# taz.de -- Autorin Miku Sophie Kühmel über Roman: „Über das Lebendige und… | |
> Die Autorin Miku Sophie Kühmel erzählt in ihrem Roman „Triskele“ von dr… | |
> Schwestern. Ein Gespräch über den Flickenteppich der Figuren und | |
> Feminismus. | |
Bild: Die Autorin Miku Sophie Kühmel | |
taz: Frau Kühmel, Sie leben eigentlich in Berlin, ich erreiche Sie jetzt in | |
Eckernförde. Was machen Sie dort? | |
Miku Sophie Kühmel: Ich habe ein Stipendium des Künstlerhauses Otte | |
erhalten und verbringe hier jetzt erst einmal einen Monat, kann nach meiner | |
Lesereise aber noch einmal einen Monat herkommen. Es gibt schlimmere Wege, | |
seinen Sommer zu verbringen. Ich bin da wirklich privilegiert. Die | |
Künstlerwohnungen sind großzügig und angenehm spartanisch eingerichtet, die | |
Altstadt ist pittoresk, Strand und Natur sind vor der Haustür. Eckernförde | |
ist wirklich ein schöner Ort, um aus Berlin rauszukommen. Auch wenn man | |
schon deutlich spürt, dass es nicht Mecklenburg-Vorpommern, sondern | |
Schleswig-Holstein ist. Hier herrscht ein anderer „Vibe“. | |
Sie sind 1992 in Gotha geboren, gehören also zu einer Generation, die nie | |
in der DDR gelebt hat. Und dennoch machen Sie solche Unterschiede auf? Ich | |
dachte, das spielt in Ihrer Generation keine Rolle mehr. | |
Ich bin zwar ein Nachwende-Kind, aber der Nachwende-Osten war ja trotzdem | |
nicht gleich die alte BRD. Es ist schon spannend, was da von außen in einen | |
reingelesen wird. Im Osten werde ich als Person ohne DDR-Erfahrungen | |
wahrgenommen. Dabei bin ich an den Kaffeetafeln ja nicht um das Thema | |
drumherum gekommen. Immer wieder wurde ich mit der verschwundenen | |
Gesellschaft konfrontiert und damit, was die Wende mit den Leuten gemacht | |
hat, in deren Mitte ich und andere Menschen in meinem Alter ja aufgewachsen | |
sind. In Berlin und generell dort, wo unterschiedliche Leute | |
aufeinandertreffen, werde ich hingegen relativ schnell über meine | |
Ost-Herkunft gelesen. Vor allem von älteren Leuten aus Westdeutschland. | |
Ihr literarisches Debüt „Kintsugi“ hat viel Aufmerksamkeit bekommen. Der | |
Roman hat zwei Debütpreise erhalten und stand [1][auf der Shortlist des | |
Deutschen Buchpreises.] Fluch oder Segen? | |
Ich habe den Literaturbetrieb zu dieser Zeit mehr als ernst genommen. Ich | |
wollte wissen, ob ich dort eine Berechtigung habe. Dieser | |
Legitimationsdruck ist aber normal. Es geht immer darum, erkannt und | |
verstanden zu werden. Bei „Kintsugi“ haben sich aber auch gewisse Dynamiken | |
ineinander verschränkt. Wenn das Debüt einer völlig unbekannten Autorin | |
gleich zwei Preise abräumt und dann auch noch auf die Shortlist des | |
Deutschen Buchpreises kommt, dann ist da einfach überdurchschnittlich viel | |
Aufmerksamkeit. Einerseits war das natürlich eine gute Werbung für das | |
Buch, andererseits hatte ich die Befürchtung, dass der Roman dabei | |
plattgemacht wird. Dabei ist es eher ein leises Buch, das den richtigen | |
Moment und die richtigen Leute braucht, um zu wirken. Aber „Kintsugi“ hat | |
es überlebt und ich auch. | |
Ihr neuer Roman „Triskele“ kommt auch eher auf leisen Sohlen daher. Er | |
erzählt von drei Schwestern, die ihre Mutter verloren haben. Wie kam es zu | |
dieser Geschichte? | |
Ich wusste, dass ich über Tod und besonders Selbstmord schreiben wollte. Es | |
