# taz.de -- Skandal beim RBB: Übertriebenes Senderbewusstsein | |
> Im Landtag Brandenburg äußern sich RBB-Vertreter zu Vorwürfen gegen | |
> Sender und Ex-Intendantin Schlesinger. Was folgt aus dem | |
> Kontrollversagen? | |
Es kommt nicht so oft vor, dass die Chefs der öffentlich-rechtlichen Sender | |
sich vor den Abgeordneten eines Landtags erklären. Patricia Schlesinger | |
stand hier als RBB-Intendantin im April 2021. Das war lange vor den | |
Vorwürfen um Postengeschacher und um italienisches Edelparkett in ihrem | |
Büro. | |
Damals, im April 2021, zeigte Schlesinger im brandenburgischen Landtag | |
hübsche Folien zur Zukunft des RBB. Sie wolle die Digitalisierung | |
„endgültig in den RBB“ holen, sagte sie da. Dafür müsse der Sender [1][e… | |
neues Gebäude bauen, das Digitale Medienhaus], in dem die Redaktionen enger | |
zusammenarbeiten können sollen. | |
Gut ein Jahr später ist dieses Digitale Medienhaus ein Teil in dem großen | |
Puzzle, das Schlesinger ihren Job gekostet hat. Für den Bau dieses | |
Medienhauses wurden offenbar undurchsichtige Verträge mit Beratern | |
geschlossen und es wurde viel teurer als geplant. Mittlerweile liegt das | |
Medienhaus auf Eis und Patricia Schlesinger ist keine Intendantin mehr. Der | |
Rundfunkrat hat sie am Montag abberufen. | |
Anfang August hatte das zu Axel Springer gehörende [2][Wirtschaftsmagazin | |
Business Insider] peu à peu verschiedene Vorwürfe gegen Schlesinger | |
öffentlich gemacht. Es geht um einen Luxusdienstwagen mit | |
Intendantinnenrabatt, um Abendessen in ihrer Privatwohnung auf Kosten des | |
RBB, um eine saftige Gehaltssteigerung inklusive Bonuszahlungen und um den | |
Vorwurf der Vetternwirtschaft. | |
## Prasserei trotz Sparkurs? | |
Es ist noch unklar, welche dieser Vorwürfe strafrechtlich relevant sind. | |
Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der | |
Untreue und der Vorteilsannahme gegen Schlesinger, ihren Mann und den | |
obersten Chefkontrolleur des RBB, Wolf-Dieter Wolf. In jedem Fall aber sind | |
die Vorwürfe Zündstoff in einem Sender, der seit Jahren drastisch spart und | |
in einer Zeit, in der der Öffentlich-Rechtliche im Verdacht der Prasserei | |
steht. Schließlich finanziert sich das System über Gebührengelder: 18,36 | |
Euro zahlt jeder Haushalt zurzeit monatlich für den Rundfunk. | |
Deswegen interessieren sich auch die Abgeordneten des Brandenburger | |
Landtags für sie. Brandenburg führt zusammen mit Berlin die Rechtsaufsicht | |
über den Sender. Die Abgeordneten des Brandenburger Hauptausschusses hatten | |
Patricia Schlesinger am 19. Juli schon eingeladen, zu diesem Termin war die | |
damals Noch-Intendantin nicht gekommen. | |
An diesem Dienstag sind alle da, die der Hauptausschuss eingeladen hatte – | |
und sie schaffen es tatsächlich, ein bisschen Licht ins Dunkle zu bringen: | |
der kommissarische Intendant, Hagen Brandstäter, die stellvertretende | |
Vorsitzende des Verwaltungsrats, Dorette König, die Vorsitzende des | |
Rundfunkrats, Friederike von Kirchbach, und die Vorsitzende des | |
Personalrats des RBB, Sabine Jauer. | |
Der Rundfunkrat überwacht das Programm der Sender, wählt die Intendanz und | |
kann sie abberufen. Der Verwaltungsrat hat die Zahlen im Blick: den | |
Wirtschaftsplan, den Geschäftsbericht, die Finanzplanung. Alle Mitglieder | |
der Gremien arbeiten ehrenamtlich. | |
## Verwaltungsrat hat versagt | |
Im Brandenburger Landtag geben alle Vertreter*innen des RBB ein | |
Statement ab. Der Interimsintendant verwendet mehr Zeit darauf, über die | |
sechs Radiosender des Senders zu sprechen, als über die konkreten Vorwürfe | |
gegen ihn. Einzig die Vertreterin des Personalrats, Sabine Jauer, gibt | |
einen ersten Hinweis darauf, dass die Probleme mit Patricia Schlesinger | |
nicht erst angefangen haben, als Business Insider von Vorwürfen berichtete. | |
Der Personalrat habe zunehmend Probleme gehabt, zu Schlesinger | |
durchzudringen. | |
Die Abgeordneten sind gut vorbereitet. Es gibt eine lange Frageliste, und | |
