# taz.de -- NGO-Mitarbeiterin in der Westbank: „Ein Versuch, uns auszutrockne… | |
> Israel hat sechs palästinensische NGOs als terroristisch eingestuft. Eine | |
> Al-Haq-Mitarbeiterin beklagt einen Angriff auf die ganze | |
> Zivilgesellschaft. | |
Bild: Palästinenser protestieren gegen die israelische Besetzung der Westbank … | |
Frau AlBajeh, mit fünf weiteren palästinensischen NGOs ist Ihre | |
Menschenrechtsorganisation Al-Haq von Israel [1][als „Terrororganisation“ | |
eingestuft worden]. Sprechen Sie mit mir noch aus dem Al-Haq-Büro in | |
Ramallah? | |
Aseel AlBajeh: Ja, wir arbeiten weiter von unseren Büros aus und mit | |
unseren Mitarbeitern im Feld. Alle sechs betroffenen Organisationen sind | |
weiter aktiv. | |
Gehen Sie davon aus, auch in den nächsten Wochen weiterarbeiten zu können? | |
Die Einstufung (als Terrororganisation, d. Red.) beruht auf einem | |
israelischen Anti-Terror-Gesetz aus dem Jahr 2016, das unrechtmäßig auf die | |
besetzten palästinensischen Gebiete angewendet wird. Um hier Wirkung zu | |
entfalten, müsste es noch in eine militärische Anordnung umgewandelt | |
werden. Dies könnte dann zur Schließung unserer Büros, zur Verhaftung von | |
Mitarbeitern, zur Beschlagnahmung unseres Vermögens und zum Einfrieren | |
unserer Bankkonten führen. | |
Al-Haq ist die bekannteste palästinensische Menschenrechtsorganisation und | |
hat auch immer wieder Gelder aus Deutschland erhalten. Bislang hat Israel | |
öffentlich keine Beweise für die Anschuldigung vorgelegt. Wie reagieren Sie | |
auf die Terror-Einstufung? | |
Sie ist ein politischer Schritt, um die palästinensische Zivilgesellschaft | |
zu kriminalisieren und sie zu hindern, israelische Verbrechen und | |
Rechtsverletzungen anzuprangern. Dies ist Teil einer institutionalisierten | |
Kampagne der Besatzungsbehörden. Wir betrachten die Einstufung als letzten | |
Versuch, uns finanziell auszutrocknen, nachdem es nicht gelungen ist, uns | |
auf der Grundlage von Fakten herauszufordern und unsere Unterstützer dazu | |
zu bewegen, dass sie uns nicht mehr finanzieren. | |
Was fordern Sie nun? | |
Wir werden weiter für Menschenrechte eintreten und die israelischen | |
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor den | |
Internationalen Strafgerichtshof bringen, was Teil des Kampfs des | |
palästinensischen Volks ist. Gleichzeitig brauchen wir Schutz. Es braucht | |
zum einen Druck auf Israel, damit es die Terror-Einstufung und das | |
Anti-Terror-Gesetz zurücknimmt, das nach Ansicht von UN-Experten ein | |
politisches Instrument zur Unterdrückung des palästinensischen Volks ist. | |
Zum anderen muss die internationale Gemeinschaft helfen, die illegale | |
Situation hier zu beenden, unter anderem durch Sanktionen, wie es die | |
völkerrechtlichen Verpflichtungen vorsehen. | |
In einer [2][Stellungnahme] hat die Bundesregierung erst im Juni erklärt, | |
dass sie keine Hindernisse für die Finanzierung von Al-Haq sieht. Was genau | |
sind die neuen [3][Vorwürfe Israels]? | |
Wir haben sie nur aus den Medien erfahren. Israel erhebt seit Jahrzehnten | |
falsche Anschuldigungen, die nicht durch Beweise gestützt werden. Die | |
internationale Gemeinschaft fordert nun Beweise, aber bislang hat kein | |
Staat erklärt, dass er konkrete Beweise erhalten hat. | |
Es heißt, Al-Haq sei ein Arm der PFLP, die von der EU wie auch von den USA | |
als Terrororganisation geführt wird. Gibt es Verbindungen zwischen Al-Haq | |
und der PFLP? | |
Wir sind eine nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation. Uns geht es | |
