| # taz.de -- Spielfilm „Geborgtes Weiß“: Sich den Status hart erarbeiten | |
| > Regisseur Sebastian Ko führt in seinem zweiten Film die bürgerliche | |
| > Fassade einer deutschen Familie vor. Und lässt diese langsam bröckeln. | |
| Bild: Susanne Wolff und Ulrich Matthes als gutbürgerliches „heile Welt“-Pa… | |
| Wie ein Kammerspiel wirkt die Figurenkonstellation, die [1][Sebastian Ko in | |
| seinem zweiten Kinofilm], „Geborgtes Weiß“, anbietet: Im Zentrum das | |
| gutbürgerliche Paar Marta (Susanne Wolff) und Roland (Ulrich Matthes), die | |
| in einem geräumigen Haus voller Bücher und anderer Zeichen ihres | |
| gesellschaftlichen Status leben. Er ist Schriftsteller und hat | |
| augenscheinlich viel Geld, sie ist Ärztin, trägt deshalb oft Weiß, doch | |
| unschuldig ist sie keineswegs. | |
| Ein Kind gibt es, Nathan (Elia Gezer), Roland ist nicht der Vater und für | |
| Marta bedeutet es alles. Eine heile Welt also, die zerstört wird, | |
| natürlich. | |
| Eindringling ist der albanische Wanderarbeiter Valmir (Florist Bajgora), | |
| der wie aus dem Nichts auftaucht, erst Marta in einem Baumarkt begegnet und | |
| dann von Roland eingestellt wird, erst für eine kleine Reparaturarbeit, | |
| dann für länger. Ohne Rechnung, denn wenn es um das eigene Geld geht, ist | |
| auch ein bürgerlicher, an der Ordnung der Gesellschaft festhaltender Mann | |
| wie Roland moralisch flexibel. | |
| Ebenso, als immer deutlicher wird, dass sich Marta zu Valmir hingezogen | |
| fühlt, zumal ihre Ehe mit dem älteren Roland nicht mehr körperlich ist, | |
| sondern vor allem als bürgerliches Konstrukt existiert, in dem man es sich | |
| gemütlich eingerichtet hat, das den Erwartungen von Freunden und Kollegen | |
| entspricht. | |
| ## Der bürgerlichen Welt den Spiegel vorhalten | |
| Etwas gewollt ist dieses Konstrukt, das Sebastian Ko zusammen mit seiner | |
| Autorin Karin Kaçi entwirft, durchschaubar in seiner Intention, der | |
| bürgerlichen Welt den Spiegel vorzuhalten. | |
| Ein wenig von oben herab behandelt Roland etwa Valmir, mit aufgesetzter | |
| Jovialität, jenem typischen Verhalten eines Kopfmenschen gegenüber einem | |
| Mann, der mit seinen Händen, mit seiner Physis Geld verdient. Wenn Roland | |
| Valmir einmal einlädt, an einem Abendessen mit Freunden teilzunehmen, wirkt | |
| es, als würde ein exotisches Wesen vorgeführt, als versichere sich das | |
| Bürgertum seiner Überlegenheit. | |
| Viel spannender wird „Geborgtes Weiß“, wenn sich nach und nach | |
| herausstellt, auf welche Weise Marta und Valmir und vor allem das Kind | |
| verbunden sind. Dunkle Geheimnisse kommen zum Vorschein, wird deutlich, | |
| dass auch Marta in jüngeren Jahren eher auf einer Stufe mit einem Menschen | |
| wie Valmir stand, sich ihren Status, ihr perfekt wirkendes Leben hart | |
| erarbeitet hat – nicht immer mit legalen Methoden. | |
| Als [2][Neo-Noir] möchte Ko seinen Film verstanden wissen, als moderne | |
| Variation jenes Genres, das stets moralisch ambivalente Figuren zeigte und | |
| visuell mit markanten Schattenspielen den psychologisch fragilen Zustand | |
| seiner Figuren spiegelte. „Geborgtes Weiß“ dagegen ist über weite Strecken | |
| ein sehr deutsches Drama, in dem mehr gesagt als gezeigt wird, eine | |
| Versuchsanordnung, deren Intentionen weniger Subtext als Text sind. | |
| ## Scheinheiligkeit gegenüber Migranten | |
| Überdeutlich erzählen Ko und Kaçi von der Scheinheiligkeit der bürgerlichen | |
| Gesellschaft gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund. In dieser Welt | |
| ist ein Migrant als abstraktes Konstrukt akzeptabel, als Wesen, das mittels | |
| Spenden und der Wahl der passenden Politiker unterstützt wird. | |
| Aber wenn so ein Migrant in Fleisch und Blut in das wohlgeordnete Leben | |
| eindringt und womöglich Intentionen hat, die nicht dem akzeptierten | |
| Narrativ entsprechen, sieht das schon ganz anders aus. Gut gemeint ist | |
| diese Erzählung, aber weniger Film Noir als moralische Lehrstunde. | |
| In Erinnerung bleiben am Ende dann in erster Linie die Schauspieler. | |
| Weniger Ulrich Matthes, der oft allzu theatralisch deklamiert, als Susanne | |
| Wolff. Mit zunehmender Intensität spielt sie eine Frau, ein „Muttertier“, | |
| deren perfektes Leben vor ihren Augen zerstört wird – und die am Ende alles | |
| tut, um ihr Kind zu schützen, vor allem aber sich selbst. | |
| 24 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Meyns | |
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