| # taz.de -- Recycling mit Enzymen: Problemfresser namens PHL7 | |
| > Forscher:innen aus Leipzig haben ein Enzym entdeckt, das PET-Plastik | |
| > schnell zersetzt. Hilft es in Zukunft dabei, die Plastikflut zu | |
| > bewältigen? | |
| Bild: Exportweltmeister: Mehr als 700.000 Tonnen Plastikmüll exportiert Deutsc… | |
| Berlin taz | Die Welt ist voller Plastikmüll. Für manche mag der | |
| gebetsmühlenartig von Umweltschutzorganisationen vorgetragene Befund | |
| inzwischen wie ein alter Hut klingen. Dabei haben wir noch nicht mal | |
| wirklich damit angefangen, die Plastikkrise anzugehen. 2020 fielen in | |
| Europa 29,5 Millionen Tonnen Kunststoffabfall an, 5 Millionen Tonnen mehr | |
| als noch 2006. Nur 10,2 Millionen Tonnen davon wurden recycelt, vom Rest | |
| wurden 12,4 Millionen Tonnen verbrannt und 6,9 Millionen Tonnen auf | |
| Deponien abgeladen. In anderen Teilen der Welt fällt die Bilanz noch | |
| schlechter aus. Die Folge: Jedes Jahr gelangen mehrere Millionen Tonnen | |
| [1][Kunststoff in die Ozeane]. | |
| Mitte Mai aber machte ausnahmsweise mal eine gute Plastik-Nachricht die | |
| Runde: „Forschende der Universität Leipzig haben ein Enzym entdeckt, das | |
| PET in bisher unerreichter Geschwindigkeit zerfressen kann. Und da der | |
| Kunststoff beim Recyceln auch noch schonend in seine Bestandteile zersetzt | |
| wird, entsteht ein Kreislauf“, [2][schrieb zum Beispiel ARD alpha]. Kann | |
| das plastikzersetzende Enzym mit dem Namen PHL7 damit etwas zur Bewältigung | |
| der Plastikflut beitragen? | |
| Der Reihe nach: Enzyme, die Polyethylenterephthalat oder kurz PET | |
| zersetzen können, sind schon seit einigen Jahren bekannt. Erstmals | |
| beschrieben 2005 Forscher:innen der Gesellschaft für Biotechnologische | |
| Forschung in Braunschweig ein Enzym mit dieser Fähigkeit. Doch die | |
| Geschwindigkeit, mit der das neue Enzym PHL7 PET zersetzt, ist tatsächlich | |
| neu. Bisher war der Spitzenreiter das Enzym LCC, das | |
| Wissenschaftler:innen 2012 in Japan entdeckten. | |
| ## Entdeckung auf dem Kompost | |
| „Wir haben den Goldstandard LCC genommen und unter absolut identischen | |
| Bedingungen im Labor mit PHL7 verglichen. PHL7 hatte eine doppelt so hohe | |
| Maximalleistung wie LCC“, erklärt Christian Sonnendecker von der | |
| Universität Leipzig, der die Forschungsgruppe leitet, im Zoom-Call. Eine | |
| Schalenverpackung aus PET-Plastik könne PHL7 so innerhalb von 24 Stunden | |
| zersetzen. Und das Beste ist: Aus den Überresten lässt sich neues | |
| PET-Plastik herstellen. | |
| Kunststoffe wie PET sind Polymere, also Verkettungen von einzelnen | |
| Molekülen, den sogenannten Monomeren, in immer gleichen Abfolgen. PET | |
| beispielsweise besteht aus Terephthalsäure und Ethylenglycol. Wie die | |
| Leipziger Forscher:innen herausgefunden haben, spaltet PHL7 diese | |
| polymere Kette in seine zwei Grundbausteine. „Die können wir danach | |
| reinigen und dann daraus neues PET synthetisieren“, erläutert Sonnendecker. | |
| Normalerweise zersetzen Enzyme wie PHL7 und LCC kein Plastik, sondern in | |
| der Natur vorkommende Stoffe. Zum Beispiel eine Art äußere Wachsschicht bei | |
