# taz.de -- Physiker über Heizen mit Wasserstoff: „Leider illusorisch“ | |
> Wärmepumpen beheizen Gebäude effizienter, sagt der Physiker Gerhard | |
> Stryi-Hipp. Leitungen von Erdgas auf Wasserstoff umzustellen, sei nicht | |
> sinnvoll. | |
Bild: Wenn erhältlich, die bessere Lösung: Wärmepumpenanlage bei Vattenfall | |
taz: Herr Stryi-Hipp, stellen Sie sich vor, ich wäre Hausbesitzerin und | |
würde Sie fragen, ob ich, statt eine [1][unendlich teure Wärmepumpe | |
einzubauen] nicht einfach meine Gasheizung fit für den Wasserstoffbetrieb | |
machen könnte. Was würden Sie antworten? | |
Gerhard Stryi-Hipp: Dass ich Ihr Anliegen natürlich nachvollziehen kann, | |
dass Ihre Idee aber leider illusorisch ist. Unsere Gebäudeheizungen | |
großflächig von Erdgas auf Wasserstoff umstellen, das ist technisch und | |
ökonomisch nicht sinnvoll. Studien dazu zeigen, dass eine starke | |
Elektrifizierung des Wärmesektors notwendig ist, um die Klimaneutralität | |
mit hohen Anteilen an in Deutschland erzeugten erneuerbaren Energien zu | |
erreichen. Die Frage ist nicht, ob wir Heizen und Kühlen elektrifizieren, | |
sondern wie schnell und bis zu welchem Umfang. | |
Aber wenn es technisch möglich wäre, wäre es nicht praktisch, | |
klimaneutralen Wasserstoff [2][in der vorhandenen Erdgas-Infrastruktur] zu | |
verwenden? | |
Technisch ist es grundsätzlich möglich. Wasserstoff ist zwar wesentlich | |
flüchtiger als Erdgas und führt leichter zu Versprödungen des Materials. | |
Aber man könnte die Erdgas-Leitungen und die Geräte durch Umbauten | |
wasserstofftauglich machen. Es gibt heute schon Heizgeräte, die | |
Wasserstoff-„ready“ sind, also sowohl mit Erdgas als auch mit Wasserstoff | |
betrieben werden können. Die Herausforderung ist: Man braucht ein Konzept | |
für die Umstellungsphase. Wenn an einem Tag X von Erdgas auf Wasserstoff | |
oder zuerst auf eine Mischung umgestellt wird, müssen alle Leitungen und | |
angeschlossene Haushalte mit ihren Geräten bereit sein, Wasserstoff oder | |
die Mischung zu führen und zu nutzen. Es wäre eine große logistische | |
Herausforderung, das zu organisieren. Teilweise wird man deshalb vermutlich | |
parallele Strukturen aufbauen. | |
Wo könnte sich das lohnen? | |
Eventuell in Regionen, in denen viel [3][Industrie sitzt, die künftig auf | |
Wasserstoff angewiesen ist und ihn nutzen wird, etwa chemische und | |
stahlherstellende Betriebe]. In diesen Gegenden müssen wir sowieso eine | |
entsprechende Infrastruktur aufbauen und könnten dort die umliegenden | |
Gebäude mit Wasserstoff zur Wärmeerzeugung versorgen. Aber das ist ein | |
Gedankenspiel, denn die technische Versorgung ist ja nur ein Problem. | |
Was denn noch? | |
Die direkte Nutzung des Stroms zur Wärmeerzeugung ist wesentlich | |
effizienter als Wasserstoff. [4][Wenn wir erneuerbaren Strom in Wasserstoff | |
umwandeln], haben wir dabei heute Energieverluste von 30 bis 40 Prozent. | |
Rechnen wir technischen Fortschritt hinzu, werden in ein paar Jahren 30 | |
Prozent im Schnitt erreicht. Das heißt, aus einer Kilowattstunde Strom aus | |
Wind- und Sonnenenergie erhalten Sie 0,7 Kilowattstunden Wärmeenergie bei | |
einer sehr effizienten Verbrennung. Künftig – heute sind wir noch | |
schlechter. Eine Wärmepumpe erzeugt aus einer Kilowattstunde Strom dagegen | |
drei bis fünf Kilowattstunden Wärme. Sie müssten also, um eine | |
Kilowattstunde Wärme aus Wasserstoff zu produzieren, etwa sechsmal mehr | |
Windräder und Solarpanele installieren, als wenn der Strom direkt eine | |
Wärmepumpe antreibt. | |
Wieso gibt es denn dann den Wasserstoff-Hype? | |
Wir werden enorme Mengen brauchen, [5][auch wenn wir ihn nicht verheizen]. | |
Die Verwendung als Rohstoff und als Prozessenergie in der Industrie hatte | |
ich schon genannt. Abgesehen davon können wir Strom nicht über längere | |
Zeiträume in Batterien speichern, das geht nur mit Gas. Wir haben zwar | |
genügend Potenzial, mit Wind und Sonne unseren Strombedarf zu decken. Aber | |
für die Zeiten der Dunkelflaute im Winter, wenn die Sonne nicht scheint und | |
über mehrere Wochen Windstille herrscht, brauchen wir Gasspeicher. Das kann | |
Wasserstoff sein, der dann in die Stromerzeugung geht. Wenn man das also | |
abschichtet, kommt heraus: Erst die Industrie, dann die Stromerzeugung und | |
was dann übrigbleibt, könnte – unter anderem – für Wärme zur Verfügung | |
stehen. | |
Macht es denn dann Sinn, von „Technologie-Offenheit“ in der Wärmewende zu | |
sprechen? | |
Aus wissenschaftlicher Sicht macht Technologieoffenheit immer Sinn. Das | |
darf allerdings nicht missverstanden werden. Denn es besteht die Gefahr, | |
dass die politischen Akteure nicht die notwendigen Entscheidungen für eine | |
massive Beschleunigung der Einführung von Wärmepumpen treffen, weil sie | |
sich auf die potenzielle technische Option der Wasserstoffheizung | |
verlassen. Das wäre fatal, denn es ist eigentlich ganz klar: Wenn wir | |
unseren Gebäudebestand im Laufe der 30er Jahre klimaneutral bekommen | |
wollen, müssen wir den Fokus auf Wärmepumpen setzen. Um auf Ihre | |
Eingangsfrage zurückzukommen: Warten Sie nicht auf Wasserstoff, investieren | |
Sie in eine Wärmepumpe. Ihre Einführung wird jetzt gefördert, künftig wird | |
sie günstiger werden und dann werden auch die Fördermittel abnehmen. | |
21 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
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