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# taz.de -- Hohe Energiepreise in Deutschland: Deckeln oder umverteilen?
> Viele Privathaushalte zahlen mittlerweile doppelt so viel für Heizung und
> Warmwasser wie 2021. Welche Gegenmaßnahmen werden diskutiert? Ein
> Überblick.
Bild: Wer Energie sparen möchte, sollte kurz und kalt duschen
Der Brief der Hausverwaltung kam überraschend. Angekündigt wurde eine
ungefähre Verdoppelung der Kosten für Heizung und Warmwasser. Während der
Adressat 2021 rund 800 Euro zahlte, werden dieses Jahr ungefähr 1.600 Euro
fällig. Die Monatsrate stieg von etwa 65 auf 135 Euro. Das war vor dem
russischen Angriff auf die Ukraine. Und auch vor dem Versiegen des
Gasflusses durch die Pipeline Nord Stream 1 an diesem Montag.
So wie den zwölf Eigentümer:innen in ihrem Haus in Berlin-Kreuzberg
geht es jetzt vielen Immobilienbesitzer:innen und Mieter:innen.
Die Verdoppelung des Gaspreises liegt im Trend. Darüber sind sich der
Verband der Elekrizitätsversorger (BDEW) und das [1][Preisvergleichsportal
Check24] einig. Während der Bruttopreis pro Kilowattstunde Gas für
Privathaushalte 2021 um die 7 Cent betrug, geht er jetzt in Richtung 14
Cent.
Laut [2][Vergleichsportal Verivox] betreffen solche Erhöhungen bisher
allerdings nur etwa ein Drittel der Haushalte, sei es in Gestalt
beträchtlicher Nachzahlungen für das vergangene oder höherer Abschläge für
dieses Jahr. Wobei zusätzlich die Entlastungen zu berücksichtigen sind, die
die Bundesregierung bereits beschlossen hat. Diese decken bei Familien mit
zwei erwerbstätigen Erwachsenen, zwei Kindern und einem monatlichen
Nettoeinkommen von 2.000 bis 2.600 Euro gut die Hälfte der Zusatzkosten ab,
errechnete die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung kürzlich.
Die weitere Entwicklung ist jedoch nicht abzusehen. Sollte Nord Stream 1
nach der [3][turnusgemäßen Wartung] in zehn Tagen nicht wieder angeschaltet
werden und das russische Gas komplett ausfallen, könnten der Herbst und
Winter dramatisch werden. Wobei es an konkreten Prognosen für den
befürchteten Preisanstieg mangelt. BDEW und Verivox halten sich zurück.
Kein Wunder – es könnte sich nur um Vermutungen handeln. Klaus Müller, der
Chef der Bundesnetzagentur, sagte vor einiger Zeit nur: „Wenn die Schraube
weiter angezogen wird, seien es auch nur kleine Schritte, wird Gas noch
teurer.“
Ein Zehntel des Einkommens
Ein Rechenbeispiel: Kletterten die Gaspreise vom heutigen Niveau um weitere
50 Prozent nach oben, müssten die Familien in ihrem Berliner Wohnhaus bald
2.400 Euro pro Wohnung und Jahr entrichten – dreimal so viel wie 2021. Das
bedeutete rund 200 Euro im Monat statt früher 65 Euro. Und dies ist
vielleicht noch nicht der höchste Punkt.
Für viele Bürger:innen wäre ein solcher Anstieg der Heizkosten ein
Problem. Denn knapp ein Fünftel der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze
oder darunter. Nicht ganz so hart, aber trotzdem gravierend ist die Lage
für Durchschnittshaushalte, die um die 2.200 Euro monatlich zur Verfügung
haben. Für sie kosten Duschen und Heizen dann plötzlich ein Zehntel ihres
Einkommens. Zur Wahrheit gehört aber auch: Millionen Bürger:innen müssen
sich über die steigenden Energiekosten keine wirklichen Sorgen machen.
Haushalte mit 3.000, 4.000 oder mehr Euro verfügbaren Einkommens stecken
die Preissprünge weg. Etwa 40 Prozent der Bundesbevölkerung müssen ihren
Lebensstandard deshalb wahrscheinlich nicht einschränken.
Die Politik versucht nun die schwierige Lage zu manövrieren.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat gerade einen neuen
Mechanismus ins Energiesicherungsgesetz schreiben lassen. Im Notfall
könnten große Preissprünge auf alle Gasverbraucher:innen umgelegt
werden. Einzelne, besonders betroffene Haushalte würden dann etwas
geschont, alle bekämen eine durchschnittliche Kostenerhöhung. Teurer würde
es in jedem Fall – aber gleichmäßig verteilt.
Deckeln könnte teuer werden
Eine zweite Variante bestünde darin, eine Obergrenze für den Gaspreis
politisch festzulegen – einen Deckel. Das forderten unter anderem Yasmin
Fahimi, die Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes DGB, und die Linke.
Allerdings müsste der Staat den Unternehmen dann wohl die Differenz
zwischen dem niedrigen Deckel und dem hohen Einkaufspreis ausgleichen, ein
potenziell teures Unterfangen. Außerdem würden alle Haushalte unterstützt,
auch die wohlhabenden, die keine Subvention brauchen.
Umwelt- und Verbraucherministerin Steffi Lemke (Grüne) schlug drittens ein
„Moratorium für Strom- und Gassperren“ vor. Das heißt, arme Haushalte
würden weiter Brennstoffe geliefert bekommen, auch wenn sie nicht mehr
bezahlen können. Details sind bisher unklar. Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) stellte grundsätzlich in Aussicht, dass zusätzliche Entlastungen
kommen. Am wirkungsvollsten und kostenschonensten für den Staat wäre es,
die Zahlungen auf die Bevölkerungsgruppen zu konzentrieren, die in
materiellen Schwierigkeiten stecken.
Derweil überlegen die Stadtverwaltung von Tuttlingen (Baden-Württemberg)
und Ludwigshafen am Rhein schon, warme Räume, sogenannte Wärmehallen, in
öffentlichen Gebäuden für diejenigen Bürger:innen zur Verfügung zu
stellen, die sich die Beheizung ihrer Wohnung nicht mehr leisten können.
Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner
wies die Idee zurück: „So weit sollten wir es in Deutschland nicht kommen
lassen. Keiner sollte in seinen vier Wänden frieren müssen“, sagte sie
gegenüber der Rheinischen Post.
11 Jul 2022
## LINKS
[1] https://www.check24.de/gas/lp/ul/?wpset=google_gas_brand&gclid=EAIaIQob…
[2] https://www.verivox.de/?tunnel-partner=3985&tunnel-sub-partner=&tun…
[3] /Energieversorgung-in-Deutschland/!5866532
## AUTOREN
Hannes Koch
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