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# taz.de -- Medienexperte über Schlesinger-Affäre: „Der RBB ist keine Konse…
> Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss nach dem Schlesinger-Fall
> Vertrauen zurückgewinnen, sagt Leonard Novy. Er fordert: alle Gremien
> reformieren.
Bild: Alle Blicke sind auf den rbb gerichtet
taz: Herr Novy, Vetternwirtschaft, teure Dienstwagen, private
Essenseinladungen auf Kosten des RBB, [1][die Vorwürfe gegen Patricia
Schlesinger sind massiv]. Welchen Einfluss hat das auf die Wahrnehmung des
[2][RBB innerhalb der Bevölkerung?]
Leonard Novy: Der Einfluss ist fatal. Da zeigt sich ein Sittenbild des
Berliner Filzes, von dem man eigentlich glaubt, es gäbe ihn so gar nicht
mehr. Das schadet dem Vertrauen in den Sender in der Stadt und in der
Region. Es geht aber längst nicht mehr nur um Frau Schlesinger und die
Frage ihrer juristischen oder moralischen Verfehlungen. Es geht
mittlerweile um das ganze System der Öffentlich-Rechtlichen.
Durch den Skandal werden solche Populist*innen noch lauter, die
fordern, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) und die als
„Zwangsgebühren“ bezeichneten Rundfunkbeiträge abzuschaffen. In Frankreich
wurde das eben erst gemacht. Ist der ÖRR in Deutschland in Gefahr?
Die Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Sender ist bedroht und der Schaden
ist enorm, gerade vor dem Hintergrund politischer Vorstöße nicht nur
seitens der AfD. Auch Teile der CDU und FDP stellen ja die Notwendigkeit
öffentlich-rechtlicher Medien in ihrem aktuellen Umfang längst infrage.
Hier wird nun auch ein politisches Spiel gespielt, das man nur vor dem
Hintergrund der Debatte über die Höhe und Verwendung des Rundfunkbeitrags
beziehungsweise der staatlichen Presseförderung verstehen kann. Es ist aber
auch schlichtweg so, dass der Daseinszweck der Öffentlich-Rechtlichen sich
heute nicht mehr so leicht vermitteln lässt wie im 20. Jahrhundert. Und das
Vorhandensein ihrer Apparate ist kein Selbstzweck.
Weil wir als Publikum durch das diverse Medienangebot im Internet nicht
mehr unbedingt das Gefühl haben, auf die Öffentlich-Rechtlichen angewiesen
zu sein.
Für die Legitimation der Öffentlich-Rechtlichen braucht es neben gutem
Programm Kommunikation und Transparenz. An der Frage, ob Medienpolitik,
Sender und Gremien die jetzt liefern, bemisst sich auch die
Zukunftsfähigkeit dieses Systems.
Was ist denn die Berechtigung für den ÖRR?
Wir brauchen solidarisch finanzierten Journalismus, der sich am Gemeinwohl
orientiert, der Bürgerinnen und Bürger eben nicht primär als Konsumenten
adressiert, sondern als Bürgerinnen und Bürger. In Zeiten von sozialen
Medien, Desinformation, Polarisierung und Kommerzialisierung brauchen
Bürgerinnen und Bürger Orte der Information und Selbstverständigung. Wenn
es die heute nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Aber dann würde man sie
eben auch ganz anders bauen, inklusive der Gremien. Das ist das Problem,
vor dem wir stehen.
Dafür braucht es auch Vertrauen in die Medien. Wie könnte der RBB sich das
wieder erarbeiten?
Durch schnelle und radikal transparente Aufklärung.
[3][Die Kolleg*innen des RBB machen das ja gerade.] Sie recherchieren,
stellen Vorgesetzten in Interviews bissige Fragen.
Die Redaktionen des RBB machen das journalistisch gut. Aber die Krisen-PR
eines Medienhauses kann sich nicht darin erschöpfen, dass die eigenen
Journalist:innen der Geschäftsleitung hinterherrecherchieren. „Diese
Transparenz, die Sie uns versprechen, die gibt es einfach nicht“, hat die
RBB-Moderatorin Sarah Oswald am Montag zum eigenen Programmdirektor gesagt.
Es muss nun proaktiv, nachvollziehbar und kontinuierlich informiert werden.
Wo ist die Überblicks-Website mit in Prüfung befindlichen Vorwürfen,
bereits vorliegenden Ergebnissen und getroffenen Maßnahmen? Dort sollten
nicht nur wie bislang einzelnen Beiträge hochgeladen werden, sondern der
RBB als Institution muss sich dort den Vorwürfen stellen.
Die PR-Abteilung soll aktiv werden?
Das macht ja jeder Konzern, wenn er in einer Krise steckt. Manche besser,
manche schlechter. Es ist jetzt auch Zeit, systematisch aufzuschlüsseln,
worum es in den Vorwürfen geht und was dazu bereits herausgefunden wurde.
Das wäre ja eigentlich die Aufgabe des Compliance-Verfahrens, dessen
Ergebnisse aber erst für September oder Oktober erwartet werden. Braucht es
dieses Verfahren noch, jetzt wo die Generalstaatsanwaltschaft Berlin
ermittelt?
