| # taz.de -- Schulfreunde über die Nazizeit: „Der Krieg hat alles zerstört“ | |
| > In den 30er Jahren waren Reinhard Wernicke und Katja Langenbach Nachbarn | |
| > und Schulfreunde, bis sich ihr Vater das Leben nahm. Nach 70 Jahren | |
| > trafen sie sich wieder. | |
| Bild: Reinhardt Wernicke und Katja Rosemarie Langenbach sind seit Kindertagen b… | |
| Reinhard Wernicke und Katja Langenbach sitzen gemeinsam an einem Tisch in | |
| einem Café in Hamburg-Blankenese, dem Stadtteil, in dem sie zusammen | |
| aufgewachsen sind. Obwohl sie sich rund 70 Jahre aus den Augen verloren | |
| hatten, wirken die beiden so vertraut, als sei ihre Freundschaft nie | |
| abgerissen. | |
| taz am wochenende: Frau Langenbach, Herr Wernicke, wie kam es, dass Sie vor | |
| gut zehn Jahren Ihre Freundschaft wieder aufgenommen haben? | |
| Reinhard Wernicke: Vor dem Haus in der Panzerstraße wurde [1][ein | |
| Stolperstein für den Vater] von Katja verlegt. An dem Morgen bin ich mit | |
| ihrem Ehemann, den ich vorher nie gesehen hatte, die Panzerstraße | |
| runtergetippelt. Ich habe ihn gefragt, wieso Rosemarie heute Katja heißt. | |
| Und dann hat er mir erzählt, dass seine Frau sich nach dem Kriege | |
| entschieden hat, den Namen Rosemarie abzulegen, weil er ihr zu sehr | |
| verbunden war mit dem deutschen Nazireich. | |
| Katja ist für die Zeit ein ungewöhnlicher Name. | |
| Wernicke: Sie ist sowieso ungewöhnlich. | |
| Katja Langenbach: Das ist mir so im Laufe der Zeit von selber gekommen. | |
| Dieses „Rosemarie“, das war mit einem Lied verbunden, das es früher gab und | |
| das mich immer genervt hat: „Rosemarie, Rosemarie, sieben Jahre mein Herz | |
| nach dir schrie.“ In Kontakt kamen Herr Wernicke und ich wieder durch eine | |
| Ausstellung des Vereins zur Erforschung der Geschichte der Juden in | |
| Blankenese. Eine Freundin hatte mir einen Artikel geschickt, dass dafür | |
| noch Zeitzeugen gesucht würden. Ohne das hätte ich ihn gar nicht | |
| wiedergefunden. | |
| Und Sie, Herr Wernicke, waren beteiligt am Verein zur Erforschung der | |
| Geschichte der Juden in Blankenese? | |
| Wernicke: Das war für mich selbstverständlich. | |
| Wie war es, sich nach so langer Zeit wieder zu treffen? | |
| Langenbach: Ich weiß nicht. Das war wie ein, hach … | |
| Wernicke: … da spielte der Stolperstein die Hauptrolle. Und eine hässliche | |
| Nachbarin, die jetzt in dem Haus wohnte, zerstörte zum Schluss diese | |
| feierliche Stunde. Das war ganz furchtbar. | |
| Langenbach: Sie behauptete, ihre Hunde würden darunter leiden, wenn die | |
| Leute den Stolperstein besichtigten. | |
| Wernicke: Ja, es war unbeschreiblich. | |
| Langenbach: Dann hat sie ihn rausheben lassen. | |
| Damit kam sie durch? | |
| Wernicke: Es kam zu einem Verfahren. Er wurde fünf, sechs Meter weiter | |
| links ein zweites Mal verlegt. | |
| Langenbach: Aber es war dann natürlich ein neuer. Den Originalstein habe | |
| ich noch zu Hause, den nehme ich ab und zu in die Hand. | |
| Wernicke: Den habe ich ausgegraben und dir geschickt. | |
| Dachten Sie an Katjas Familiengeschichte, als Sie sich dem Verein | |
| anschlossen? | |
| Wernicke: Ja, sicher. Es gab eine Veranstaltung hier im Gymnasium, da kam | |
| das Thema auf. Aber ich war nicht in der Lage, meinen Vortrag zu Ende zu | |
| führen. Komisch. Dann hat einer der Lehrer den Rest verlesen. Ich konnte es | |
| nicht. Da ist mir vorgestern genauso passiert, als ich über dies mit Katja | |
| gesprochen habe. | |
| Wie würden Sie Ihre Freundschaft als Kinder beschreiben? | |
| Langenbach: Es war eine Treppenstraße, in der wir wohnten, dadurch fiel der | |
