# taz.de -- Petition gegen Rasterpsychologie: Die Psyche passt in kein Raster | |
> Gesundheitsminister Spahn will Psychotherapien eine feste Stundenanzahl | |
> vorschreiben. Eine Petition und öffentlicher Protest stoppen das Projekt. | |
Bild: Jens Spahns Vorschlag zur Rasterpsychotherapie erntet Kritik | |
Am Ende war der öffentliche Gegenwind zu groß. Nach einer [1][Petition, die | |
innerhalb von zwei Wochen mehr als 200.000 Unterschriften erhalten] und | |
einen Aufschrei in den sozialen Medien ausgelöst hatte, ist der Versuch | |
einer grundlegenden Reform der Psychotherapie wohl abgewendet. | |
Diese hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kurzfristig angestoßen, um | |
[2][künftig jeder Diagnose im Voraus kategorisch eine feste Zahl an | |
Behandlungsstunden zuzuweisen]. Dadurch hätten Therapeut*innen nicht | |
mehr im Zuge der Therapie beantragen können, wie lange Patient*innen | |
behandelt werden sollen, sondern ein schematisches Raster hätte | |
entschieden. | |
Die Koalitionspartnerin gab nun bekannt, sie werde dem Vorhaben nicht | |
zuzustimmen. Es ist damit gescheitert. Die Entscheidung begründet Sabine | |
Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, der taz | |
gegenüber damit, dass der Antrag des Gesundheitsministers mit der SPD weder | |
inhaltlich diskutiert noch abgestimmt worden sei. Sie betont: „Wir halten | |
ihn nicht für zielführend im Sinne der besseren Versorgung psychisch | |
kranker Patientinnen und Patienten und lehnen diesen Vorstoß daher ab.“ | |
Das Gesundheitsministerium scheint sich noch nicht geschlagen zu geben. So | |
sagte ein Sprecher des Ministeriums der taz gegenüber nur, dass sich die | |
Diskussion auf andere Themen konzentriere. „Die abschließende Beratung des | |
Gesamtpaketes steht aber noch aus.“ | |
## Das Ringen um notwendige Reformen | |
Großen Anteil an der öffentlichen Aufmerksamkeit hat die erwähnte Petition. | |
Ihr Initiator, Uwe Hauck, zeigt sich jetzt vorsichtig optimistisch: „Ich | |
bin erleichtert, aber bleibe noch skeptisch, bis das Gesetz endgültig | |
beschlossen ist.“ Gemeint ist das Gesetz zur Weiterentwicklung der | |
Gesundheitsversorgung (GVWG), dem der Gesundheitsminister kurzfristig die | |
befürchtete „Rasterpsychotherapie“ per Änderungsantrag hinzugefügt hatte, | |
und das am 7. Juni im Gesundheitsausschuss und am 9. Juni im Bundestag | |
abschließend beraten wird. | |
Uwe Hauck suchte selbst vor einem Suizidversuch ein Jahr lang nach einem | |
Psychotherapieplatz. Die langen Wartezeiten sind immer wieder Ziel neuer | |
Reformen, diesmal also über die Verkürzung der individuellen | |
Behandlungsdauer. Dahinter steht der Verdacht, Therapien würden zu lange | |
fortgeführt – ein Vorwurf, den Verbände der Psychotherapeut*innen | |
zurückweisen. Für sie wäre Spahns Vorstoß ein unnötiger Eingriff in die | |
Entscheidungshoheit der Behandelnden, da bereits heute fachliche Instanzen | |
die Form und Dauer der Behandlung kontrollierten. | |
Auf Zustimmung stößt Spahns Vorhaben dagegen laut [3][Neues Deutschland] | |
bei den Krankenkassen, die auf eine schnellere Vergabe neuer Therapieplätze | |
setzen. Diese Argumentation läuft auf kurzfristige Einsparung durch | |
verkürzte Therapien hinaus. Diese Logik steht für die Christine Kirchhoff, | |
Professorin für theoretische Psychoanalyse in Berlin, für eine „möglichst | |
weitgehende Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung“ – und geht häufig | |
zulasten der Patient*innen. | |
Die [4][Rasterpsychotherapie zu verhindern] ist für Uwe Hauck nur ein | |
Zwischenschritt. Langfristig setzt er sich für die Anerkennung psychischer | |
Erkrankungen ein. Dazu gehört auch der Abbau gesellschaftlicher Stigmata. | |
6 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.change.org/p/jens-spahn-keine-rasterpsychotherapie | |
[2] /Neue-Regelung-fuer-Therapie/!5767804 | |
[3] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1152223.psychotherapie-zweiklassenbehandl… | |
[4] /Spahns-Rasterpsychotherapie/!5776352 | |
## AUTOREN | |
Christoph Sommer | |
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