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# taz.de -- Währungskrise im Libanon: Geiselnahme in libanesischer Bank
> Im Libanon hat ein Bewaffneter Geiseln genommen, um an sein Geld zu
> gelangen. Durch die Währungskrise haben viele Banken Auszahlungen
> begrenzt.
Bild: Während der Geiselnahme in einer Bank in Beirut protestiert eine Kontoin…
Berlin taz | Im Libanon hält ein bewaffneter Mann in einer Bankfiliale im
Beiruter Stadtteil Hamra Bankangestellte und Kund*innen als Geiseln. Wie
lokale Medien berichten, droht er, die Filiale anzuzünden, wenn die Bank
ihm nicht das geforderte Geld aushändigt.
Der Geiselnehmer verlangt nicht etwa Bankrücklagen, sondern 210.000
US-Dollar – sein eigenes Geld auf seinem eignen Konto. Sie stehen ihm
rechtmäßig zu, die Bank zahlt sie ihm aber nicht aus. Denn die libanesische
[1][Währung verliert] seit Herbst 2019 stetig an Wert – Preise für Essen,
Strom und Medizin sind gestiegen, während die Gehälter gleich blieben und
die Arbeitslosigkeit stieg.
Weil der US-Dollar ein gängiges Zahlungsmittel im Libanon war und ein
fester Umrechnungskurs ihn an die Lira knüpfte, hatten viele Menschen ihr
Geld in Dollar einbezahlt. Doch nun geben die Banken das Geld in einem viel
schlechteren Währungskurs raus, und nur in kleinen Tranchen. Libanons
Banken haben so informelle Kapitalkontrollen eingeführt, wodurch
Ersparnisse effektiv eingefroren wurden.
Zeug*innen in der Nähe der Bank-Filiale sagten gegenüber der
libanesischen Zeitung L'Orient Le-Jour, dass der 42-jährige Geiselnehmer in
der vergangenen Woche mehrmals bei der Bank gewesen sei, um 5.000 Dollar
abzuheben, die sich aber geweigert habe, ihm den Betrag auszuhändigen. Der
Täter sagt, das Geld sei für seinen Vater bestimmt, der im Krankenhaus läge
und eine Operation benötige. Diese koste rund 50.000 Dollar.
## Banken und Regierung streiten sich um die Schuldfrage
Der 42-Jährige ist nicht der Einzige, dem seine Bank sein Geld nicht
auszahlt. Der Grund dafür ist, dass die Banken sich mit der Zentralbank und
der Regierung streiten, wer für die Finanzkrise verantwortlich ist. Denn
die politische Elite im Libanon hat die Privatbanken durch Gesetze dazu
gezwungen, bis zu 80 Prozent ihres Gewinns bei der libanesischen
Zentralbank anzulegen. Dieses Geld wiederum lieh sich der Staat.
Doch statt es in Projekte zu stecken, wanderte das Geld durch Korruption in
private Taschen. Der Staat ist nun pleite, kann weder das Geld noch die
Zinsen zurückzahlen. Den Privatbanken fehlt das Geld, deshalb behalten sie
das Ersparte der Bürger*innen ein, um nicht pleite zu gehen.
Die Bankenvereinigung rief am Montag zu einem Streik auf, um dagegen zu
protestieren, dass den Banken die Schuld an dem Finanzzusammenbruch gegeben
wird. Die Vereinigung schlägt vor, ein Sondergericht für
Bankangelegenheiten einzurichten, das über die Forderungen der
Anleger*innen entscheidet.
Außerdem soll der Staat ein Gesetz zur Kapitalkontrolle erlassen, das
einheitlich die Höhe von Banktransfers und Abhebungen begrenzen und die
Banken vor Klagen schützen würde. Weiter wollen sie an einem Gesetz zur
Restrukturierung der Banken beteiligt sein, um zu bestimmen, welche Banken
erhalten bleiben und wie viele Verluste der Bankensektor hinnehmen muss, um
aus der Krise zu kommen.