gibt nicht viele weibliche Suizide in der Literatur. Wenn man dann noch die | |
abzieht, zu denen es vermeintlich wegen eines Mannes gekommen ist, wird es | |
sehr schnell sehr dünn. Gerade bei Müttern ist das ein großes Tabu. Darüber | |
wollte ich nachdenken. | |
Nachdenken? | |
Fragen sind oft Ausgangspunkt meines Schreibens. Meist will ich irgendwas | |
verstehen. Bei „Kintsugi“ wollte ich wissen, wie man weitermacht, wenn | |
etwas zerbricht, von dem man dachte, dass es unkaputtbar wäre. Und bei | |
„Triskele“ habe ich mich gefragt, wie man den Tod anderer überlebt und | |
damit umgeht, auf manche Fragen niemals Antworten zu bekommen. | |
Neben dem ungewöhnlichen Titel verbindet beide Romane die Suche nach dem, | |
was Familie sein könnte. Wie hängt das in Ihrem Schreiben zusammen? | |
Ja, wieder ist der Titel ein komisches Wort, das man erst mal googeln muss. | |
Das war so nicht geplant, aber in der Konzeptionsphase war das Symbol aus | |
verschiedenen Gründen passend. Eine Triskele, die als Form auch in der | |
Natur vorkommt, hat eine spezielle Stabilität. Es sind drei Wirbel, die der | |
gleichen Mitte entspringen, ohne direkt miteinander verbunden zu sein und | |
sich dabei um sich selber drehen. Von dieser Struktur ausgehend ließ sich | |
für mich abstrahieren, wie diese drei Schwestern zueinander stehen könnten. | |
Und dann hat die Triskele sich auch kulturgeschichtlich immer weiter in das | |
Buch gewoben. | |
Welche der Schwestern ist Ihnen denn am einfachsten von der Hand gegangen? | |
Mercedes, die Ihre Skepsis gegenüber der Familie teilt? Mira, die Ihnen vom | |
Alter am nächsten ist? Oder Matea, die wie Sie die jüngste der drei | |
Geschwister ist? | |
Ich habe die Figuren alle zunächst als Splitter von mir entworfen: Sie | |
heißen Mone, Mercedes, Mira, Matea und Muriel (die Katze, A. d. A.) – also | |
Mo, Me, Mi, Ma, Mu. Meine Figuren sind immer Flickenteppiche, tragen Teile | |
von mir und von anderen in sich. Ich kann mit ihnen meine Fragen | |
diskutieren und durchdenken. Das war auch schon bei Max und Reik in | |
„Kintsugi“ der Fall. | |
Die Schwestern sind drei sehr unterschiedliche Frauen, die nicht nur | |
Lebensjahre trennen. Alle haben ihre ganz eigene Geschichte – mit der | |
Mutter, mit sich und miteinander. | |
Ja, alle drei sind zwar von der selben Frau sozialisiert und mit einem | |
bestimmten Bild von zum Beispiel Weiblichkeit groß geworden. Aber aufgrund | |
des Altersunterschieds von jeweils 16 Jahren trennen sie einfach auch viele | |
Dinge. Dem nachzugehen hat schon Spaß gemacht, weil die verinnerlichten | |
Werte und Normen, auch etwa in feministischer Hinsicht, unweigerlich zu | |
Reibungen und einem Abarbeiten aneinander führen. | |
Sie zeigen im Roman an vielen Stellen weibliche Normalität auf, lassen ihre | |
Figuren über Menstruation und Körperbilder, beruflichen Erwartungsdruck und | |
sexuelle Selbstbestimmung nachdenken. Ist „Triskele“ ein feministischer | |
Roman? | |
Ich finde ja alles, was nicht feministisch ist, schade. Ich merke, dass ich | |
bei der Antwort zögere, weil ich mir mit dem Roman keine Agenda | |
unterstellen lassen möchte. Engagierte deutsche Literatur hat einfach einen | |
schlechten Ruf. Aber wenn ich ehrlich bin, gibt es nichts, was ich mache, | |
das nicht mindestens feministisch motiviert ist. Das steht für mich außer | |
