| # taz.de -- Ministerpräsidentenwahl im Libanon: Der Alte ist der Neue | |
| > Im Libanon wurde der Milliardär Nadjib Mikati wiedergewählt. Er muss nun | |
| > das Land nun aus der im Jahr 2019 begonnenen Wirtschaftskrise führen. | |
| Bild: Najib Mikati bei seiner ersten öffentlichen Rede als designierter Minist… | |
| Beirut taz | Ein milliardenschwerer Wirtschaftsboss oder ein Richter für | |
| internationales Recht: Zwischen diesen zwei Männern hat sich das | |
| libanesische Parlament für einen neuen Ministerpräsidenten entschieden. Die | |
| Wahl fiel auf Ersteren, Nadjib Mikati, der das Amt bereits seit Juli 2021 | |
| inne hat. | |
| Der Libanon durchlebt zurzeit die schlimmste Wirtschaftskrise seiner | |
| Geschichte. Seit 2019 hat die lokale Währung über 90 Prozent an Wert | |
| verloren. Vielen Menschen mangelt es an Strom, Wasser und Medizin. | |
| Der Milliardär Mikati mit einer Yacht in Cannes und einer Villa im Norden | |
| des Libanon ist daher ein kontroverser Politiker. Er hat sein Vermögen von | |
| fast 3 Milliarden US-Dollar mit der Telekommunikationfirma M1 Group | |
| gemacht. Menschenrechtsaktivist*innen kritisieren die Firma wegen | |
| Geschäften mit autoritären Regimen wie Myanmar. | |
| Im Rahmen der Protestbewegung, die im Oktober 2019 begann, demonstrierten | |
| Menschen öfter vor seinem Haus in Tripoli. Sie beschuldigten ihn, Reichtum | |
| anzuhäufen, während die Bewohner*innen der Stadt immer ärmer würden. | |
| Mikati antwortete darauf im libanesischen Fernsehen, kurz vor den Wahlen im | |
| Mai: [1][Die Klassenunterschiede seien das „Werk Gottes“.] | |
| ## Mikatis Gegenkandidat ist Richter und war lange UN-Vertreter | |
| Mikati bekam 54 Wahlstimmen und damit deutlich weniger als er bei den | |
| parlamentarischen Konsultationen letzten Jahres erreichte, damals hatte er | |
| 72 Stimmen erhalten. Dieses Mal wurde er unter anderem vom Block der | |
| schiitischen Partei und Miliz Hisbollah unterstützt. | |
| Doch die Partei des Präsidenten Michel Aoun, die christlich-maronitische | |
| „Freie Patriotische Bewegung“ hatte sich enthalten. Einige unabhängige | |
| Politiker, die teilweise durch ihr Vermögen an Einfluss und | |
| Wählendenstimmen gekommen sind, enthielten sich. | |
| Die Opposition zu den etablierten Parteien, bestehend aus 13 Abgeordneten | |
| mit verschiedenen Parteizugehörigkeiten, war über die Personalfrage uneins. | |
| Die neue Oppositionspartei Taqaddom wählte Nawaf Salam und erklärte die | |
| Wahl damit, dass sie ihn nicht als Teil des „Netzwerk aus Korruption und | |
| Quotensystem“ sähe. Der Gegenkandidat arbeitet seit 2018 als Richter am | |
| Internationalen Gerichtshof. Zwischen 2007 und 2017 war er ständiger | |
| Vertreter des Libanon bei den Vereinten Nationen in New York. | |
| Salam bekam auch Unterstützung von der christlich-maronitischen, | |
| rechtsnationalen Partei Kataeb. Diese schrieb in einer Erklärung, Salam sei | |
| ein „unabhängiger Kandidat“, der den Libanon aus dem Chaos herauszuholen | |
| vermöge. Ebenso stimmte die drusische „Progressive Sozialistische Partei“ | |
| für Salam. | |
| ## Feministische Plattform appellierte, eine Frau zu nominieren | |
| Drei Abgeordnete, die der Protestbewegung nahe stehen, sahen die | |
| Nominierung Salams skeptisch. Sie beschuldigten ihn, sich „einem Teil der | |
| herrschenden Klasse“ angeschlossen zu haben, insbesondere während der | |
| Parlamentswahlen, da er sich der Liste des ehemaligen Ministerpräsidenten | |
| Fouad Siniora angeschlossen hatte. | |
| Auf wenig Gehör fiel die Forderung eines Zusammenschlusses der | |
| feministischen Zivilgesellschaft. Diese hatte im Vorfeld alle | |
| parlamentarischen Gruppen aufgefordert, „den Prozess der Regierungsbildung | |
| von jeglichen politischen Spannungen zu befreien, um eine weitere | |
| Verschlechterung der Situation“ zu verhindern. | |
| Die Feministische Plattform appellierte an die Parlamentarier*innen, eine | |
| Frau als Premierministerin zu nominieren. Der Libanon verfüge über | |
| hochqualifizierte Frauen, welche die vielschichtigen Krisen bewältigen | |
| könnten. | |
| Doch in dem System, das von Klientelismus geprägt ist, schaffen fast nur | |
| Männer den Weg auf die höheren Sitze in der Politik. Im neuen Parlament | |
| sitzen [2][acht Frauen] – so viele wie noch nie im Libanon. | |
| ## Libanon soll Geld gegen Reformen erhalten | |
| Mikati wird nun ein Kabinett bilden, welches dann die [3][Wirtschaftskrise] | |
| angehen muss. Seine vorherige Regierung hatte Anfang April dafür den | |
| Grundstein gelegt und eine vorläufige Vereinbarung mit dem Internationalen | |
| Währungsfonds getroffen. Demnach soll der Libanon finanzielle Unterstützung | |
| im Wert von rund 2,75 Milliarden Euro erhalten, wenn bestimmte Reformen | |
| umgesetzt werden. Dazu zählen die Umstrukturierung des Banken- und | |
| [4][Energiesektors], sowie Steuerreformen und die Bekämpfung von | |
| Korruption. | |
| Doch bisher waren die Fortschritte bei den Reformen nur langsam. Außerdem | |
| muss das Exekutivdirektorium des IWF die Vereinbarung noch endgültig | |
| genehmigen. | |
| 24 Jun 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Libanons-Politiker-ohne-Bezug-zum-Volk/!5850467 | |
| [2] https://today.lorientlejour.com/article/1300011/-25.html | |
| [3] /Energiekrise-im-Libanon/!5859514 | |
| [4] /Energiekooperationen-in-Nahost/!5862106 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Neumann | |
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