# taz.de -- Kein Gas mehr durch Nord Stream 1: Putin macht Westen verantwortlich | |
> Der Kreml weist die Schuld am Ende der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 | |
> zurück. Die Bundesnetzagentur sieht kein akutes Problem – mahnt aber. | |
Bild: Jetzt kommt nichts mehr an: Gasempfangsstation von Nord Stream 1 in Lubmin | |
Berlin taz | Ganz überraschend war die Nachricht nicht. Gazprom wolle nach | |
dem Ende der dreitägigen Wartungsarbeiten die Gaslieferungen über die | |
[1][Pipeline Nord Stream 1] einstweilen nicht wieder aufnehmen, meldete der | |
russische Staatskonzern am Freitagabend. In Europa hatte man das nach | |
mehreren leidvollen Erfahrungen mit russischen Lieferunterbrechungen | |
bereits befürchtet. | |
Gazprom begründete den Schritt mit dem Austritt von Öl in der | |
Kompressorstation Portovaya. Am Sonntag gab der Kreml der EU die Schuld für | |
den Lieferstopp. Wenn die Europäer sich weigerten, ihre Anlagen zu warten, | |
sei „das nicht die Schuld von Gazprom, sondern die Schuld der Politiker, | |
die Entscheidungen über Sanktionen getroffen haben“, sagte Dmitri Peskow, | |
Sprecher von Wladimir Putin, im Staatsfernsehen. | |
Nach Peskows Angaben sind die Europäer vertraglich zur Wartung der Anlage | |
des [2][russischen Energieriesens Gazprom] verpflichtet. Die Politiker im | |
Westen sorgten nun dafür, „dass ihre Bürger Schlaganfälle erleiden, wenn | |
sie ihre Stromrechnungen sehen“, meinte Peskow mit Blick auf die rasant | |
gestiegenen Energiepreise. „Jetzt, wo es kälter wird, wird die Situation | |
noch schlimmer werden.“ | |
Die Bundesnetzagentur hält diese Aussagen einmal mehr nur für einen | |
Vorwand: „Die von russischer Seite behaupteten Mängel“ seien „technisch | |
kein Grund für die Einstellung des Betriebs“, schrieb die Aufsichtsbehörde | |
am Samstag. Auch der Turbinenbauer Siemens Energy erklärte, die Abdichtung | |
solcher Leckagen sei ein Routinevorgang bei Wartungsarbeiten. Zudem stünden | |
in der Verdichterstation ausreichend Turbinen für einen Betrieb der | |
Pipeline zur Verfügung. | |
## Weiter wird eingespeichert | |
Obwohl nun kein Erdgas mehr über Nord Stream 1 kommt – zuletzt waren die | |
Kapazitäten ohnehin nur noch zu 20 Prozent ausgeschöpft worden –, | |
speicherte Deutschland auch in den vergangenen Tagen noch Gas ein. | |
Allerdings weniger. Am Donnerstag, dem ersten Tag des Lieferstopps, erhöhte | |
sich der Füllstand der deutschen Speicher weiter um knapp 0,3 | |
Prozentpunkte. Weil im August die tägliche Erhöhung des Füllstands | |
zeitweise bei über 0,6 Prozentpunkten gelegen hatte, sind die Speicher | |
aktuell zu 85 Prozent befüllt – ein Stand, der ursprünglich erst für den 1. | |
Oktober angepeilt war. | |
Das Bundeswirtschaftsministerium wollte den jüngsten Vorfall nicht | |
kommentieren. Allerdings habe man „die Unzuverlässigkeit Russlands in den | |
vergangenen Wochen bereits gesehen“. Entsprechend habe das Ministerium | |
seine „Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit von russischen | |
Energieimporten unbeirrt und konsequent fortgesetzt“. | |
Vor allem die Anlieferungen von Flüssigerdgas (LNG) per Tankschiff liegen | |
weiterhin auf sehr hohem Niveau. So wurden zum Beispiel in der | |
vorvergangenen Woche allein 2,4 Milliarden Kubikmeter LNG in der EU | |
angeliefert, mehr als doppelt so viel wie im gleichen Zeitraum des | |
Vorjahres. Auch die Lieferungen per Pipeline aus Algerien sind stabil, | |
während die Mengen aus Norwegen sich sogar am oberen Rand der | |
Vergleichswerte früherer Jahre bewegen. | |
## „Jetzt kommt es auf unser privates Heizverhalten an“ | |
Die Bundesnetzagentur erklärte am Samstag, Deutschland sei „aufgrund der | |
verstärkten Vorsorgemaßnahmen der vergangenen Monate auf einen Ausfall der | |
russischen Lieferungen mittlerweile besser vorbereitet als noch vor einigen | |
Monaten“. Gleichwohl betonte die Behörde nochmals „ausdrücklich die | |
Bedeutung eines sparsamen Gasverbrauchs“. Netzagenturchef Klaus Müller | |
schrieb: „Jetzt kommt es nach den harten Industrieeinsparungen auf unser | |
aller privates Heizverhalten an.“ | |
Der Gasmarkt hatte sich zuletzt wieder etwas entspannt. Nach einem | |
Preispeak Ende August brachen die Notierungen zwischenzeitlich um ein | |
Drittel ein. Welche Auswirkungen der Stopp der Lieferungen über die | |
Ostseepipeline auf die europäischen Gasmärkte hat und in welchem Maße die | |
Händler das Ereignis womöglich schon eingepreist hatten, wird sich erst am | |
Montag zeigen. Als am Freitagabend die Mitteilung von Gazprom kam, hatte | |
die Gasbörse bereits geschlossen. | |
4 Sep 2022 | |
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[1] /Nord-Stream-1-vor-befristeter-Schliessung/!5875796 | |
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## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
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