Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Perus linker Präsident ein Jahr im Amt: Pedro Castillo im Überleb…
> Die Wahl Pedro Castillos zum Präsidenten Perus sollte eine Zeitenwende
> einleiten. Ein Jahr später ist von den vielen Versprechungen nicht viel
> übrig.
Bild: Pedro Castillo im Wahlkampf 2021: Ein bodenständiger Bauer, Gewerkschaft…
Lima taz | Vor einem Jahr ist der Lehrer, Gewerkschafter und Bauer
[1][Pedro Castillo] als Präsident angetreten, um Peru endlich aus den
kolonialen Schranken zu befreien. 200 Jahre nach der Unabhängigkeit von
Spanien setzte sich damit erstmals ein Vertreter des einfachen, ländlichen
und indigenen Perus an die Spitze des Staates. Hauchdünn hatte er die
Wahlen gegen die rechtsautoritäre Keiko Fujimori gewonnen.
Was hat der Mann, der sich damals nur mit dem traditionellen Strohhut
seiner Heimat Cajamarca sehen ließ, nicht alles versprochen: Eine neue
Verfassung sollte Peru bekommen, eine zweite Agrarreform zugunsten der
Kleinbauern. Eine stärkere Besteuerung der Bergbaufirmen. Und aus dem
klassizistischen Präsidentenpalast sollte ein Museum für das Volk werden.
Die Rechte Perus fürchtete Castillo als zukünftigen peruanischen Hugo
Chávez, der am nächsten Tag ihre Bankkonten beschlagnahmen würde, und
verachtet ihn bis heute wegen seiner indigenen Abkunft. Die Linke
unterstützte Castillo enthusiastisch bis verhalten und war vor allem froh,
dass Keiko Fujimori nicht gewonnen hatte. Die Peruaner in den Anden waren
begeistert, dass endlich einer von ihnen an der Macht war. Da war es auch
nicht so wichtig, dass Castillo weder Regierungs- noch Politikerfahrung
aufzuweisen hatte.
Ein Jahr später hat Pedro Castillo seinen Strohhut schon längst abgelegt.
Peru ist kein zweites Venezuela geworden, kein Bergbauunternehmen wurde
verstaatlicht, kein Bankkonto beschlagnahmt. Castillo hat auch nicht, wie
einst sein Vorvorvorgänger [2][Ollanta Humala], einer linken Politik
abgeschworen.
## In 11 Monaten hat Castillo 38 Minister verschlissen
Es kam schlimmer: Perus politisches System befindet sich im Prozess der
Auflösung, seit der Amtsübernahme Castillos mehr denn je. Jeder Politiker,
jede Gruppierung hat nur eigene Interessen im Blick. „Bei Castillo geht es
längst nicht mehr darum, ob er eine linke oder rechte Politik macht“, sagt
David Rivera, Wirtschaftswissenschaftler und politischer Analyst. „Er
agiert nur noch im Überlebensmodus.“
Vier Untersuchungen wegen Bestechung, unerlaubter Einflussnahme und
Plagiats seiner Magister-Arbeit hat die Staatsanwaltschaft gegen ihn
eingeleitet. In nur 11 Monaten hat er 38 Minister verschlissen.
Ihren Anfang nahm Perus politische Krise nicht mit Castillo, sondern 2014
mit der Aufdeckung der Schmiergeldaffäre um den brasilianischen
[3][Baukonzern Odebrecht]. Peru hatte seit Beginn des Jahrtausends, dank
seines neuen Rohstoffreichtums, reichlich Geld, um bei Odebrecht Straßen,
Staudämme und Bewässerungsanlagen zu bestellen.
Das ging so lange, bis herauskam, dass alle peruanischen Präsidenten Geld
angenommen hatten, um Odebrecht die lukrativen Aufträge zuzuschanzen. Alle
bisherigen Präsidenten waren oder sind deswegen bis heute im Gefängnis oder
in Auslieferungshaft. Einer, [4][Alan García], erschoss sich, bevor er
abgeführt werden konnte. 2018 trat [5][Pedro Pablo Kuczynski] nach knapp
zwei Jahren im Amt zurück. Seither hat Peru drei weitere Präsidenten
gehabt. Castillo ist der vierte – und es ist alles andere als sicher, dass
er seine Amtszeit beenden kann.
## Allianz zwischen rechts und links auf Kosten der Frauen
Das Parlament droht wechselweise dem Präsidenten mit Absetzung oder macht
gemeinsame Sache mit der Exekutive. Der Präsident wiederum droht damit, das
Parlament aufzulösen. Einig sind sich die Parteien, die einander sonst so
spinnefeind sind, und die Exekutive, dass keiner sein Amt verlieren will,
weder Präsident noch Parlamentarier. Und so kommt es zu einem andauernden
Patt und zu erstaunlichen Allianzen.
Leidtragende dieser neuen Allianzen zwischen extrem Linken und extrem
Rechten im Kongress sind die Frauen, sagt Serly Figueroa, Juristin und
Politikerin aus Cusco. „Beide haben dasselbe konservative Familienbild“
erklärt Figueroa die Tatsache, dass Linke wie Rechte für die Streichung
jegliches Genderanalyse aus den Lehrplänen gestimmt hatten. Auch dürfen die
Eltern nun wieder mitbestimmen, ob die Kinder Sexualaufklärung erhalten.