Frage. Hier noch einmal besonders, wenn es um den weiblich gelesenen Körper | |
geht. Denn wenn ich über diesen schreibe, dann jenseits von reiner | |
Ästhetisierung. Dann möchte ich da hinschauen, wo wir als Mädchen nicht | |
hinfassen durften. Dann schreibe ich über Scheidenpilz und Endometriose. | |
Über das Lebendige, Klebrige, manchmal Eklige, über das Schmerzhafte und | |
manchmal Schöne. Dahingehend Offenheit, Humor und auch Poesie | |
herauszuarbeiten, war vielleicht einer der wichtigsten Aspekte. | |
Dabei scheint mir die Balance innerhalb der Erzählung auch eine wichtige | |
Rolle zu spielen. Sie spiegeln das titelgebende Symbol in der Struktur. Die | |
drei Schwestern bekommen jeweils drei eigene Kapitel, die im Wechsel | |
erzählt werden. | |
Nur in einer Struktur kann ich mir die Freiheit nehmen, loszulassen. So ein | |
Grundthema des Buches ist dabei – wie sich beim Schreiben herausstellte – | |
„Vier, aber eigentlich drei“. Es sind vier Frauen, aber es sind nur noch | |
drei übrig. Die Kapitel sollten eigentlich ein Trauerjahr umfassen, also | |
vier mal drei Monate, aber am Ende sind es – wie bei einer Schwangerschaft | |
– nur neun Monate geworden, also drei Quartale. Ich übersprang das erste, | |
damit die Schwestern nach dem Tod der Mutter Zeit hatten, überhaupt zu | |
einer Sprache zu finden. Diese Struktur gab dann den Weg vor. | |
Der dann aber gar nicht so starr wirkt. | |
Das Einfachste schien mir, jeden Monat eine andere Schwester sprechen zu | |
lassen. Dann greifen deren Erzählungen ineinander wie die Strähnen beim | |
Zöpfeflechten. Das klingt formal eng, aber tatsächlich ist dieser Rahmen | |
sehr biegsam. Denn wenn man für einen ganzen Monat nur ein Kapitel zur | |
Verfügung hat, ist das eigentlich wenig Erzählzeit für sehr viel erzählte | |
Zeit. Ich musste also sowieso eklektisch sein und mich auf eine Sauna-Szene | |
oder den Silvesterabend konzentrieren, in denen sich die Erzählung dann | |
entfalten konnte und hin und wieder Geheimnisse aufgedeckt wurden. Aber | |
damit sich die Geschichte mit all den unterschiedlichen Erinnerungen und | |
parallel verlaufenden Strängen, mit all ihren möglichen Welten, frei | |
entfalten kann, brauche ich eine Grundstruktur. | |
Widmen wir uns abschließend noch einmal den Erinnerungen. Warum sollten wir | |
uns mehr mit der Nachwende-Ost-Sozialisation Ihrer Generation | |
auseinandersetzen? | |
Weil sich das lohnen würde! Und zum Glück passiert das inzwischen ja auch, | |
siehe etwa Paula Fürstenberg und [2][Olivia Wenzel.] Ich fühle mich mit | |
ihren Büchern sehr verbunden, in all ihrer Diversität. Sie zeigen, dass | |
Wende- und Nachwendekinder ihre ganz eigenen, wertvollen Perspektiven auf | |
die Wiedervereinigung als gesellschafts- und identitätsbildenden Prozess | |
einbringen. | |
War das auch ein Grund für ihren Eintritt in den PEN Berlin? Um diese | |
Perspektiven in größere Debatten einzubringen? | |
Auch in den [3][PEN Berlin] gehe ich nicht mit einer diskursiven Agenda, | |
sondern mit guten Absichten und offenen Ohren. Ob ich meine Perspektiven | |
dann als ostdeutsche, queere, kurzhaarige, katzenmögende oder | |
grießbreiverachtende Autorin einbringen werde, muss die Zeit zeigen. | |
16 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Thomas Hummitzsch | |
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