| ganze Durchgangsverkehr weg. Man war eigentlich ein Haufen, miteinander | |
| befreundet, spielte rauf und runter. Nach dem Tod meines Vaters sind wir | |
| erst einmal innerhalb von Blankenese umgezogen, dadurch war ein mächtiges | |
| Stück Straße zwischen uns. | |
| Blieb Ihr Kontakt trotzdem bestehen? | |
| Langenbach: Ja, aber es war nicht mehr das Gleiche – nicht, Reinhard? | |
| Konnte es gar nicht sein. | |
| Wernicke: Da war zunächst mal gar nichts möglich. | |
| Katjas Vater, Jacob Lurie, hat sich Ende 1938 das Leben genommen, weil er | |
| als Jude fürchtete, von den Nazis verfolgt zu werden. War sein Suizid | |
| etwas, das in Ihren Familien thematisiert wurde? | |
| Langenbach: In dem Alter war das unmöglich. Bei uns zu Hause hat man | |
| gemerkt, dass es immer weniger Gäste wurden, weil so viele Leute | |
| ausgewandert waren. Aber sonst? Für politische Themen waren wir viel zu | |
| klein. Das hat man von uns zurückgehalten. | |
| Wernicke: Das spielte ja auch gar keine Rolle für uns. | |
| Langenbach: Wir waren gemeinsam in der Grundschule und hatten einen | |
| wahnsinnig netten Lehrer. Das war eine Gemeinschaft, das war ohne jede | |
| Schwierigkeit. | |
| Das heißt, in Ihrer Schulzeit hatte so etwas wie die Hitlerjugend keine | |
| Bedeutung? | |
| Wernicke: Das fing doch erst mit zehn an. Da wurden wir Pimpfe, und damit | |
| ging es los, auch, dass wir völlig auseinanderkamen, da kam die | |
| Kinderlandverschickung. Zwei Jahre haben sie mich nach Sachsen verfrachtet, | |
| als Zehnjährigen. Das war für mich eine Katastrophe. Und danach sind Katja | |
| und ihre Mutter nach Eppendorf gezogen, das war noch viel weiter weg. | |
| Unsere Mütter haben sich öfter mal getroffen, nachher ist das ganz | |
| eingeschlafen. Der Krieg spielte eine viel zu große Rolle. Der hat ja alles | |
| zerstört. | |
| Haben Sie damals, nach dem Suizid von Katjas Vater, gefragt, warum die | |
| Familie umgezogen ist? | |
| Wernicke: Ich war sieben, als sie umzogen. Das war nur einfach furchtbar, | |
| dass plötzlich die Verbindung abgebrochen war. | |
| Langenbach: Wissen Sie, das kann man in dem Alter nicht fragen. | |
| Waren Sie eher ein Vater- oder ein Mutterkind? | |
| Langenbach: Mein Vater hatte seine Zahnarztpraxis in der Innenstadt, und | |
| wenn er nach Hause kam, war es meistens ziemlich spät und ich musste schon | |
| fast ins Bett. Der Vater war weit weg und war ja auch 33 Jahre älter als | |
| meine Mutter. Die Ehe war sehr glücklich. | |
| Das hat sich auch für Sie als Kind vermittelt? | |
| Langenbach: Ja, unbedingt. Das hat ja auch ausgestrahlt an die | |
| Nachbarschaft, dass es da gut ging. Meine Mutter war immer zu Hause; ich | |
| hatte auch noch ein Kindermädchen. Oh, und es gab auch noch eine Waschfrau, | |
| bei der gab es Bänkellieder, mit Unehelichem und Mord und Totschlag. Dann | |
| musste man immer weggehen, weil man das nicht hören durfte. | |
| Wernicke: Wir waren am Strand am besten aufgehoben. Wir waren auf dem | |
| Wasser, im Wasser, und wehe wir mussten nach Hause. | |
| Wir war es, Tochter eines Vaters zu sein, der so spät noch ein einziges | |
| Kind bekam? | |
| Langenbach: Mein Vater hat gesagt: „Was soll ich alter Mann noch mit einem | |
| Kind?“ Der war erst gar nicht begeistert. | |
| Wernicke: Aber später sehr. | |
| Haben sich nach der Machtergreifung der Nazis Freunde oder Bekannte von | |
| Ihrer Familie distanziert, Frau Langenbach? | |
| Langenbach: Nein, nie. Nur eines war: Ich hatte ein sehr, sehr liebes | |
| Kindermädchen, Elsbeth, die schon vor meiner Geburt da gewesen war. Und von | |
| ihr mussten meine Eltern sich trennen, weil sie einen Nazi geheiratet hat | |