Und es liegen Pläne vor, das Frauenministerium in Familienministerium
umzubenennen und die Abtreibung nach einer Vergewaltigung wieder zu
verbieten. „Alles, was wir an Reformen erreicht haben, wird nun wieder
zurückgenommen“, klagt Figueroa.
„Die Macht des informellen Sektors ist gewachsen“, sagt David Rivera,
„seine Vertreter sitzen im Parlament.“ Er meint damit Unternehmer aus dem
Transportsektor und Universitätsbesitzer, die sich gegen jegliche
Regulierung sperren, ebenso wie Holzhändler, informelle Goldgräber und
-händler bis zu Drogenbaronen.
Zwar leidet die peruanische Bevölkerung – wie in ganz Südamerika – unter
steigenden Lebensmittelpreisen, der Inflation und einer drohenden
Lebensmittelknappheit aufgrund fehlender Düngerimporte. Die
makroökonomischen Indikatoren Perus sind jedoch erstaunlich stabil. Nach
nur wenigen Monaten im Amt schasste Castillo den moderat linken
Finanzminister Pedro Francke wegen dessen Steuerreform und berief den
orthodoxen Oscar Graham. „Er kann nichts anderes machen, als das Boot wie
gehabt weiter zu steuern, so lange es noch geht“, kommentiert David Rivera.
In Puno, im äußersten Süden Perus, hat Castillo vor einem Jahr fast 90
Prozent der Stimmen bekommen. Heute seien die Menschen dort enttäuscht,
weil Castillo sein Versprechen einer neuen Verfassung nicht erfüllt habe,
sagt der Journalist Hugo Supo. Auf der Straße protestieren würden die
ansonsten als streiklustig bekannten Puneños jedoch nicht gegen Castillo,
solange die rechte Opposition zu Demos gegen die Regierung aufruft.
Viele meinen, dass Castillo wegen seiner Herkunft diskriminiert werde und
man ihn in der Hauptstadt nicht regieren lasse. Und doch, so Supo, bricht
sich die Stimmung Bahn, dass einfach alle Politiker gehen sollen – „Que se
vayan todos“. „Nur gibt es bisher keine Person, die das kanalisiert“, so
Hugo Supo.
28 Jul 2022
## LINKS
[1] /Linker-Praesident-in-Peru-vereidigt/!5790319
[2] /Praesidentschaftswahl-in-Peru/!5119187
[3] /Schattenwirtschaft-in-Suedamerika/!5385636
[4] /Suizid-des-peruanischen-Ex-Praesidenten/!5589194
[5] /Odebrecht-Skandal-in-Lateinamerika/!5493368
## AUTOREN
Hildegard Willer
## TAGS
Peru
Regierung
Schwerpunkt Korruption
Krise
Peru
Peru
Peru
Schwerpunkt Korruption
Peru
Lesestück Recherche und Reportage
Peru
Peru
Peru
## ARTIKEL ZUM THEMA
Korruption in Lateinamerika: 15 Jahre Haft für Perus Ex-Präsidenten
Perus ehemaliger Präsident Ollanta Humala war in den größten
Korruptionsskandal Lateinamerikas, die Odebrecht-Affäre, verwickelt. Nun
muss er ins Gefängnis.
Staatskrise in Peru: Politische Glücksritter
Peru kommt nicht zur Ruhe. Vorgezogene Neuwahlen könnten Abhilfe schaffen,
würden nicht politische Interessen schwerer wiegen als das Wohl der
Menschen.
Proteste in Peru: Präsidentin für Neuwahlen
Nach landesweiten Kundgebungen spricht sich die erst kürzlich vereidigte
Präsidentin für Neuwahlen aus. Zwei Menschen sterben bei den Protesten.
Pedro Castillo abgesetzt: Peru braucht einen Reset
Castillos Scheitern heißt für Peru eine Fortsetzung der Dauerkrise.
Castillo hat seine Sache schlecht gemacht, doch es könnte noch schlimmer
kommen.
Perus Präsident abgesetzt und verhaftet: Peru bleibt in der Dauerkrise
Präsident Pedro Castillo wollte seiner Absetzung durch die Auflösung des
Parlamentes zuvorkommen. Das ging schief. Jetzt sitzt er in Haft.
Kupferbergbau in Peru: E-Autos, die krank machen
In jedem Elektroauto steckt Kupfer. In Peru befinden sich die Minen, die
das Kupfer fördern. Schwermetalle gelangen in die Umwelt, Menschen
erkranken.
Proteste gegen hohe Preise in Peru: Präsident verhängt Ausnahmezustand
Die teils gewaltsamen sozialen Proteste in Peru halten an, vier Menschen
kamen ums Leben. Präsident Castillo reagierte nun mit Restriktionen.
Regierung in Peru: Kurzer Honeymoon
Perus Präsident muss erneut ein Kabinett zusammenstellen. Dies lässt den
Druck auf den Ex-Gewerkschafter mit indigenen Wurzeln wachsen.
Neuer Präsident in Peru: Gekommen, um zu erneuern
Pedro Castillo gewann die Präsidentenwahl in Peru nur knapp. Sein
ehrgeiziges Programm schreckt alle auf, die von der Korruption
profitierten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.