| Pflanzen, die aus natürlichem Polyester besteht. Weil die Enzyme aber so | |
| unspezifisch sind, können sie auch PET spalten. Ohne zusätzliche Energie | |
| funktioniert das jedoch nicht so richtig. Auf 70 Grad muss der Kunststoff | |
| erwärmt werden, damit die molekulare Struktur von PET flexibel genug für | |
| die Spaltung wird. Daher suchten die Leipziger Forscher:innen gezielt | |
| auf dem Komposthaufen eines Leipziger Friedhofs nach passenden Enzymen und | |
| stießen so auf PHL7. „Der Komposthaufen bringt das natürliche Substrat und | |
| die hohen Temperaturen gut zusammen“, erläutert Sonnendecker. | |
| ## PHL7 zersetzt nicht jedes Plastik | |
| Die Forscher:innen haben mit dem Enzym Großes vor: Sie wollen PHL7 in | |
| der Industrie anwenden. Hierzu arbeiten sie mit anderen Forscher:innen | |
| und Unternehmen im Rahmen des EU-Projektes ENZYCLE an der Umsetzung. Der | |
| nächste Schritt wären Tests in Tanks, die 150 Liter fassen. Allerdings | |
| wendet Sonnendecker ein: „Ich weiß, dass dieses enzymatische Recycling | |
| nicht der Schlüssel für jegliches PET-Recycling sein kann.“ Denn nur 6 | |
| Prozent des Kunststoffs in Deutschland besteht aus PET, viele andere | |
| Kunststoffe können nicht zersetzt werden. „Bei Polyethylen, Polypropylen, | |
| Polystrol und PVC haben wir enzymatisch keine Chance“, so Sonnendecker. | |
| „Alles reduzierte Kohlenwasserstoffe, die chemisch sehr unreaktiv sind.“ | |
| Diese vier Kunststoffarten machen zusammen aber satte 63 Prozent des | |
| Plastiks in Deutschland aus. Zudem kann PHL7 nicht jegliches PET-Plastik | |
| zersetzen, sondern nur sogenanntes amorphes PET, das eine weniger hohe | |
| Dichte hat und empfindlicher gegenüber hohen Temperaturen ist als das | |
| sogenannte teilkristalline PET. „PHL7 kann keine PET-Flaschen abbauen“, | |
| stellt Sonnendecker klar. Deshalb müssten wir Kunststoff reduzieren, vor | |
| allem Einwegverpackungen. „Wir vergeuden Erdölressourcen und produzieren | |
| sinnlos CO2.“ | |
| Tatsächlich befeuert Plastik in einem enormen Ausmaß die Klimakrise. 2015 | |
| war es für 4,5 Prozent der globalen jährlichen Treibhausgasemissionen | |
| verantwortlich, Tendenz steigend. Schätzungen zufolge könnte die | |
| Plastikproduktion- und verbrennung bis 2050 zwischen 10 und 13 Prozent | |
| unseres gesamten verbleibenden globalen CO2-Budgets aufbrauchen. | |
| Und auch das Plastik selbst wird zunehmend zum Problem: Mehr als 86 | |
| Millionen Tonnen schwimmen laut dem „[3][Plastikatlas]“ des BUND und der | |
| Heinrich-Böll-Stiftung schon in den Ozeanen. Bis eine Plastiktüte im Meer | |
| zersetzt ist, dauert es jedoch 20 Jahre, bei einer Plastiktrinkflasche 450 | |
| Jahre, bei einer Angelschnur aus Kunststoff ganze 600 Jahre. Kunststoff in | |
| den Weltmeeren zerfällt mit der Zeit in winzige Teilchen und wird so zu dem | |
| [4][berüchtigten Mikroplastik]. Vom Grund des Marianengrabens bis zum | |
| Gipfel des Mount Everest ist Mikroplastik mittlerweile beinahe überall. | |
| Auch in Fischen und Vögeln und mittlerweile auch schon im Blut von Menschen | |
| wurde Mikroplastik nachgewiesen. Welche gesundheitlichen Auswirkungen es | |
| auf den Menschen hat, bleibt derweil noch unklar. | |