darum, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, unabhängig davon, wer | |
die Täter sind. Wir dokumentieren israelische Menschenrechtsverletzungen, | |
aber auch solche, die von der PA und der Hamas begangen werden. Unsere | |
Arbeit basiert auf dem Völkerrecht und hält sich an die internationalen | |
Menschenrechtsstandards. | |
Shawan Jabarin, Generaldirektor von Al-Haq, war in den achtziger Jahren | |
Mitglied eines studentischen Zweigs der PFLP. Was ist mit ihm? | |
Für die, die den Kontext nicht kennen, ist es wichtig zu wissen, wie | |
Israels jüngster Schritt in die allgemeine Politik der Unterdrückung passt. | |
Seit 1948 versucht Israel, Organisationen und Personen zu kriminalisieren, | |
die seine Verbrechen anprangern. Jeder Versuch, das Regime und die | |
Besatzung, die uns unser Recht auf Selbstbestimmung verwehrt, anzufechten, | |
wird mit Unterdrückungstaktiken beantwortet. Eine davon ist die | |
Kriminalisierung von Studierendengruppen und politischen Parteien. Selbst | |
das Tragen einer Fahne kann zu strafrechtlicher Verfolgung führen. | |
Aber die PFLP ist nicht irgendeine Partei oder Uni-Gruppe. (Ihrem | |
militanten Arm werden [4][Anschläge auf israelische Zivilist*innen] zur | |
Last gelegt, d. Red.). Stimmen Sie denn zu, dass es sich um eine | |
Terrorgruppe handelt? | |
Die Palästinenser leben unter andauernder Militärbesatzung, unter einem | |
Apartheidsregime und unter Siedlerkolonialismus. Nach internationalem Recht | |
haben Menschen unter kolonialer Herrschaft das Recht, Widerstand zu leisten | |
und ihr Recht auf Selbstbestimmung mit allen Mitteln auszuüben. Wir | |
sprechen hier nicht von zwei gleichberechtigten Parteien, sondern von einem | |
kolonisierten Gebiet und einem kolonisierten Volk. Israels Terroreinstufung | |
von politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigt, | |
wie institutionalisiert die Unterdrückung ist. | |
Neben Verbindungen zur PFLP wird Al-Haq beschuldigt, Lawfare oder | |
juristische Kriegsführung zu betreiben, also den Rechtsweg zu missbrauchen, | |
um Israel zu delegitimieren. Was ist Ihre Antwort darauf? | |
Israel war noch nie in der Lage, die Arbeit von Al-Haq rechtlich und mit | |
Beweisen anzufechten. Einer der Gründe, warum wir jetzt kriminalisiert | |
werden, ist die [5][Einleitung von Ermittlungen des IStGH] (zu möglichen | |
Kriegsverbrechen beider Seiten in Israel und Palästina, d. Red.). Wir haben | |
dem IStGH eine Dokumentation über Verbrechen gegen das palästinensische | |
Volk vorgelegt. | |
Sie stützt sich auf Opferaussagen und unsere rechtliche Analyse orientiert | |
sich am internationalen Rechtssystem, das für alle Menschen gilt, die | |
Rechenschaft und Gerechtigkeit suchen. Der IStGH ist der Ansicht, dass es | |
Grund zur Annahme gibt, dass potenzielle Kriegsverbrechen begangen worden | |
sind. Es handelt sich also nicht um Lawfare, sondern um ein Bemühen um | |
Rechenschaftspflicht und um die Anerkennung, dass Israel ungestraft | |
Verbrechen gegen das palästinensische Volk begeht. | |
5 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Israels-Vorstoss-gegen-NGOs-in-Palaestina/!5806472 | |
[2] https://dserver.bundestag.de/btd/19/311/1931137.pdf | |
[3] https://nbctf.mod.gov.il/he/Pages/211021HE.aspx | |
[4] https://www.haaretz.com/israel-news/.premium-shin-bet-dozens-of-palestinian… | |
[5] /Kriegsverbrechen-im-Nahostkonflikt/!5755833 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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