Die | |
| bürgerlich-konservativen Moderaten und die Sozialdemokraten haben ihre | |
| Identitäten gegeneinander aufgebaut, hatten schon immer entgegengesetzte | |
| Lösungsansätze“, führt sie aus. | |
| Minister [6][Ardalan Shekarabi] setzt sich für mehr Chancengleichheit ein. | |
| Er möchte private Schulen stärker regulieren und mehr | |
| Beschäftigungsmöglichkeiten am derzeit ziemlich spezialisierten | |
| Arbeitsmarkt schaffen.“Die Schweden sind eine starke Wirtschaft gewohnt“, | |
| merkt der 43-Jährige an. Nun ist diese einst stabile Wirtschaft durch die | |
| Energiekrise infolge des Kriegs gegen die Ukraine nicht mehr sicher. Die | |
| Themen Energie und Arbeit rücken in den Fokus. Das ist schlecht für die | |
| Menschen, jedoch möglicherweise gut für die Sozialdemokraten, die vor allem | |
| mit sozialen Themen punkten und von der Mittelschicht gewählt werden. | |
| Gemeinsam mit Sebastian Rasmusson, dem Vorsitzenden des Jugendverbands der | |
| Sozialdemokraten der Region Uppsala, läuft der Minister in einer | |
| Einfamilienhaussiedlung von Tür zu Tür, begleitet von zwei Bodyguards, die | |
| aber im Hintergrund bleiben und einige Meter Abstand halten. Vor einer | |
| Garage lädt ein Elektro-Volvo. Hinter einem Backsteinhaus hoppelt ein | |
| Kaninchen vor seinem Käfig auf dem gestutzten Rasen. Die Straßen sind | |
| unbefestigt, an einigen Bäumen hängen reife Kirschen, Äpfel und | |
| Vogelbeeren. In den kleinen Vorgärten blühen Sonnenhüte und Rosen. | |
| Alle zwei bis drei Häuser öffnet jemand, im Hintergrund hört man Kinder | |
| lachen, die zwei kurze Straßen weiter auf einem kleinen Spielplatz spielen. | |
| In den meisten Fenstern hängen die Gardinen so, dass man von außen einen | |
| Blick in das Leben der Menschen erhaschen kann, die dort wohnen. Die | |
| Nachbarschaft strahlt Sicherheit und Ordnung, aber auch Gemütlichkeit aus. | |
| Obwohl es viele solcher Orte in Schweden gibt – es existiert auch eine | |
| andere Seite Schwedens, die diese Wahl dominiert: die Stadtteile, in denen | |
| es zu [7][Bandenkriminalität] kommt. | |
| ## Die Blutspur der Gewalt | |
| Allein in diesem Jahr sind bisher 44 Menschen in Schweden erschossen | |
| worden, und das bei nur rund zehn Millionen Einwohnern. Das Problem | |
| betrifft mittlerweile nicht nur Großstädte, sondern auch kleine Ortschaften | |
| wie Örebro, 170 Kilometer westlich von Uppsala, wo im Mai innerhalb von | |
| acht Tagen drei Männer erschossen wurden. | |
| Die Polizei geht davon aus, dass alle Delikte mit der um sich greifenden | |
| Bandenkriminalität in Verbindung stehen. In einem Bericht über Schießereien | |
| in Europa belegt Schweden nach Kroatien den zweiten Platz. Die Polizei hat | |
| im vergangenen Jahr im ganzen Land 61 „gefährdete Gebiete“ ausgemacht, in | |
| denen es vermehrt zu Schießereien kam. Dort sind die Einwanderungsquote und | |
| Arbeitslosenquote hoch und der Bildungsstand und die Wahlbeteiligung | |
| niedrig. | |
| In Uppsala betreffe das den Stadtteil Gottsunda, merkt Jessika Roswall von | |
| der bürgerlich-konservativen Partei an. „Dort sehen wir Probleme mit | |
| Drogenkriminalität und Gangs“, sagt sie. Schon vor fünf Jahren setzte die | |
| Polizei den Stadtteil im Süden Uppsalas auf die Liste besonders gefährdeter | |
| Gebiete, in denen es vermehrt zu Gewalt und Schusswaffengebrauch kommt. Wie | |
| auch die Schwedendemokraten fordert Roswall, dass dort Personen nach dem | |
| dänischen Modell durchsucht werden können. | |
| Zurück bei Ardalan Shekarabi in Björklinge: An einer Türe öffnet ein Kind, | |
| das nach der Vorstellung des Sozialdemokraten nach seiner Mutter ruft. Die | |
| hat schon gewählt, berichtet sie, sagt jedoch nicht, welche Partei. „Gut, | |
| dass du gewählt hast“, entgegnet der Minister für soziale Sicherheit. An | |
| der Hausnummer 19 flattert über der Garage eine Schwedenflagge im Wind. | |
| Anders als in Deutschland ist das hier nichts Außergewöhnliches. | |
| Die Gespräche an vielen Türen sind kurz. Ein älterer Mann öffnet, sagt, er | |
| hätte schon sein Kreuzchen bei den Sozialdemokraten gemacht. Bleibt die Tür | |
| verschlossen, landet ein Flyer im Briefkasten. „Um die Kriminalität in | |
| Schweden zu bekämpfen, müssen wir für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen“, | |
| sagt Shekarabi. Er hat einen schnellen Schritt und eine ruhige Stimme. | |
| Der Minister ist in Manchester geboren und verbrachte seine Kindheit im | |
| Iran. Im Jahr 1989 beantragte seine Familie in Schweden Asyl. Shekarabi | |
| trägt eine beige Hose und über seinem dunkelblauen Pulli eine knallrote | |
| Jacke mit einer aufgedruckten Rose auf der Brust, dem Symbol der | |
| Sozialdemokraten. | |
| Zwischen den Wahlhütten am Bahnhof und an den Türen in den Ortschaften geht | |
| es um die Verbesserung der Lebensverhältnisse und die Sicherung eines | |
| Lebensstandards. Im hochdigitalisierten Schweden verläuft der Wahlkampf | |
| ziemlich analog. | |
| Das Problem der Bandenkriminalität ist nicht einfach eine Erfindung der | |
| Rechten, es bewegt die Menschen – nicht nur die direkt Betroffenen, sondern | |
| auch jene, die einfach Angst haben. Das Problem bewegt jedoch nicht nur die | |
| Menschen, sondern auch die Stimmanteile – und zwar nach rechts außen. Und | |
| so gibt es schon einen Wahlgewinner: die schwedische Polizei. | |
| Könnten die Schwedendemokraten ab dem Herbst das Land regieren? Die | |
| Politikwissenschaftlerin Jansson hält das für unwahrscheinlich, betont | |
| aber, dass eine konservative Regierung aus Moderaten und Christdemokraten | |
| wahrscheinlich auf die Unterstützung der Rechtspopulisten angewiesen wäre. | |
| „Wenn der Block der konservativen Parteien nach dieser Wahl der größte | |
| wird, dann stehen intensive Regierungsverhandlungen an“, sagt sie. | |
| 8 Sep 2022 | |
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| [5] /Regierungsbildung-a-la-Skandinavien/!5461418 | |
| [6] https://de.wikipedia.org/wiki/Ardalan_Shekarabi | |
| [7] https://www.deutschlandfunk.de/schweden-bandenkriminalitaet-gewalt-tod-ausw… | |
| ## AUTOREN | |
| Klaudia Lagozinski | |
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