| ## Weltmeere bleiben verschmutzt | |
| Viele hoffen auf das Projekt „Ocean Cleanup“, das mithilfe von schwimmenden | |
| Barrieren die Meere vom Plastikmüll befreien soll. Eine Studie zeigte | |
| jedoch, dass es über einen Zeitraum von 130 Jahren [5][lediglich 5 Prozent | |
| des Plastiks aus den Ozeanen wird fischen können.] | |
| Für alle, die sich nun die Rettung durch das Leipziger Wunderenzym PHL7 | |
| vorstellen, hält Christian Sonnendecker eine schlechte Nachricht bereit. | |
| PHL7 ist nämlich für die Beseitigung des Plastiks aus den Weltmeeren | |
| ungeeignet, sagt er: „Das Enzym arbeitet nur in sehr spezifischen | |
| Temperaturen effizient. Und wenn wir es einfach ins Meer kippen würden, | |
| würde sich das sofort verdünnen.“ Dazu komme, dass auch in den Ozeanen nur | |
| ein kleiner Anteil des Plastiks das von PHL7 abbaubare amorphe PET ist. | |
| Viola Wohlgemuth, Ressourcenschutz-Expertin bei Greenpeace, hat ganz | |
| grundsätzliche Bedenken beim PET-Recycling mit Enzymen. Denn | |
| PET-Verpackungen seien oftmals nur teilweise zersetzbar: „Da sind auch | |
| Farbstoffe, Weichmacher und Additive drin, die nicht abbaubar sind“, so | |
| Wohlgemuth. Zumal das große Problem aus ihrer Sicht ohnehin die anderen | |
| Kunststoffe sind: „Wir investieren in Technologien, die am Ende nur ein | |
| bisschen an dem Problem herumkratzen.“ | |
| Die einzige Lösung sieht sie in einem generellen Verbot von Plastik, das | |
| nach aktuellem technischem Stand nicht recycelfähig ist – begleitet durch | |
| eine umfassende Mehrwegpflicht und ein Verbot von Plastikmüllexporten. „Wir | |
| sind Europameister im Plastikmüllexport“, so Wohlgemuth. Jährlich | |
| exportiert Deutschland mehr als 700.000 Tonnen Plastikmüll. Seit China 2018 | |
| einen Importstopp verhängte, landet ein Großteil des deutschen Plastikmülls | |
| in Malaysia und der Türkei. | |
| Einig sind sich Sonnendecker und Wohlgemuth darin, dass sich unsere | |
| Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft entwickeln müsste. Das Bewusstsein | |
| dafür möchte Sonnendecker mit seiner Forschung schaffen. Aus seiner Sicht | |
| könnte die Kreislaufwirtschaft bei PET-Plastik modellhaft erprobt werden. | |
| „Man hat natürlich die Hoffnung, neue Technologien zu entwickeln“, sagt er. | |
| „Aber nur die Hoffnung, etwas Neues zu entwickeln, rechtfertigt es meiner | |
| Meinung nach nicht, sich heute zu benehmen, als ob man die Technologien | |
| schon hätte.“ | |
| In der Plastikkrise ist es wie in der Klimakrise: Es existiert keine | |
| Zauberformel, die das Problem im Alleingang lösen wird. Viele Werkzeuge | |
| müssen zu Lösungen beitragen. PHL7 könnte eines sein. | |
| 29 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Forscher-ueber-Meerplastik-und-Entsorgung/!5738866 | |
| [2] https://www.ardalpha.de/wissen/umwelt/nachhaltigkeit/enzym-plasik-recycling… | |
| [3] https://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/publikationen/chemie/chemie… | |
| [4] /OECD-warnt-vor-Plastikmuell/!5858842 | |
| [5] /!5704104/ | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Schlegel | |
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