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# taz.de -- Hilfe bei psychischen Erkrankungen: Unüberbrückbare Zeit
> Wer einen Therapieplatz braucht, muss lange warten. Im Koalitionsvertrag
> wird Besserung angekündigt. Bisher bleibt es aber nur ein Versprechen.
Bild: Bei einem gebrochenen Bein ist schnelle Hilfe gesichert, bei psychischen …
Psychische Erkrankungen aus der Tabuzone holen: ein Ziel, das die Ampel in
ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat. Während es bei der Regierung zu
diesem Thema seither eher ruhig geworden ist, sprechen immer mehr Personen
aus dem öffentlichen Leben über ihre Erkrankungen. Komiker Alexander
Bojcan – bekannt als Kurt Krömer – und die Schauspielerin Nora Tschirner
stehen exemplarisch für viele Menschen. Und auch wenn es wünschenswert
wäre, diesen Schritt 2022 nicht mehr mutig nennen zu müssen, ist es genau
das: mutig.
Denn die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen ist noch immer ein
großes Problem. „Mir ist jetzt egal, ob sich jemand darüber das Maul
zerreißt. Ob das jemand als Schwäche auslegt“, [1][schreibt Mattheus Berg
in einem Thread auf Twitter.] Der 21-Jährige hat seinen Geburtstag am
Montag zum Anlass genommen, seine Depressionen mit mehr als 10.000
Follower*innen zu teilen. Berg ist Social-Media-Mitarbeiter der SPD im
Bundestag.
SPD-Kollege und [2][Gesundheitsminister Karl Lauterbach bedankte sich] noch
am selben Abend auf Twitter für Bergs Mut und nutzte die Gelegenheit, um
deutlich zu machen, wie gut es um die gesundheitliche Versorgung psychisch
Erkrankter in Deutschland steht: „Es gibt sehr gute Behandlungen und für
die allermeisten eine sehr gute, erreichbare Lebensqualität.“
Keine Frage, dass es sehr gute Therapeut*innen gibt und eine Therapie
die Lebensqualität verbessern kann. Doch [3][ohne Zugang zu ihr hilft sie
herzlich wenig]. Es scheint, als hätte der Gesundheitsminister in seiner
Aussage glatt vergessen, warum sich die Bundesregierung im
Koalitionsvertrag für eine Reform der psychotherapeutischen Bedarfsplanung
und eine Verbesserung der ambulanten Versorgung ausgesprochen hat: Weil es
nicht gut um sie steht.
## Lange Wartezeiten auf Therapieplätze
Laut dem Gesundheitsministerium leidet fast jeder dritte Mensch im Laufe
seines Lebens an einer „behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung“. Im
ersten Coronajahr 2020 waren sie die häufigste Ursache für stationäre
Krankenhausbehandlungen von jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren. Die
Pandemie hat die Erkrankungen deutlich ansteigen lassen. Und dennoch sind
die Wartezeiten auf einen Therapieplatz lang. Die
Bundespsychotherapeutenkammer hat sich 2019 insgesamt 300.000
Versichertendaten angeschaut: Rund 40 Prozent der Patient*innen mussten
mindestens drei bis neun Monate auf den Beginn einer Behandlung warten.
[4][Die Wartezeiten auf Therapieplätze] sind nicht nur lang und
unüberschaubar, sondern auch unüberbrückbar. In akuten Fällen braucht es
akute Hilfe. Der Vergleich mit dem gebrochenen Bein wird einer der besten
bleiben: Ist etwas kaputt, muss es umgehend behandelt werden. Egal ob
Knochen oder Psyche. Auch Berg selbst antwortet auf Lauterbachs Tweet:
„Wofür ich außerdem dankbar wäre, wäre eine angemessene therapeutische
Versorgung auch für Kassenpatienten. Die bürokratische Hemmschwelle und die
lange Wartezeit, um Hilfe zu bekommen, fühlen sich lähmend an.“
Es sollte Aufgabe der Politik sein, gegen diese Machtlosigkeit anzugehen.
Wie das nicht geht, zeigte vergangenes Jahr Jens Spahn. Der damalige
Gesundheitsminister wollte [5][eine Art Rastertherapie einführen,] um eine
Diagnose bereits vorab an eine bestimmte Anzahl von Behandlungsstunden zu
binden. Der Vorschlag, der die Bürokratisierung verstärkt hätte, konnte
sich nicht durchsetzen. Die Rastertherapie hätte es Therapeut*innen
verwehrt, individuell über die Länge der Behandlung zu entscheiden.
Dieser Rückblick zeigt: Das Vorhaben der Ampel erkennt die Probleme –
anders als der Vorschlag Spahns – an. Nun geht es um die schnelle
Umsetzung. Die aber hat offenbar weder begonnen noch ist sie absehbar: Auf
Anfrage der taz konnte das Bundesgesundheitsministerium keinen konkreten
Zeitplan für die geplanten Verbesserungen nennen. Offen zu seiner
psychischen Krankheit zu stehen, ist mutig. Doch den Erkrankten fehlt es
meistens nicht an Mut, sondern an Zuversicht. Und für diese Zuversicht
braucht es schnelle Therapiemöglichkeiten.
6 Sep 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/MattheusBerg/status/1566753630597808132?s=20&t=Dk9J…
[2] https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1566911862284947456?s=20&t=D…
[3] /Brief-an-die-Gesellschaft/!5867031
[4] /Psychiatrische-Versorgung-in-Bremen/!5861223
[5] /Petition-gegen-Rasterpsychologie/!5772860
## AUTOREN
Larena Klöckner
## TAGS
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