# taz.de -- Änderung der Grundsteuer: Nebenkosten sind keine Nebensache | |
> Die Immobilienpreise steigen, doch für die höhere Grundsteuer sollen | |
> Mieter:innen aufkommen. Gerechter wäre die Besitzer:innen zahlen | |
> zu lassen. | |
Bild: Über den Dächern von Berlin | |
Die „Grundsteuererklärung bringt ältere Nutzer zur Verzweiflung, es fließen | |
sogar Tränen“, schlagzeilte der [1][Münchner Merkur]. Groß ist die mediale | |
Aufregung, weil Hausbesitzende bis zum 31. Oktober ein Onlineformular des | |
Finanzamtes über ihre Immobilie ausfüllen müssen. Die Abgabe auf | |
Grundbesitz soll sich künftig am aktuellen Verkehrswert der Häuser und | |
Wohnungen orientieren – und nicht mehr an den längst überholten | |
„Einheitswerten“, die in Westdeutschland aus dem Jahr 1964 stammen, im | |
Osten gar seit 1935 unverändert geblieben sind. | |
Wer Grund und Boden besitzt, gehört in der Regel zu den Wohlhabenden im | |
Lande. Nach Finanzkrise und Euroturbulenzen sind die Immobilienpreise durch | |
die Decke gegangen. Diese Gewinne steuerlich stärker abzuschöpfen, ist | |
sinnvoll. In vielen Nachbarländern zählt die Grundsteuer zu den wichtigsten | |
Einnahmequellen der Kommunen. Die deutsche Regelung enthält hingegen einen | |
Makel, über den kaum berichtet wird. | |
Der frühere Finanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz ließ nämlich bei | |
der [2][Reform 2019] zu, dass Vermieter:innen die Abgabe wie bisher zu | |
hundert Prozent auf die Miete abwälzen können. Das dürfte, gemeinsam mit | |
den [3][Preissprüngen bei Strom und Gas], zu neuen sozialen Schieflagen | |
führen. Die Neubewertung der Finanzbehörden orientiert sich demnächst am | |
sogenannten Bodenrichtwert. Dieser zeigt an, wie attraktiv der Standort | |
einer Immobilie ist. | |
In bürgerlich geprägten Wohngebieten und in den zentral gelegenen Vierteln | |
liegt er besonders hoch, an der urbanen Peripherie und im ländlichen Raum | |
meist niedriger. Viele, die in der Innenstadt zur Miete wohnen, werden | |
daher künftig mehr Grundsteuer zahlen müssen – obwohl das Wohnen durch | |
Spekulantentum, Inflation und Energiekrise schon teuer genug ist. Die einst | |
bagatellisierend als „Nebenkosten“ bezeichneten Zusatzlasten sind nicht | |
länger nebensächlich. Sie werden zur zweiten Miete. | |
## Unbezahlbare Mieten in Metropolen | |
In den Metropolen, aber auch in manchen Universitätsstädten oder | |
touristisch attraktiven Gegenden verschlingen neu bezogene Zwei- oder | |
Dreizimmerwohnungen die Hälfte des Monatseinkommens auch von Menschen, die | |
eine relativ gut bezahlte Stelle haben. Wenn zu einer Kaltmiete im | |
vierstelligen Bereich noch mehrere hundert Euro für Gas, Strom, Wasser, | |
Grundsteuer, Müllabfuhr und Straßenreinigung hinzukommen, werden schnell | |
die Belastungsgrenzen erreicht. | |
Nicht nur gering Verdienende, auch Familien mit mehreren Kindern und | |
entsprechendem Platzbedarf müssen dann umziehen – in die weniger beliebten | |
Trabantenstädte, oder gleich in strukturschwache Regionen. Anders als an | |
den Tankstellen, wo die Preissprünge auf großen Tafeln am Straßenrand | |
sichtbar sind, wirkt beim Wohnen ein psychologischer Verzögerungseffekt. | |
Denn abgerechnet wird meist mit Verzug. | |
Eine Aufstellung der Nebenkosten erhalten viele Betroffene erst im | |
Folgejahr. Die Energieversorger erheben zwar Abschläge, die schockierend | |