Die braucht es absolut. Die Sache muss vom Haus institutionell, nicht
journalistisch aufgeklärt werden.
Der RBB befindet sich hier aber in einem Zwiespalt und einige Personen
besonders: Auf der einen Seite steht die Verpflichtung einer moralisch
richtigen Aufklärung, auf der anderen aber auch der Wunsch, sich nicht in
einem schlechten Licht darzustellen.
Ja, das ist klar. Aber es wird sich sicher auch noch personell einiges tun.
Hinzu kommt: Der RBB ist keine Konservenfabrik, auch kein Ölkonzern. Nein,
er ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt. Und als solche muss er die Sache
aufarbeiten. Sich darauf zu berufen, dass irgendwann im September oder
Oktober Antworten kommen, das würde man auch niemand anderem durchgehen
lassen.
Was kann der RBB noch tun, um die Gefahr von Machtmissbrauch in Zukunft zu
minimieren?
Es braucht da klare, transparentere Regelungen und eine effektivere
Kontrolle, wenn es um die Verwendung von Rundfunkbeiträgen geht. Aus meiner
Sicht müssen Aufsichts- und Kontrollgremien, also hier der Rundfunkrat und
der Verwaltungsrat, dringend überprüft und optimiert werden. Und das gilt
nicht nur für den RBB und nicht erst seit dem Skandal Schlesinger.
Hat der Verwaltungsrat nicht durch die Anschuldigungen gegen seinen
damaligen Vorsitzenden Wolf-Dieter Wolf, gegen den nun auch die Berliner
Staatsanwaltschaft ermittelt, bewiesen, dass er als Organ, das die
Intendanz kontrollieren soll, nicht funktioniert?
Ja, das hat er. Aber es muss noch genau geprüft werden, was genau
schiefgelaufen ist und wie viel davon an der Person liegt. Trotzdem zeigen
sich die großen strukturellen Probleme dieser Gremien: Überforderung und
mangelnde Kapazitäten dadurch, dass die Mitglieder ehrenamtlich arbeiten.
Ein weiteres Problem ist das Selbstverständnis einzelner Akteure oder
Organe. Sie verstehen sich teilweise als Teil des Hauses, teilweise als
Vertreter einzelner Organisationen, für die sie im Rundfunkrat sind. Sie
sollten aber Anwälte der Allgemeinheit sein. Sicherlich gibt es auch viele
Leute, die mit großem Idealismus und Engagement im Gremium sind. Für die
tut es mir besonders leid. Denn sie stehen vor diesen strukturellen
Problemen – und vor riesigen, über die Jahre immer nur größer werdenden
Aufgaben.
Wie müssten die Gremien reformiert werden?
Es braucht eine grundlegende Reform mit Blick auf die Effektivität, mehr
Ressourcen und mehr Unabhängigkeit. Dazu gehört auch eine Legitimität der
Besetzung: Wer sitzt in so einem Gremium? Und wie lange? Ist das Konzept,
Akteure von „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ im Gremium einzusetzen
noch sinnvoll? Oder sollte man nicht über Losverfahren Personen aus dem
Publikum stärker einbinden? Diese Gremien haben eine enorme Bedeutung.
Sie können ein Impuls sein für mehr Dialog mit der Gesellschaft, aber dafür
müssen sie transparenter werden. Die Menschen müssen erfahren, wofür die
Gremien da sind. Vielleicht sollten sich die Gremienmitglieder der
unterschiedlichen Anstalten mal über die Grenzen der sie entsendenden
Organisationen hinweg auf einer Konferenz treffen und darüber verständigen,
welche Rolle sie wahrzunehmen gedenken und welcher Mittel es dafür bedarf.
Zurück zu den Vorwürfen gegen Schlesinger: teurer Dienstwagen, hohe Boni,
Abendessen zu Hause und schicke Innenausstattung im Büro. Würden Sie das
als unmoralisch bezeichnen?
Ja. Es mag legal sein, aber auf jeden Fall ist es nicht legitim. Wer sich
so was wünscht, sollte es vielleicht doch eher in der Privatwirtschaft
probieren
Bald wird es dann auch ein*e neue*n Intendant*in geben, die all das
wieder gutmachen muss. Was sollte diese Person mitbringen?
Ich kann nur erahnen, wie es innerhalb des Hauses gerade zugeht, aber die
Person braucht Integrationsfähigkeit nach innen. Sie muss Vertrauen
herstellen, wirklich zuzuhören. Zudem braucht sie aber auch eine Vision für
den RBB und strategische Know-how, diese umzusetzen. Es gibt wohl
Überlegungen, der Belegschaft eine größere Mitsprache zu geben bei der
Auswahl solcher Personalien. Die Gremien dürfen dabei nicht komplett außen
vor gelassen werden, aber ich finde das einen spannenden Reformansatz.
Damit – nicht mit der Einführung maßloser, an die Umsetzung von Sparzielen
beim journalistischen Fußvolk geknüpfter Boni für das Spitzenpersonal –
würde der RBB dann mal wieder ein positives Signal aussenden. In die ARD
hinein, aber auch in die Gesellschaft. Hier ist die Medienpolitik gefragt.
12 Aug 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Johannes Drosdowski
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