| # taz.de -- „Zugpartisanen“ in Russland: Den Krieg entgleisen lassen | |
| > Seit dem Überfall auf die Ukraine häufen sich in Russland Anschläge gegen | |
| > militärische Infrastruktur. Wer genau steckt dahinter? | |
| Bild: Fast jeden Tag entgleisen in Russland Güterzüge | |
| Kiew taz | Wieder hat es in Russland einen Zug erwischt: Am vergangenen | |
| Samstag haben Unbekannte im russischen Gebiet Brjansk einen | |
| Sprengstoffanschlag auf einen Güterzug verübt. Dabei entstand nur ein | |
| Sachschaden. Dies berichtet das regionale Portal Brjanskie Nowosti unter | |
| Berufung auf den Gouverneur des Gebietes, Alexander Bogomas. | |
| Fast jeden Tag entgleisen in Russland Züge. Der Insider, ein | |
| oppositionelles russisches Portal, berichtet von 63 Güterzügen, die von | |
| März bis Juni 2022 aus den Gleisen gesprungen seien. Seit Ende Februar, so | |
| der Insider, gab es in Russland außerdem mindestens 23 Angriffe auf | |
| militärische Registrierungs- und Rekrutierungsbüros, 20 davon waren | |
| Brandanschläge. | |
| Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist die [1][Zahl solcher | |
| Vorkommnisse sprunghaft angestiegen]. Auch Wehrbüros werden zunehmend Ziel | |
| von Brandstiftungen. Dies schreibt die „Kampfgruppe Anarcho-Kommunisten“ | |
| (Boak) auf ihrem Telegram-Kanal, die auch für diese Anschläge die | |
| Verantwortung übernimmt. | |
| Besonders stolz scheint man bei den Anarcho-Kommunisten über eine | |
| Sabotageaktion an den Gleisen Richtung Barsowo zu sein, befindet sich doch | |
| in Barsowo ein Waffenlager für Artillerie und Raketenmunition. 34 Schrauben | |
| habe man in diesen Gleisen lockern können, so die Gruppe. „Je mehr Züge | |
| gestoppt werden, desto weniger Granaten fliegen auf friedliche ukrainische | |
| Städte“, schreibt Boak auf ihrem Telegram-Kanal. | |
| ## Kampf „gegen Putins Tyrannei“ | |
| Die beteiligten Aktivist:innen kennen sich nicht einmal untereinander. | |
| Seit dem 24. Februar kämpfen sie „gegen Putins Tyrannei und den von ihm | |
| entfachten Krieg“. Und dabei wollen sie die Infrastruktur, die Russland für | |
| den Krieg gegen die Ukraine brauche, angreifen und zerstören. Zielscheibe | |
| sind neben den Wehrdienstbehörden und dem militärischen Güterverkehr auch | |
| russische Polizeidienststellen. Gleichzeitig geben die Aktivisten von Boak | |
| an, mit keiner ihrer Aktionen Menschenleben gefährden zu wollen. | |
| Niemand weiß, wie groß die klandestine Bewegung ist, niemand kennt die | |
| Struktur, es gibt keine Chefs, keine Pressesprecher:innen, keine offizielle | |
| Adresse und natürlich auch keinen Eintrag im Vereinsregister. Mitglied kann | |
| nur werden, wer bereits von bewährten Genossen eine Empfehlung hat. Alle | |
| anderen Interessenten werden angehalten, selbst eine anarchistische | |
| Kleinstgruppe aus vertrauten Aktivisten zu gründen und autonom tätig zu | |
| werden. Nur mit dieser Organisationsform, da sind sie sich sicher, kann | |
| man als Bewegung im autoritären Russland überleben. | |
| Gleichwohl weiß Boak um das hohe Risiko jedes Einzelnen. Besonders ans Herz | |
| legt man allen neuen „Zugpartisanen“ die russische Übersetzung des | |
| „[2][Grünen Buches der IRA]“, obwohl man die „nationalistische Ideologie… | |
| der IRA ablehne. Kein Werk, so der Telegram-Kanal an seine über 5.000 | |
| Abonnenten, beschreibe besser, wie sich ein Aktivist nach einer Festnahme, | |
| in der Haft und bei Verhören verhalten solle, als dieses irische Grünbuch. | |
| Wie gefährlich ein derartiger Aktivismus gegen den Krieg in der Ukraine | |
| ist, zeigt die belarussische Antikriegsbewegung, die die russischen | |
| Anarchisten inspiriert hat. Dort hatte das belarussische Innenministerium | |
| schon am 8. April von 80 „terroristischen Sabotageaktionen gegen das | |
| Eisenbahnnetz“ gesprochen. Und all diese Anschläge, so das Ministerium, | |
| hätten die gleiche Handschrift. | |
| Inzwischen, so berichtet die belarussische Menschenrechtsorganisation | |
| „Spring96“, seien bereits acht „Zugpartisanen“ verhaftet worden. Drei v… | |
| ihnen soll im Juli der Prozess gemacht werden. Die belarussischen | |
| Ermittlungsbehörden werfen Denis Dikun, Dzmitry Ravich und Aleh Molchanau | |
| aus der Ortschaft Swetlahorsk in der Region Gomel Terrorismus vor. Und auf | |
| den steht in Belarus die Todesstrafe. Die drei hatten am 28. Februar einen | |
| Relaisschalter am Gleis so manipuliert, dass Züge auf diesem Gleis stehen | |
| bleiben mussten. | |
| Im Gespräch mit „Spring96“ erklärte der Bruder des inhaftierten Denis | |
| Dikun, Dmitrij Dikun, sein Bruder sei in der Haft gefoltert worden. Ihn | |
| beunruhigt die Schnelligkeit, die die Ermittlungsbehörden im Falle seines | |
| Bruders und der beiden Mitangeklagten an den Tag legen. Dafür, so Dmitrij | |
| Dikun, gebe es eigentlich nur eine logische Erklärung: Die belarussischen | |
| Behörden wollten an den dreien ein Exempel statuieren. Er gehe davon aus, | |
| dass die drei ein sehr hartes Urteil erwarte, so Dmitrij Dikun. | |
| Seit dem 6. März sitzt auch Sergej Konowalow aus Witebsk in Haft. Er ist | |
| Angestellter der Eisenbahn. Ihm wird, so berichtet das oppositionelle | |
| belarussische Portal euroradio.fm, die Planung eines Anschlages auf das | |
| Eisenbahnnetz vorgeworfen. Für die Witebsker Gemeinschaft der Eisenbahner | |
| ist die Verhaftung ihres Kollegen haltlos. | |
| 11 Jul 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Sabotageakte-in-Russland/!5844653 | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%BCnes_Buch_(IRA) | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Clasen | |
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