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# taz.de -- Christa Pfafferott Zwischen Menschen: Die Zecke
> Von einer freundlichen Artzhelferin, die sich unbürokratisch kümmerte. Um
> das Haftungsrisiko hat sie sich nicht geschert.
Bild: Gleich sticht sie zu: Zecke auf einer Hand
Die letzten Tage bin ich barfuß über Gras und Wege gelaufen. Jetzt denke
ich: Wo ist es passiert? Im Wald oder auf der Wiese? Ich bin gerade
geschäftlich verreist, in eine kleine Stadt, die ich nicht gut kenne. Den
ganzen Tag schon hat mich etwas zwischen den Zehen gejuckt. Bis ich sie
entdeckt habe: die Zecke. Groß und dick sitzt sie zwischen meinen Zehen.
Es ist heiß und schwül. Ich bin erschöpft. Ich würde mich am liebsten gar
nicht bewegen, aber ich weiß, dass ich diese Zecke loswerden muss. Ich gehe
nach draußen und besorge mir eine einfache Zeckenzange, doch ich bekomme
die Zecke nicht heraus. Die Zange ist zu groß, um die Zecke herausziehen zu
können.
Es klappt nicht. Ich kenne hier niemanden, der mir bei so etwas helfen
könnte. Wie schnell man allein hilflos werden kann, denke ich.
Ich betrachte die Zecke, wie sie sich weiter voll Blut saugt und [1][in
meinen Kopf treten die Meldungen über Borreliose und Hirnhautentzündung].
Ich schaue auf die Zecke, die da so unscheinbar zwischen meinen Zehen sitzt
und von der so eine große Gefahr ausgehen kann.
## Alle Arztpraxen dicht
Ich suche im Internet nach Arztpraxen in der Nähe und finde schließlich
eine. Als ich dort ankomme und der Mitarbeiterin am Empfang mein Problem
schildere, schaut sie mich ausdruckslos an.
„Wir sind komplett zu“, sagt sie. „Keine Chance.“
„Gar keine?“ Ich blicke sie an.
„Die Straße runter und dann links ist eine andere Praxis“, sagt sie.
„Versuchen Sie es dort.“
Draußen fällt mir ein, dass ich meine Versicherungskarte nicht dabei habe.
Sie liegt in Hamburg in meiner Wohnung. Wer wird mich hier behandeln, wenn
ich nicht einmal meine Krankenkassenkarte vorzeigen kann?
## Schlichte Hilfe
Die nächste Praxis, die ich betrete, ist modern, weiß und geräumig. Sie
macht einen kahlen Eindruck. Wie muss es sein, hier jeden Tag zu arbeiten,
denke ich, als ich auf die Mitarbeiterin zu trete, die in einem großen
Vorraum allein hinter dem Tresen sitzt.
„Ich habe keinen Arzt da“, sagt die Mitarbeiterin. „Ich bin allein hier.�…
Ich schaue die Mitarbeiterin an. Sie ist etwa mittelalt und kräftig. Sie
hat ein freundliches Gesicht und warme, grüne Augen.
„Was soll ich jetzt tun“, frage ich sie. „Ich weiß nicht, wie ich die Ze…
loswerde.“
Sie schaut mich an: „Soll ich mal gucken?“, fragt sie dann. Ganz lieb hört
sich der Satz an: „Soll ich mal gucken?“
Ich nicke.
## Ein modernes Wagnis
Sie fragt nicht nach meiner Versicherungskarte und nach meinen Personalien.
Wir gehen einfach in ein Behandlungszimmer. Ich stelle den Fuß auf eine
Liege mit Krepppapier und zeige ihr die Zecke. Sie [2][holt eine
Zeckenzange aus dem Schrank], setzt sie zwischen den Zehen an und zieht die
Zecke mit einem Zug hinaus: „Hab sie“, sagt sie. „Mit Kopf.“
Ich fühle ein vollumfassendes Gefühl der Erleichterung.
„Danke“, sage ich. „Danke, dass Sie mir geholfen haben.“
„Kein Problem“, sagt sie.
„Das ist nicht selbstverständlich“, sage ich.
Es gibt sicherlich viele, die sich nicht in das Wagnis begeben würden. Was
wäre, wenn sie den [3][Kopf der Zecke nicht mit herausbekommen] hätte, wenn
ich doch krank geworden wäre, wenn ich sie verklagt hätte. Ich schaue die
Mitarbeiterin an, sie lächelt. Sie hat es gemacht, ohne nachzudenken. Sie
hätte ein riesiges Problem daraus machen können, aber sie hat einfach
geholfen.
Draußen auf der Straße fühle ich mich beschwingt, wie von einer größeren
Last befreit. Und in einer tieferen Zuversicht bestätigt.
6 Aug 2022
## LINKS
[1] /Zoonosen-bedrohen-Gesundheit/!5862733
[2] /Die-Wahrheit/!5441284
[3] /Zecken-in-Brandenburg/!5781049
## AUTOREN
Christa Pfafferott
## TAGS
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