| und jedes Gespräch zu diesem Mann getragen werden konnte. | |
| Wie hat man Ihnen das erklärt? | |
| Langenbach: Das weiß ich nicht mehr. | |
| Wernicke: Sicherlich gar nicht. | |
| Fragen Kinder nicht, wenn jemand so Nahes plötzlich weg ist? | |
| Wernicke: Ich glaube, in der Zeit spielte es überhaupt keine Rolle, es war | |
| Krieg nachher. Ich glaube, Sie können sich das gar nicht vorstellen. | |
| Gab es auch nach dem Tod Ihres Vaters diese Erklärungslosigkeit, Frau | |
| Langenbach? | |
| Langenbach: Die ganze Atmosphäre um diese Zeit herum war belastet. Ich | |
| hatte das Gefühl, irgendwas ist nicht in Ordnung. Mein Vater ist ja genau | |
| Silvester gestorben. Ich glaube, ich habe meine Mutter immer gefragt: „Wann | |
| kommt jetzt das Feuerwerk?“ | |
| In einem Text haben Sie aus dem Abschiedsbrief Ihres Vaters zitiert: „Ich | |
| will keine Israels in den Papieren meines Töchterchens und in Deinen | |
| Papieren“ – hat sein Tod Sie überhaupt schützen können? | |
| Langenbach: Ab 1942 durften jüdische Mischlinge, so wurde ich genannt, gar | |
| nicht mehr auf die Oberschule. Ich bin, zwei Monate bevor das Verbot kam, | |
| aus der Schule rausgegangen. | |
| Im Bewusstsein, dass das Verbot kommen würde? | |
| Langenbach: Es war einfach schrecklich in der Oberschule. Ich hatte eine | |
| Lehrerin, die demütigend wirkte und ein übler Typ war. Da wollte ich nicht | |
| mehr hin. | |
| Wie reagierten Ihre Mitschülerinnen? | |
| Langenbach: Sie hielten einfach Abstand – sie konnten sich nicht erklären, | |
| wer man ist, und auch nicht, warum die Lehrerin so sonderbar reagierte. Für | |
| uns war es sowieso furchtbar, weil wir keinen Kontakt hatten zu | |
| irgendjemand, als wir nach Eppendorf zogen. Es gab noch die Verwandten | |
| meiner Mutter, aber die litten selber unter dem Bombardement und waren | |
| meist ältere Damen, die mit Kindern nichts anfangen konnten. | |
| Spielte die jüdische Herkunft Ihres Vaters eine Rolle bei Ihnen zu Hause? | |
| Langenbach: Nein, er und sein Bruder haben sich beide taufen lassen, nur | |
| die Schwester nicht. | |
| Ihr Onkel hat sich auch das Leben genommen. | |
| Langenbach: Ja, als Erster, schon 1935. Er war Arzt und war angeklagt, aber | |
| zweimal freigesprochen worden. Man hat ihn aber weiterbedroht, und ihm | |
| sollte die Kassenzulassung entzogen werden. | |
| Was hat man ihm vorgeworfen? | |
| Langenbach: Er hätte Abtreibungen vorgenommen, sexuell belästigt und | |
| gestohlen. Ich habe hinterher nachgelesen, dass genau diese Vorwürfe auch | |
| anderen Ärzten gemacht wurden. Der Ärzteleiter damals, der 120-prozentiger | |
| Nazi war, war empört, dass in den Freispruch Juristen involviert waren, die | |
| gar nicht in der Partei waren. | |
| Fürchtete Ihr Vater etwas Ähnliches, als er sich das Leben nahm? | |
| Langenbach: Ihm wurde die Approbation entzogen, und zwar zum 31. Januar | |
| 1939. Vier Wochen davor hat er sich das Leben genommen. Er war 1864 | |
| geboren, also viel zu alt fürs Auswandern. Genau wie sein Bruder. | |
| Wie war es damals für Sie, als neue Nachbarn in das Haus der Luries | |
| einzogen, Herr Wernicke? | |
| Wernicke: Es war zunächst mal schrecklich, weil es von jetzt auf jetzt | |
| vorbei war mit der Nachbarschaft. Katjas Schaukel war von uns Luftlinie 30 | |
| Meter weg, und ich erinnerte mich an die Honigbrote, die Katjas Mutter uns | |
| vorbeigebracht hatte. | |
| Wie war das Verhältnis Ihrer Eltern zu den Nationalsozialisten? | |
| Wernicke: Meine Mutter war keineswegs für sie. Bei meinem Vater war das | |
| anders. Er hatte große Schwierigkeiten mit den Kommunisten und war zunächst | |