hohe Nachzahlung aber wird frühestens nach dem Heizen im Winter fällig. Die | |
Finanzbehörden fangen zwar jetzt an, die Grundsteuer neu zu bestimmen, auf | |
Basis der veränderten Sätze eingefordert wird sie jedoch erst ab 2025. | |
Drastische Erhöhungen bei den Kosten für Basisbedürfnisse sind stets ein | |
Warnsignal an die Politik. Das gilt sogar für Diktaturen, und umso mehr für | |
Demokratien, die auf die Loyalität der Regierten stärker angewiesen sind. | |
Die Historie erzählt von Brotaufständen, von Revolten gegen Getreidemangel | |
oder in neueren Zeiten von militanten Protesten allein aufgrund hoher | |
Spritpreise. | |
## Immobilien sind eine lukrative Geldanlage | |
Das Problem steigender Mieten schlummert im Vergleich dazu eher im | |
Verborgenen – schon deshalb, weil nicht alle, auch nicht alle | |
Einkommensschwachen, in gleichem Maße betroffen sind. Wer zum Beispiel | |
relativ günstig in der Provinz lebt und nicht mit Gas, sondern vorrangig | |
mit einem alten Kaminofen heizt, spürt die neue Belastung weniger als | |
andere. | |
Die [4][Mietpreise steigen] seit mehr als zehn Jahren überdurchschnittlich. | |
Viele können sich nicht mehr leisten, dort zu leben, wo sie arbeiten, vor | |
allem nicht in den teuren Großstädten. Wer zu wenig verdient, weicht auf | |
günstigere Orte aus. Doch auch im Umland der Ballungsräume sind die Preise | |
gestiegen, zudem rauben längere Anfahrtswege Zeit und Kraft, von der | |
zusätzlichen Belastung für die Umwelt ganz zu schweigen. | |
[5][Die Bundesregierung unternimmt wenig]. Das Wohngeld ist viel zu | |
niedrig, das angekündigte (auch noch zu versteuernde) Energiegeld von | |
einmalig 300 Euro ein schlechter Witz. Auch bei der Grundsteuer muss | |
dringend nachgebessert werden. Der DGB und der Deutsche Mieterbund fordern | |
seit Jahren, dass Hausbesitzende die Abgabe nicht mehr bequem auf die | |
Bewohner:innen abwälzen können. Für Vermögende ist das sprichwörtliche | |
„Betongold“ immer noch eine sehr lukrative Form der Geldanlage. | |
Neben den privatisierten Wohnungskonzernen tummeln sich auf dem Markt | |
internationale Fonds und Investmentfirmen. Wer Millionen oder gar | |
Milliarden Euro in ein Mietobjekt stecken kann, um daraus Profit zu | |
schlagen, dem tut eine höhere Besteuerung nicht weh. Die | |
Interessenvertretungen der Immobilienwirtschaft aber laufen Sturm gegen | |
alle Vorschläge, die ihre Klientel belasten. Die einflussreiche Lobby warnt | |
vor „mehr Bürokratie“ oder unkt, Eigentümer:innen würden dann einfach | |
die Kaltmiete weiter erhöhen. | |
Es ist sozial gerecht, jene zur Kasse zu bitten, die Häuser oder | |
Grundstücke besitzen. Das Umlageverbot auf die Miete ist ein notwendiger | |
Schritt im Verteilungskampf und das Recht auf preiswertes Wohnen. | |
Konservative und Neoliberale wollen davon nichts wissen. In der | |
Vorgängerregierung hat sich Olaf Scholz dem Koalitionspartner CDU gebeugt. | |
In der Ampel sollte der SPD-Kanzler mehr sozialpolitisches Profil zeigen. | |
12 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.merkur.de/wirtschaft/westfalen-elster-grundsteuererklaerung-ste… | |
[2] /Neuregelung-der-Grundsteuer/!5588678 | |
[3] /Hohe-Energiepreise-in-Deutschland/!5864052 | |
[4] /Groesster-deutscher-Wohnungskonzern/!5872365 | |
[5] /Entlastungen-fuer-Buerger/!5867154 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gesterkamp | |
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