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# taz.de -- Ausstellung „Fokus: Ukraine“: Als die Mauern noch standen
> Zwischen 2012 und 2014 dokumentierte der Fotograf Miron Zownir das Leben
> in der Ukraine. Nun sind einige der Bilder in der Bremer Weserburg zu
> sehen.
Bild: Ein Land auf dem Weg zur Demokratie: Lenin-Statue mit Dixi-Klos in Jalta …
Die Fotos von Miron Zownir waren schon immer geprägt von einer morbiden
Poesie des Verfalls. Konfrontative Schockmomente, die Einblick gewähren in
eine Welt am Rand der Gesellschaft, bevölkert von Obdachlosen,
Alkoholikern, Leichen, Drogensüchtigen und Prostituierten, aber auch von
stolzen Renegaten und Rebellen des Untergrunds.
Ende der 70er-Jahre fotografierte Zownir, geboren 1953 in Karlsruhe, die
[1][Punkszenen in Berlin] und London. Ab 1980 tauchte er ein in die schwule
Subkultur New Yorks vor dem Ausbruch von HIV/Aids. Mitte der 90er-Jahre
dokumentierte der fotografische Autodidakt, Filmemacher und Romanautor das
Elend auf der Straße im postsowjetischen Moskau. Zownir ist ein Chronist
sozialer Desintegration, Verwahrlosung, Armut und sexueller Ausbeutung –
anscheinend immer auf der Höhe der Zeit.
In den Jahren 2012 bis 2014 waren Miron Zownir und die ukrainische Autorin
Kateryna Mishchenko in mehreren Städten in der Ukraine unterwegs. Sie
dokumentierten ein Land, das sich zwischen Aufbruch in die Demokratie auf
der einen Seite und gesellschaftlichen Repressalien auf der anderen befand.
Unter dem Titel „Ukrainische Nacht“ waren Zownirs Fotos bereits [2][2015 in
der Bremer Galerie K’ zu sehen], wo er von Radek Krolczyk vertreten wird.
Aus Anlass des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine sind nun zwölf
Fotos der Reihe sowie die Videoarbeit „Maskirovka“ des Berliner Künstlers
Tobias Zielony in der Bremer Weserburg zu sehen.
Als Sohn eines ukrainischen Vaters hatte Zownir schon immer ein Interesse
an dem Land. Eine Vorahnung der kurz nach der ersten Reise folgenden
politischen Umwälzungen hatte er nicht. „Für mich sah das eher nach
Stagnation aus. Es gab natürlich Unzufriedenheit mit der Korruption und den
sozialen Defiziten, aber keine Zeichen öffentlichen Aufruhrs“, erzählt der
von der russischen Invasion hörbar schockierte und wütende Fotograf in
einem Telefoninterview.
Also dokumentierte Zownir damals die ukrainische Gesellschaft mit dem für
ihn typischen, radikal subjektiven und schonungslos drastischen Blick in
die Abgründe menschlicher Existenz, der aber auch ausgestattet ist mit
einem Sinn für Humor, Skurillität und Alltäglichkeit. Immer wieder nehmen
großformatige Werbebanner für Freizeitvergnügungen oder Reisen einen
zentralen Platz in den Bildkompositionen ein, so als wolle Zownir auf die
zweifelhaften kommerziellen Verheißungen des Westens hinweisen.
Es sei darum gegangen, „eindringliche, kleine Zeugnisse des dortigen Lebens
einzufangen: die Geschichten der unsichtbaren, marginalisierten Menschen
und der ausdrucksstarken, düsteren Landschaften“, schreibt Kateryna
Mishchenko im 2015 erschienenen Foto- und Textband „Ukrainische Nacht“.
Zwei Fotos der aktuellen Ausstellung aus dem inzwischen weitestgehend
zerstörten Mariupol im Donbass zeigen diese Art düsterer Stadtlandschaften:
Der von Zäunen, kahlen Bäumen und grauen Baracken verstellte Blick auf ein
Stahlwerk oder die eintönige Balkonfassade eines gespenstisch wirkenden,
unbewohnten Hochhauses.
„Die heutige Realität des Donbass sind hunderte stille Tode, verminte
Wälder, abgerissene Körperteile auf den Feldern, eingeschlossene Menschen
in ihren Kellern, nicht ausgesprochene Meinungen, schweigende Medien und
ein sich ständig verspätendes Denken. Am Anfang war das Dunkel; jetzt
erhebt sich über diesem Landstrich ein Schrei“, schrieb Journalistin
Mishchenko in „Ukrainische Nacht“. Eine Beschreibung, die auf die aktuelle
Situation im Donbass mehr denn je zutrifft.
Natürlich sind auch die Ereignisse auf dem Maidan 2014 in Kiew Teil der
Ausstellung. Ein kleiner Junge, der auf einem Militärfahrzeug sitzt, sein
Blick wirkt voller Neugier, Aufregung und nur leichtem Unbehagen. Von
symbolischer Wirkung für die ukrainische Revolution und ihre Folgen ist das
Foto einer Person in Pink-Panther-Kostüm vor den Trümmern nach den Kämpfen
auf dem Maidan. Touristen und Journalisten sind weg, alles ist zerschlagen,
wie es weitergehen soll: völlig ungewiss.
Als „disziplinierten Aufstand“ hat Zownir damals die Proteste gegen die
Regierung von Ex-Präsident Wiktor Janukowytsch empfunden. „Ich kannte das
Selbstbewusstsein der Ukrainer. Die lassen sich nicht überrollen“, meint
der Fotograf, der seinen Pazifismus angesichts des russischen
Angriffskrieges überdacht habe, wie er sagt.
In Sevastopol auf der Krim hat Miron Zownir 2013 [3][Fotos von der
Siegerparade] ordensgeschmückter Veteranen zum 9. Mai 1945 gemacht, dem
Ende des „Großen Vaterländischen Krieges“, der sich unter Putin längst zu
einem Propagandainstrument und zur Rechtfertigung des Regimes im Kreml
gewandelt hat. Es war die letzte Parade vor der russischen Invasion, damals
noch im Geiste einer „Bruderschaft mit Russland, nicht einem Bekenntnis zu
Russland“, wie Zownir beobachtet hat.
Schon 2014 wurde neben dem „Großen Sieg“ auch die „Wiedervereinigung“ …
Russland begangen. Als „preiswerten Erholungsort nostalgischen Typs“
bezeichnet Journalistin Mishchenko die schon vor der Annexion touristisch
aufgehübschte Krim. Von Erholung wird dort aber so bald nichts zu spüren
sein.
29 Jun 2022
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## AUTOREN
York Schaefer
## TAGS
Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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