| sicherlich mit dem ganzen Wandel eher einverstanden. Er war Gott sei Dank | |
| den ganzen Krieg über Dolmetscher in einem Kriegsgefangenenlager. Wie es | |
| sonst ausgegangen wäre, weiß ich nicht. | |
| Langenbach: Das kann man sich heute auch gar nicht mehr vorstellen, dass | |
| auch wir als Betroffene bis zuletzt, bis nach dem Krieg überhaupt nicht | |
| gewusst haben, was sich in den KZs abspielt. | |
| Dennoch muss die Verzweiflung Ihres Vaters und Ihres Onkels unermesslich | |
| gewesen sein. | |
| Langenbach: Die Hetze war riesig – allein die Anschläge vom Stürmer, dieser | |
| Zeitschrift der Nazis. Da war überall zu sehen, wie gehetzt wurde gegen die | |
| Juden. Das war das öffentliche Leben um uns herum, nicht irgendeine ferne | |
| Bedrohung. | |
| Wernicke: Das habt ihr natürlich ganz anders wahrgenommen als ich. Ich als | |
| Kind habe so eine Zeitschrift gar nicht in die Hand bekommen. | |
| Gab es jüdische Kinder in Ihrer Klasse? | |
| Wernicke: Nein. Und wenn, hätte ich es nicht gewusst. Ich wusste ja auch | |
| nicht, dass Rosemarie jüdisch war. | |
| Langenbach: Noch nicht. Ich bin ja später erst übergetreten. | |
| Wie kam es dazu? | |
| Langenbach: Mein Vater hat sich taufen lassen, meine Mutter kam sowieso aus | |
| einer nichtjüdischen Familie. Ich bin erst 1949 zum Judentum übergetreten. | |
| Ich wollte mal etwas Ganzes sein und nichts Halbes. | |
| Wie fand Ihre Mutter das? | |
| Langenbach: Prima. Sie hat es voll verstanden. Ich habe ihr nur leidgetan, | |
| weil die Prüfung so verdammt schwer war. | |
| Verstehen Sie sich heute als Chronisten der NS-Zeit? | |
| Wernicke: Wir tun ja nichts anderes, als uns zu erinnern. Wir haben in der | |
| ganzen Kriegszeit viel mit uns zu tun gehabt, es war eine so grauenvolle | |
| Zeit. | |
| Langenbach: Das ist das, was mir in diesen Zeitzeugengesprächen auffällt, | |
| etwas, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann: dass politische | |
| Fragen untergingen angesichts der unglaublichen Belastungen. Es gab ständig | |
| Luftangriffe, wir saßen abends in den Kellern. Meine Mutter sagte immer zu | |
| mir: „Sei bloß still und erzähl nichts.“ Sie meinte vielleicht, dass ich | |
| etwas über meinen Vater erzählen würde, aber das habe ich lieber nicht | |
| getan. | |
| Wie haben Sie das Kriegsende erlebt? | |
| Wernicke: Mein zwei Jahre älterer Bruder ist in der letzten Kriegswoche | |
| noch gestorben. Wir wissen nicht, wie und wo. Er war gerade von der | |
| Ausbildung an die Grenze gekommen. Für meine Eltern war es eine | |
| Riesenkatastrophe. | |
| Langenbach: Der Krieg hat bei Herrn Wernicke in der Familie gewaltige | |
| Spuren hinterlassen. | |
| War der Suizid von Jacob Lurie nach 1945 Thema in Ihrer Familie, Herr | |
| Wernicke? | |
| Wernicke: Mein Thema nur noch, bis heute, von Kriegsende an – bis wir | |
| wirklich merkten, was geschehen war. Ich wollte begreifen, wie das möglich | |
| war, was da passiert ist, was wir nicht wussten, das war so ungeheuerlich. | |
| Ich konnte mich gar nicht mit anderen Dingen beschäftigen. | |
| Waren Sie zu Kriegsende auch in Hamburg, Frau Langenbach? | |
| Langenbach: Da ja die Männer eingezogen waren, konnte ich als | |
| Pferdepflegerin arbeiten. Ich war in Schlesien auf einem Gestüt, dann in | |
| Schleswig-Holstein bei einem Bauern, habe da die Pferde versorgt und habe | |
| da auch die Kapitulation erlebt. Ich war ab und zu mal in Hamburg auf der | |
| Trabrennbahn, aber oft hat man dort gar nicht gewusst, wo ich gerade war. | |
| Diese Zeit zwischen 1943 und ’45 war sehr konfus. Ich war in gewisser | |
| Hinsicht fast besser dran als Herr Wernicke, weil ich durch die | |
