# taz.de -- Razzien gegen Zivilorganisationen in Westbank: Anrufe vom Geheimdie… | |
> Israel schließt Büros palästinensischer NGOs in der Westbank und wirft | |
> ihnen Terrorfinanzierung vor. Nun soll der Geheimdienst Shin Bet gedroht | |
> haben. | |
Bild: Shawan Jabarin, spricht zu den Medien, nachdem das Büro der Organisation… | |
BERLIN taz | Als Shawan Jabarin am Donnerstagmorgen in die Geschäftsräume | |
der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al Haq im Westjordanland – | |
sein Büro – fuhr, fand er die Tür versiegelt vor. In der Nacht war das | |
israelische Militär dort sowie in die Räume von sechs weiteren | |
palästinensischen Zivilorganisationen (NGOs) im Westjordanland | |
eingedrungen. Sie beschlagnahmten Computer, Server und Akten. | |
Es war das erste Mal, dass auf Worte Taten folgten. Denn die | |
Auseinandersetzungen um die Arbeit verschiedener palästinensischer | |
Nichtregierungsorganisationen gärt schon lange und könnten explosiver kaum | |
sein: Für die einen versucht Israel die Menschenrechtsarbeit in den | |
palästinensischen Gebieten zu unterbinden und diese zum Schweigen zu | |
bringen. Andere, unter ihnen das israelische Verteidigungsministerium, | |
sehen in den NGOs Geldgeber für Terroristen. | |
Bereits im vergangenen Oktober hatte der israelische Verteidigungsminister | |
Benny Gantz sechs palästinensische Nichtregierungsorganisationen zu | |
Terrorgruppen erklärt. | |
[1][Al Haq ist die prominenteste] unter ihnen. Sie dokumentiert Verstöße | |
gegen Menschenrechte. Andere, wie die NGO Adameer, bieten politischen | |
Gefangenen Rechtsbeistand oder setzen sich, wie die palästinensische | |
Sektion von Defense for Children International, für den Schutz von | |
Kinderrechten ein. | |
## Sollen Arm der Volksfront zur Befreiung Palästinas sein | |
Doch laut israelischem Verteidigungsministerium agieren die Organisationen | |
auch als Arm der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), welche in der | |
EU, den USA und in Israel auf der Terrorliste steht. Dem militanten Arm der | |
PFLP werden unter anderem Anschläge auf israelische Zivilist:innen zur | |
Last gelegt. Gelder der Nichtregierungsorganisationen seien zu deren | |
Förderung und Finanzierung eingesetzt worden, so das | |
Verteidigungsministerium [2][letzten Herbst]. Beweise hat Israel allerdings | |
auch auf Druck aus den USA und der EU nicht vorgelegt. | |
Die Vorkommnisse hatten die EU in Bedrängnis gebracht, denn zahlreiche der | |
Organisationen werden von ihr mitfinanziert. Die EU hatte die Finanzierung | |
von Al Haq infolge der israelischen Einstufung als Terrorgruppe kurzzeitig | |
ausgesetzt. | |
Im Juni erklärte sie jedoch in einer gemeinsamen Erklärung, dass sie die | |
Unterstützung fortsetzen werde. Die Betrugsbekämpfungsbehörde der | |
EU-Kommission habe keinen Betrug oder andere finanzielle Unregelmäßigkeiten | |
feststellen können. | |
Über die Gründe für den Zeitpunkt der Razzien lässt sich nur spekulieren. | |
Riad Othman, Nahostreferent von medico, sagt: Die Razzien fänden nun statt, | |
da sich das angestrebte De-Funding nicht so materialisiert hat, wie es sich | |
die israelische Regierung seit Oktober 2021 vorstellte. Othman apelliert an | |
die Bundesregierung, dass diese deutlichen und wirksamen Widerspruch gegen | |
die israelische Politik zeigen müsse. | |
## Auch israelische NGOs verurteilen das Vorgehen des Staates | |
Auch [3][über 40 israelische Zivilorganisationen verurteilten] in einer | |
gemeinsamen Erklärung das Vorgehen des Staates und betonten ihre | |
Solidarität mit ihren palästinensischen Kolleg:innen. | |
Die betroffenen palästinensischen Organisationen weisen die israelischen | |
Vorwürfe zurück: „Wir arbeiten auf rechtstaatlicher Basis und sind dem | |
Friedensabkommen Oslo II verpflichtet“, erklärt Jabarin. Er soll allerdings | |
in den 1980er Jahren Mitglied eines studentischen Zweigs der PFLP gewesen | |
sein und enge Verbindungen unterhalten. | |
Jabarin sieht die Razzien als Botschaft an die Palästinensische | |
Autonomiebehörde, um ihr ihre Machtlosigkeit vor Augen zu führen: „Der | |
einzige Bereich, in dem die palästinensische Autonomiebehörde noch Macht | |
ausüben konnte, waren die zivilgesellschaftlichen Organisationen. Auch die | |
hat Israel nun übernommen.“ | |
## Anrufe vom Geheimdienst Shin Bet | |
Derweil erhöht Israel auch nach den Razzien weiter den Druck auf die | |
Organisationen. Am vergangenen Sonntag, einige Tage nach den | |
Durchsuchungen, habe Jabarin einen Anruf vom israelischen Innengeheimdienst | |
Shin Bet erhalten. Darin sei ihm mitgeteilt worden, dass er einen Preis | |
zahlen werde – Inhaftierung, Befragungen und andere Maßnahmen – sollte die | |
Arbeit von Al Haq fortgesetzt werden. | |
Laut Berichten der israelischen Tageszeitung Haaretz sei auch Khaled | |
Quzmar, Direktor der palästinenischen Sektion von Defense for Children | |
International, vom Shin Bet zu einem Gespräch geladen worden. Er sei | |
gewarnt worden, dass sie gegen ihn vorgehen würden, wenn er sich weiter für | |
die Organisation betätige. | |
„Wir arbeiten weiter“, erklärt Jabarin. Die Versiegelungen hätten er und | |
seine seine Mitarbeiter noch am selben Morgen entfernt. Mit weiteren Hürden | |
rechnen sie. | |
22 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /NGO-Mitarbeiterin-in-der-Westbank/!5813238 | |
[2] /Spaehsoftware-gegen-NGOs-in-Palaestina/!5813583 | |
[3] https://www.timesofisrael.com/israeli-rights-groups-condemn-baseless-terror… | |
## AUTOREN | |
Judith Poppe | |
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