so wird es schnell kleinteilig: Es geht um die Frage, wer wann was wusste, | |
wie genau der Verwaltungsrat arbeitet, welche Kompetenzen die | |
Compliance-Beauftragte hatte. | |
Es geht um Bonuszahlungen für die Geschäftsleitung, die der | |
Interimsintendant lieber „variable Gehaltsanteile“ nennt, und um die | |
Sanierung des Büros der Intendantin für 750.000 Euro. Eine Summe, die, das | |
gibt der Intendant zu, „auf den ersten, zweiten und dritten Blick sehr | |
hoch“ wirke. Am Ende wird die Sitzung statt der geplanten Stunde fast sechs | |
Stunden dauern. | |
Was deutlich wird in den Antworten der Sendervertreter*innen: Die | |
Aufsichts- und Kontrollgremien, vor allem der Verwaltungsrat, haben | |
versagt. Dorette König vom Verwaltungsrat räumt das selbst ein. | |
## Chefetage für 1,4 Millionen Euro | |
Der ehemalige Verwaltungsratschef muss geschaltet und gewaltet haben, wie | |
er wollte – und seine Kolleg*innen haben ihn daran offenbar kaum | |
gehindert. Wolf-Dieter Wolf, ein Immobilienunternehmer aus Berlin, der | |
gleichzeitig Aufsichtsratschef der Berliner Messe war, ist mittlerweile | |
zurückgetreten. | |
Seine bisherige Stellvertreterin, Dorette König, führt das Gremium nun | |
kommissarisch. Sie schildert die Arbeitsweise des Verwaltungsrat so: Man | |
habe sich die Aufgaben nach dem Ressortprinzip aufgeteilt, anders sei das | |
Ehrenamt nicht zu bewältigen. Der Vorsitzende sei allein dafür zuständig | |
gewesen, den Dienstvertrag mit der Intendantin auszuhandeln. | |
Dazu gehört wohl auch deren Gehaltserhöhung um 16 Prozent sowie die Zahlung | |
eines Bonus für sie. Darüber sei der Verwaltungsrat nur in Eckpunkten | |
informiert worden. Details habe der Verwaltungsratschef mit Hinweisen auf | |
den Datenschutz nicht nennen wollen. Man habe ihm vertraut, sagt Dorette | |
König. Diese Arbeitsweise habe den Mitgliedern viel individuelle Freiheiten | |
gegeben, aber zu wenig Kontrolle ermöglicht. Das habe die Skandale | |
begünstigt. | |
Davon, dass die Chefetage für rund 1,4 Millionen Euro saniert wurde, habe | |
der Verwaltungsrat nichts gewusst, auch nichts davon, dass das Digitale | |
Medienhaus plötzlich 185 Millionen statt wie bisher geplant 100 Millionen | |
Euro kosten sollte. Auch der Intendant Hagen Brandstäter sagt, die | |
gestiegenen Kosten seien im RBB nirgends hinterlegt gewesen. Dass | |
Brandstäter das sagt, ist überraschend. Er ist seit 20 Jahren | |
Verwaltungsdirektor des RBB, ihm unterstehen die Finanzen. | |
## Überfordert und weit weg von der Belegschaft | |
Aber, sagt Brandstäter später auch: Er sei nicht der oberste | |
Rechnungshofprüfer der Intendantin, er kenne nicht jede ihrer | |
Kreditkartenabrechnungen. Dennoch halte er den RBB „für ein gut geprüftes | |
Unternehmen“. | |
Gut geprüft war die Arbeit der Compliance-Beauftragten offenbar nicht. Die | |
Intendantin selbst habe sie eingesetzt, sie war weisungsgebunden gegenüber | |
der Intendantin. In der „RBB-Abendschau“ sagte sie, eigentlich sei es | |
schwierig gewesen, die Intendantin selbst zu kontrollieren. | |
Hagen [3][Brandstäter, der Interimsintendant], bemüht sich im Landtag als | |
Nachlassverwalter der Führungsriege des RBB. Mit einem leicht schnippischen | |
Beleidigtsein schmettert er Nachfragen zu den Vertragsdetails Patricia | |
Schlesingers ab. Er zeichnet das Bild einer Geschäftsleitung, die offenbar | |
überfordert war, und sich dabei immer weiter von der Belegschaft entfernt | |
hat. | |
Es ist schließlich der CDU-Abgeordnete Steeve Bretz, der nach über vier | |
Stunden deutlich wird: „Ich bin mir nicht sicher“, sagt Bretz an | |
Brandstäter gerichtet, „ob Sie die Dimension des eingetretenen Schadens | |
verstanden haben.“ Die Geschäftsleitung des RBB habe es mitzuverantworten, | |
dass jetzt die Leute Auftrieb bekämen, die die Abschaffung des | |
Öffentlich-Rechtlichen fordern. „Und das in einer Zeit von Fake News, in | |
der es auf einen guten Öffentlich-Rechtlichen ankommt.“ | |