| Pferdegeschichte manchmal ganz lustige Erlebnisse hatte, die mich ein | |
| bisschen aus dem Thema herausholten. | |
| Wie fühlten Sie sich nach Kriegsende in Deutschland? | |
| Langenbach: Richtig schlimm wurde es dann wieder in der Schule, weil ich | |
| den Lehrern nicht traute und dachte, das seien alles Nazis. Also, ich war | |
| ganz übel zu den Lehrern. Aber eines der unangenehmsten Ereignisse | |
| überhaupt hatte ich bei einem Zusammentreffen mit einer Burschenschaft im | |
| Studium. | |
| Wernicke: Ja, das ist ganz besonders unglaublich, die Geschichte aus deinem | |
| Erinnerungsbuch. | |
| Langenbach: Ich habe in Gießen Veterinärmedizin studiert und hatte eine | |
| Präpariergruppe mit zwei Jungs. Wir waren befreundet. Dann, mit einem Mal, | |
| hatten sie keine Zeit mehr, mit mir zum Schwimmen zu gehen. Ich dachte, na, | |
| die haben jetzt vielleicht eine Freundin. Aber als ich zu dem Baggersee | |
| kam, da lagen die beiden da und hatten absolut keine Freundin. Ich war | |
| total perplex und habe gefragt, was los ist. Da stellte sich heraus, dass | |
| sie von einem sogenannten Fuchsmajor der Burschenschaft Germania | |
| angesprochen worden waren, sie könnten dort Mitglied werden, aber sie | |
| dürften nicht mit Juden verkehren. Das war 1950/51. | |
| Was haben Sie dann gemacht? | |
| Ich habe mich erst mit dem Fuchsmajor der Verbindung getroffen, der sich | |
| herausredete, es wäre nicht so gemeint gewesen. Im nächsten Semester ging | |
| es aber weiter, dass die Jungs aufstanden, wenn ich im Bus fuhr oder mich | |
| in der Mensa hingesetzt habe, und mir aus dem Weg gingen. Vor dem Haus | |
| meines Vermieters machten sie ein Topfdeckelkonzert mit „Juden raus“; der | |
| Vermieter hat mir daraufhin gekündigt, weil ich geschäftsschädigend sei. | |
| Dann bin ich zum Rektor gegangen, der nichts unternommen hat. Danach ging | |
| ich zum amerikanischen Verbindungsoffizier, der sagte: „Mach bloß nichts, | |
| ich bin selbst Jude, sonst heißt es nachher, die Juden halten zusammen.“ | |
| Daraufhin bin ich aus Gießen weggegangen. | |
| 13 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.stolpersteine-hamburg.de/?&MAIN_ID=7&BIO_ID=942 | |
| ## AUTOREN | |
| Friederike Gräff | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Stolpersteine | |
| Blankenese | |
| Hamburg | |
| Freundschaft | |
| Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
| Kolumne Ethikrat | |
| Ausstellung | |
| Pogrom | |
| Erinnerungskultur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| NS-Widerstand der „Roten Kapelle“: Hingerichtet in Plötzensee | |
| Mit Klebezetteln kämpfte Liane Berkowitz gegen das NS-Regime. Vor 80 Jahren | |
| wurde sie kurz vor ihrem 20. Geburtstag in einer Berliner Haftanstalt | |
| hingerichtet. | |
| Wenn alte Menschen sterben: Trauer ist alterslos | |
| Dass ein Mensch alt ist, bedeutet noch lange nicht, dass sein Tod eine | |
| kleinere Lücke hinterlässt. | |
| Ausstellung zu Shoah-Überlebenden: Wo die Zeitzeugen sprechen | |
| In einer Ausstellung des Berliner Centrum Judaicum geben Menschen Zeugnis | |
| über ihre Verfolgung im NS-Regime. Sie ist eine Einladung zum Hören. | |
| Historiker über Juden in Hansestädten: „Wohlhabende durften gern bleiben“ | |
| Wohlhabende jüdische Kaufleute waren in Hansestädten der frühen Neuzeit | |
| hoch willkommen. Ärmere Glaubensgenossen mussten meist außerhalb siedeln. | |
| Erinnerungsprojekt an NS-Zeit: „Juden erkannten die Gestapo“ | |
| Als Neunjähriger floh Franz Michalski mit der Familie nach Berlin. | |
| Gemeinsam mit seiner Frau erinnert er an die Verfolgung, aber auch an | |
| Hilfe. |