## Banken verbarrikadieren Filialen aus Angst vor Vandalismus
Die Libanes*innen haben wiederum wenig Handhabe, um an ihr Erspartes zu
gelangen. Aufgrund der Krise hat sich eine Vereinigung von
Anleger*innen gegründet. Sie verteidigen die Rechte der Anleger*innen,
leisten Rechtsberatung und organisieren Proteste. Die Vereinigung rief dazu
auf, vor der Bankfiliale in Hamra aus Solidarität zu protestieren. Mehrere
Demonstrierende versammelten sich in der Nähe der Bank, schrien: „Nieder
mit der Herrschaft der Banken“ und sangen zur Unterstützung des
42-Jährigen.
Ein [2][Protestierender sagte den] von vor Ort berichtenden
Fernsehreporter*innen: „Dieses Land hat keine Justiz. Die Richter sind gut
darin, jemanden ins Gefängnis zu bringen, der ein Motorrad gestohlen oder
in die Luft geschossen hat. Die Menschen im Gefängnis sind unschuldig im
Vergleich zu denen, die Millionen von Menschen ihrer Ersparnisse beraubt
haben.“ Von einem Reporter darauf angesprochen, dass sich unschuldige
Angestellte in der Bank befänden, sagte derselbe Protestierende: „Jeder,
der dem Bankbesitzer hilft, ist genauso kriminell wie er.“
Seit Beginn der Krise zerstörten Protestierende Bankautomaten oder
Glasscheiben der Bankfilialen. Die Banken wiederum verkleideten ihre
Filialen aus Schutz vor Vandalismus mit Spanholz-Brettern oder sogar
Betonmauern.
Im Januar [3][versuchte ein anderer Anleger,] mit Gewalt an sein Geld zu
kommen. Er sperrte den Direktor und seine Stellvertreterin in sein Zimmer,
verteilte Benzin und verlangte von der Bank die 50.000 US-Dollar, die er
zuvor eingezahlt hatte. Nach stundenlangen Verhandlungen bekam er einen
Teil des geforderten Geldes und stellte sich der Polizei, die ihn zur
Polizeistation brachte. Er saß drei Wochen in Haft. Die Bevölkerung machte
Druck, er kam frei und konnte einer erneuten Haft durch ein Bußgeld von
umgerechnet 10 Euro umgehen.
## Selbstjustiz und Kriminalität steigen
Um die Finanzkrise zu lösen, müssten die Verluste verteilt werden. Das
Bankensystem, aber auch der offizielle Sektor, darunter der korrupte und
marode Energiesektor, müssen reformiert werden. Es braucht Vertrauen in den
Staat, damit der Internationale Währungsfonds und andere Geber wieder Geld
überweisen.
Solange die Politik still steht, steigt die Selbstjustiz und die
Kriminalität im Libanon: Motorradfahrer klauen Handys aus den Händen der
Menschen auf der Straße oder Gullydeckel fehlen, weil Diebe sie an
Metallhändler weiterverkaufen. Die Leute wissen sich nicht mehr zu helfen.
Auch der bewaffnete 42-Jährige weiß wohl, dass er etwas Kriminelles tut:
Lokalen Medien sagte der Bruder des Bewaffneten, dieser werde sich sofort
der Polizei stellen, nachdem er sein Geld bekommen habe.
11 Aug 2022
## LINKS
[1] /Globale-Schuldenkrise/!5868270
[2] https://www.facebook.com/MegaphoneNews/videos/1048944425813547/
[3] https://www.arte.tv/de/videos/107898-000-A/libanon-die-verlierer-der-krise/
## AUTOREN
Julia Neumann
## TAGS
Libanon
Geiselnahme
Währung
Wirtschaftskrise
Beirut
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Beirut
Subventionen
Libanon
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Beirut
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