## Jetzt müssen Reformen kommen | |
Die Affäre rund um Schlesinger hat die Sender tatsächlich in eine | |
Vertrauenskrise gestürzt. Es ist nicht der erste Finanzskandal bei einer | |
ARD-Anstalt, aber es ist der Erste, in dem so umfangreiche Vorwürfe gegen | |
eine Intendantin erhoben werden. Er könnte tatsächlich der Anstoß sein für | |
eine Reform, zum Beispiel der Kontroll- und Aufsichtsgremien. | |
Im Herbst soll der neue Rundfunkstaatsvertrag für den RBB verabschiedet | |
werden. Jeder ARD-Sender hat so einen Staatsvertrag, in ihnen sind die | |
Struktur und der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geregelt, | |
nicht das Programm oder seine Inhalte. | |
Eigentlich wollten die Parlamente in Brandenburg und Berlin demnächst den | |
neuen Rundfunkstaatsvertrag für den RBB durchwinken. Das wird allerdings | |
nach der Schlesinger-Krise kaum noch möglich sein: Die Aufsichtsgremien | |
müssen grundlegend reformiert werden, um mehr Abstand zur Geschäftsleitung | |
zu bekommen. Es geht dabei nicht nur im vertragliche Klauseln, sondern auch | |
um den Arbeitsalltag beim RBB: Die Mitarbeiter, die den Kontrollgremien | |
zuarbeiten, sitzen auf derselben Etage wie die Intendanz. | |
Auch in den anderen ARD-Anstalten fragen sich zurzeit viele, ob ihre | |
Kontrolleure gut genug ausgestattet sind, um solche Skandale zu erkennen. | |
Journalist*innen verschiedener Medien suchen diese Skandale derweil | |
überall. Die Bild-Zeitung berichtet von der [4][Technikdirektorin des | |
Bayerischen Rundfunks], die einen Dienstwagen und „zwei eigene Fahrer“ | |
„auch für private Trips“ nutze. Der Spiegel fand bei Phoenix, dem | |
Gemeinschaftssender von ARD und ZDF, heraus, dass die dortige | |
Programmgeschäftsführerin Michaela Kolster ihren Dienstwagen mehrfach ihrem | |
Ehemann geliehen hatte, auch für private Fahrten. | |
## Mehr Gehalt als die Bürgermeisterin | |
Noch umstrittener als Luxusdienstwagen sind die Intendantengehälter. Auch | |
das wurde durch den Schlesinger-Skandal neu befeuert: Wieso verdient | |
[5][Tom Buhrow, der Intendant des Westdeutschen Rundfunks, 413.000 Euro]? | |
Wieso verdiente Patricia Schlesinger 303.000 Euro – ein Drittel mehr als | |
die Regierende Bürgermeisterin Berlins? Um das zu ändern, bräuchte es | |
beispielsweise ein Agreement aller Intendant*innen. Dass das zustande | |
kommt, ist schwer vorstellbar. | |
Der Rundfunkrat des RBB will in zwei Wochen beraten, wie eine neue | |
Intendanz gefunden werden soll. Bei der Rundfunkratsvorsitzenden gehen | |
jetzt schon Bewerbungen ein, erzählt sie. | |
Und Patricia Schlesinger? Mit 22 von 23 Stimmen hatte der Rundfunkrat sie | |
am Montag abberufen. Gekündigt ist sie damit noch nicht. Auch ist damit | |
noch nicht geklärt, ob sie abgefunden werden muss und was die Abberufung | |
für ihre Rentenbezüge bedeutet. Mit den Details der Vertragsauflösung wird | |
sich der Verwaltungsrat in den kommenden Tagen beschäftigen. | |
Nachdem Schlesinger mehrere Tage abgetaucht war, trat sie in der Sitzung | |
des Rundfunkrats überraschend auf. Es war wohl ihr Versuch, ein letztes | |
bisschen ihres Rufs zu retten, erzählen Mitglieder des Rundfunkrats. Sie | |
pries ihre Erfolge und entschuldigte sich bei allen Mitarbeitenden, wies | |
aber Vorwürfe zurück, sie habe sich persönlich am RBB bereichert. | |
Es dürfte ihr letzter Auftritt dort gewesen sein. In ihrem Büro in der 13. | |
Etage wurden mittlerweile die Schlösser ausgetauscht. | |
16 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rbb-online.de/unternehmen/presse/presseinformationen/unternehme… | |
[2] https://www.businessinsider.de/wirtschaft/beratervertraege-luxus-dienstwage… | |
[3] https://www.rbb-online.de/unternehmen/der_rbb/struktur/personen/hagen_brand… | |
[4] https://www.berliner-zeitung.de/news/bayerischer-rundfunk-neuer-ard-skandal… | |
[5] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/ard-weist-gehaelter-der-inten… | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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