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# taz.de -- Nachfolge des 9-Euro-Tickets: Billig-Ticket für Berlin zu teuer
> Wem würde ein Nahverkehrsticket für 49 oder 69 Euro nutzen? Für manche in
> Berlin würde es sogar teurer. Die Verkehrssenatorin will eine
> Doppellösung.
Bild: Lohnt es sich wirklich einzusteigen?
Berlin taz | Über das jüngste Angebot der Bundesregierung, gemeinsam mit
den Ländern ein bundesweit gültiges Nahverkehrsticket für „49 bis 69 Euro�…
zu finanzieren, ist eine hitzige Debatte angelaufen. Würde eine solche
Fahrkarte in der Nachfolge des 9-Euro-Tickets tatsächlich den richtigen
Personenkreis entlasten? Und hätte sie bei diesem Preis noch eine
verkehrspolitische Lenkungswirkung?
Nach den [1][Ankündigungen durch die Spitzen der Ampelkoalition] [2][im
Bund am Sonntag] liegt der Ball erst einmal bei den Bundesländern. Sie
müssen für sich klären, ob sie auf die vom Bund angebotetenen 1,5
Milliarden Euro mindestens denselben Betrag drauflegen. In Berlin kommen
weitere Fragen hinzu: Für wen wäre ein Ticket zum Preis von 50, 60 oder 70
Euro überhaupt eine Entlastung? Im Gegensatz zu manch anderem deutschen
Verkehrsverbund liegen viele Monatstarife hier schon jetzt in diesem
Preisbereich, und eine Vereinheitlichung würde schlimmstenfalls zur
Schlechterstellung mancher Gruppen führen.
Nicht von ungefähr hat Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) am
Montag vorsichtshalber den Rückwärtsgang eingelegt: Nach Bekanntwerden des
Entlastungspakets hatte sie noch am Sonntag von einer „sehr guten
Entscheidung der Ampelkoalition“ gesprochen, mit der sich auch „spürbare
Effekte für den Klimaschutz und die Verkehrswende“ erreichen ließen. Einen
Tag später teilte sie mit: „Ein 69-Euro-Ticket allein würde für Berlin
wenig bringen, denn viele Abos liegen hier bereits günstiger.“
Sie finde deshalb ein „gestuftes System“ gut, wie es ursprünglich einmal
von den Grünen im Bund angeregt worden war, so Jarasch: „ein regionales
Ticket für 29 Euro im VBB-Gebiet – und zusätzlich ein bundesweites
69-Euro-Ticket“. Eine solche Kombination sei „eine Riesenchance“, sie wü…
„wirklich helfen, sowohl als Entlastung als auch für die Verkehrswende“.
Ein wenig ist es Interpretationssache, wie man den Entlastungeffekt durch
ein bundesweit einheitliches Ticket im Verkehrsverbund Berlin Brandenburg
(VBB) einschätzt. Es wäre zwar bundesweit grenzenlos nutzbar. Aber wer
lediglich – oder hauptsächlich – im Tarifbereich AB, also im Berliner
Stadtgebiet unterwegs ist, zahlt heute [3][im Abonnement ganz ohne
Ermäßigung nur 63 Euro monatlich] (und sogar nur 60,70 Euro bei jährlicher
Zahlungsweise). Diese sogenannte Umweltkarte ist übertragbar, kann also von
mehreren Personen zeitversetzt genutzt werden. Außerdem bietet sie abends
und am Wochenende die Möglichkeit, einen Erwachsenen und drei Kinder
mitzunehmen.
Solche Konditionen kannte das 9-Euro-Ticket nicht, und dass eine
bundesweite Regelung sie vorsehen würde, darf bezweifelt werden. Für alle
NutzerInnen ab 65 Jahren gibt es übrigens eine VBB-Monatskarte, die
Bewegungsfreiheit bis an die Brandenburger Außengrenze ermöglicht, schon ab
50,40 Euro. Das vom Land Berlin subventionierte Sozialticket „Ticket S“ für
EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld II oder Grundsicherung für 27,50 Euro
und das kostenlose Schülerticket wären von einer Vereinheitlichung dagegen
wohl nicht betroffen. Beide sind ohnehin lediglich in Berlin gültig und
personengebunden.
## Lieber noch 'ne Schleife drehen
Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im
Abgeordnetenhaus, sagte der taz, es müsse sicher sein, dass niemand
schlechtergestellt werde. Er hoffe aber, dass das Angebot des Bundes noch
nicht das letzte Wort sei. Im Zweifelsfall sollten die Bundesländer auch
einen alternativen Entwurf präsentieren. „Da müssen wir noch mal eine
politische Schleife drehen“, so Ronneburg. In Bezug auf das vom
rot-grün-roten Koalitionsausschuss beschlossene Übergangsticket für die
letzten drei Monate dieses Jahres, das von der Nachfolgelösung im Bund
abhängig gemacht werden soll, zeigte er sich skeptisch: „Wir haben jetzt
schon den 5. September – wenn das Berliner Ticket im Oktober kommen soll,
mache ich dahinter ein ganz dickes Fragezeichen.“
Auch für Monika Herrmann, Vorsitzende der grünen Landesarbeitsgemeinschaft
Mobilität, wäre es der „Gipfel der Absurdität“, sollte die „in Berlin …
jetzt gute Konstruktion von Tarifen und Unterstützung“ durch eine
Vereinheitlichung auf Bundesebene gefährdet werden. Den politischen Effekt
eines Tickets für möglicherweise bis zu 70 Euro hält sie ohnehin für
überschaubar: Sie glaube nicht, dass viele Menschen bei diesem Preis vom
Auto umsteigen würden, und für viele andere sei das sowieso zu teuer, sagte
sie zur taz. Sie riet zu massivem Subventionsabbau: „Geld wäre genug da.“
Der Sprecher des Berliner Fahrgastverbands Igeb, Jens Wieseke, brachte
ebenfalls ein zweigeteiltes Konzept ins Spiel – mit einem Sozialtarif und
einem für all jene, die ausreichend verdienten. Menschen, die heute den
Tarif S bezahlen würden, sollten sich übrigens laut Wieseke künftig mit
ihrem Ticket, wenn schon nicht bundesweit, so doch im gesamten
VBB-Tarifgebiet bewegen können – „sonst schließen wir sie ja ein“. Eine
wirklich simple Lösung werde es wohl nicht geben, vermutet Wieseke:
„Soziale Tarife sind niemals einfach, und einfache Tarife sind niemals
sozial.“
5 Sep 2022
## LINKS
[1] /Oekonom-zum-Entlastungspaket/!5876372
[2] /Geplante-Entlastungen-der-Ampelregierung/!5876302
[3] https://www.bvg.de/de/tickets-und-tarife/alle-abos/vbb-umweltkarte
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
9-Euro-Ticket
Energiekrise
VBB
Entlastungspaket
BVG
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Verkehr
9-Euro-Ticket
Verkehrswende
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