# taz.de -- Endzeitszenarien in Klimastudien: Die Krux mit der Katastrophe | |
> Stirbt die Menschheit aus? Die schlimmstmögliche Folge der Erderhitzung | |
> würde zu wenig untersucht, kritisieren Klimaforscher:innen. | |
Bild: Sieht nur schön aus, wenn man dort nicht leben muss: ausgetrocknetes Flu… | |
BERLIN taz | Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Menschheit durch die | |
[1][Klimakrise] ausstirbt. Gut, es ist nicht das wahrscheinlichste | |
Szenario. In seiner Absolutheit ist es sogar ziemlich unwahrscheinlich. | |
Möglich ist es aber eben doch. Und auch Gesellschaften, die sich nicht mehr | |
auf viel einigen können, dürften zu dem gemeinsamen Schluss kommen, dass | |
das unbedingt vermieden werden sollte. | |
Namhafte Klimaforscher:innen warnen jetzt: Wir beschäftigen uns noch | |
nicht genug mit solchen extremen Klima-Katastrophen-Szenarien. Die | |
schlimmstmöglichen Gefahren zu berücksichtigen sei aber nötig, um das | |
Risiko der Klimakrise richtig zu verstehen und damit umzugehen. Das | |
schreiben die internationalen Expert:innen in einem Artikel im | |
Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences. Die | |
Überschrift [2][„Klima-Endspiel: katastrophale Klimawandel-Szenarien | |
erforschen“]. | |
Unwetterzerstörung, lebensfeindliche Hitze, Hungersnöte, Kampf um den | |
verbleibenden Lebensraum – mit jedem Zehntelgrad Erderhitzung nehmen die | |
Folgen des Klimawandels zu. Sie kommen nicht schlagartig mit einem Mal, an | |
so einiges wird sich die Menschheit anpassen können, vor allem an den | |
wohlhabenden Orten der Welt. Aber was ist, wenn das Ganze völlig außer | |
Kontrolle gerät? | |
## „Katastrophale Größenordnung“ | |
Zu den Mahnenden gehören auch Hans-Joachim Schellnhuber und Johan | |
Rockström, ehemaliger sowie amtierender Chef des renommierten | |
Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Ihr Appell richtet sich nicht | |
nur an die Öffentlichkeit, sondern sogar besonders an die Fachwelt. Die | |
Autor:innen finden, dass auch die Klimaforschung sich bislang nicht | |
ausreichend mit extremen Klimawandel-Szenarien befasst. Deshalb wisse man | |
bisher zu wenig über deren Wahrscheinlichkeit, heißt es. „Es gibt | |
vielfältige Hinweise darauf, dass der Klimawandel eine katastrophale | |
Größenordnung erreichen könnte“, schreiben die Wissenschaftler:innen. | |
Tatsächlich ist die Welt nicht auf dem Weg, ihre im [3][Pariser | |
Weltklimaabkommen selbst gesteckten Ziele] zu erreichen. Die Staaten wollen | |
die Erderhitzung bei deutlich unter 2 Grad Celsius aufhalten, möglichst | |
sogar bei 1,5 Grad Celsius. Was die Forschung über den Unterschied zwischen | |
beiden Zielmarken weiß, hat der Weltklimarat IPCC 2018 in einem | |
Sonderbericht zusammengestellt. | |
Demnach ist klar, dass die 1,5-Grad-Welt deutlich gefährlicher ist als die | |
heutige 1,2-Grad-Welt und dass die 2-Grad-Welt noch einmal deutlich höhere | |
Risiken birgt. Nur: Obwohl sich alle Regierungen per Unterzeichnung des | |
Abkommens diesen Zielen verschrieben haben, haben sie längst noch nicht | |
ihre Politik daran angepasst. „Die Welt ist auf dem besten Weg, bis zum | |
Jahr 2100 eine Erderhitzung zwischen 2,1 und 3,9 Grad zu sehen“, warnen die | |
Klimaforscher:innen in dem aktuellen Fachartikel. Dennoch fokussiere | |
sich die Forschung auf Szenarien mit moderatem Temperaturanstieg, | |
kritisieren sie. „Bestenfalls naiv“ sei es, Extrem-Szenarien außer Acht zu | |
lassen, „schlimmstenfalls verhängnisvoll töricht“. | |
## Keine ideale, konfliktfreie Welt | |
Von den Fachkolleg:innen kommen gemischte Reaktionen. Dass die | |
Klimaforschung Extrem-Szenarien außer Acht lasse, würden die Autor:innen | |
„nicht überzeugend belegen“, meint der Klimaforscher Carl-Friedrich | |
Schleussner von der Berliner Humboldt-Universität. „In der Tat ist das | |
Gegenteil der Fall.“ Viele Studien würden die – kaum noch in Reichweite | |
befindlichen – 1,5-Grad-Szenarien vernachlässigen. | |
Richtig sei aber das „Risikodenken bezüglich gesellschaftlicher Stabilität, | |
Konflikten und extremen Disruptionen“, so der Wissenschaftler. Oft würde | |
man die Risiken des Klimawandels in einer sonst idealisierten und | |
konfliktfreien Welt betrachten, die Realität sei aber eine andere. „Im Jahr | |
2022 und leider vermutlich auch über lange Zeit im 21. Jahrhundert“, so | |
Schleussner. Wichtig ist ihm aber, dass geografische Lage und Geld einen | |
Einfluss darauf haben, ab wann die Klimakrise katastrophal wird. [4][„Aus | |
der Sicht vieler besonders vulnerabler Staaten der Welt hat deren ‚Climate | |
Endgame‘ längst begonnen.“] | |
Der Physiker Philipp Schrögel vom Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische | |
und Postapokalyptische Studien der Universität Heidelberg teilt hingegen | |
den Eindruck, dass die Klimaforschung „in der letzten Zeit ihren Blick | |
besonders auf kleine Schritte und seltener auf Extrem-Szenarien“ richte – | |
„um den Vorwurf als Untergangspropheten zu vermeiden“. Trotzdem mahnt er | |
zur Vorsicht bei der Außenkommunikation von schwerwiegenden, aber | |
unwahrscheinlichen Klimawandelfolgen – gerade wenn der Forschungsstand | |
nicht eindeutig ist. Teils könne das sogar zu weniger Risikobewusstsein | |
führen. „Es kann vorkommen, dass Einzelne davon überwältigt werden, keine | |
individuellen Handlungsperspektiven sehen und die Szenarien ignorieren.“ | |
2 Aug 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Internationale-Klima-Abkommen/!5867510 | |
[2] https://www.pnas.org/doi/full/10.1073/pnas.2108146119 | |
[3] /Budget-fuer-Deutschland/!5858119 | |
[4] /Petersberger-Klimadialog-in-Berlin/!5869188 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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