# taz.de -- Rechtsextremist in der AfD: Höcke geht aufs Ganze | |
> Nach dem AfD-Parteitag in Riesa zeichnet sich ab, dass Höcke in zwei | |
> Jahren nach der Macht greift. Er ist schon jetzt die mächtigste Person in | |
> der extrem rechten Partei. | |
Bild: Inoffizieller Anführer der AfD? Björn Höcke auf dem Parteitag am 18. J… | |
BERLIN taz | Wer glaubt, der völkisch-radikale Flügel der AfD gebe sich | |
nach dem Bundesparteitag in Riesa zufrieden mit dem erreichten Rechtsruck, | |
dürfte irren. [1][Rechtsextremist Björn Höcke] wird weiter kontinuierlich | |
daran arbeiten, seine Macht in der sich seit 2013 stetig radikalisierenden | |
Partei auszubauen. Und letztlich fühlt Höcke sich berufen, die Partei wie | |
den Thüringer Landesverband zu führen. Das heißt: Abweichungen vom | |
Flügel-Kurs werden nicht akzeptiert, er ist der unumstrittene Anführer. | |
[2][Höckes Führungsanspruch] wurde in Riesa deutlich wie selten. Etwa als | |
er sich dafür aussprach, dass die Partei langfristig von einer Einzelspitze | |
geführt werden sollte, dafür aber gegenwärtig noch nicht bereit sei. Und | |
der Parteitag folgte seinen Worten für eine Satzungsänderung: „Dann wählen | |
wir dieses Mal eine Zweierspitze und beim nächsten Mal eine Einerspitze.“ | |
Das bedeutete im Klartext: Höcke wusste, dass er diesen Parteitag noch | |
keine Mehrheit als alleiniger Chef der Partei gehabt hätte. Und solange das | |
der Fall ist, braucht Höcke [3][möglichst opportunistische Platzhalter.] | |
Das sind für ihn Tino Chrupalla und Alice Weidel. Der eine nicht gerade als | |
durchsetzungsstark bekannt, die andere innerhalb der AfD fürs Wegducken | |
berüchtigt. | |
## Mächtigste Person in der AfD ist nun Höcke | |
Es stimmt, dass die Ära Meuthen nach der Abwahl von dessen Bundesvorstand | |
nun endgültig vorbei ist, wie Chrupalla nach seinem nur hauchdünnem | |
Wahlsieg erfreut sagte. Ebenso ist jedoch richtig, dass die Ära Chrupalla | |
nur eine Übergangslösung [4][von Gnaden des rechtsextremen Höcke] ist. Der | |
völkische Revisionist hat dem neuen Vorstand Mehrheiten gesichert und | |
Einfluss auf die Liste genommen: Der neue Vorstand ist völkisch dominiert, | |
die Reste des Meuthen-Lagers haben in der AfD nix mehr zu melden. | |
Die mächtigste Person in der AfD ist nun Höcke. Das zeigte auch der Verlauf | |
des Parteitags. Sein Lager war so übermütig, dass es gleich mehrfach | |
wortbrüchig wurde – und bei den Machtproben zumeist die Oberhand hatte. Die | |
Völkisch-Radikalen brachten die mit Chrupalla vereinbarte Liste aus dem | |
Gleichgewicht: Ohne sich abzusprechen, schickte das [5][Lager mit Christina | |
Baum] und Harald Weyel gleich zwei Unberechenbare in den Vorstand, die bei | |
Bedarf für Zoff im Vorstand sorgen können. | |
Chrupalla zitierte Baum bereits als Fraktionschef im Bundestag zu sich, | |
nachdem diese die Corona-„Zwangsimpfung“ als „Massenvergewaltigung des | |
Volkes“ bezeichnet hatte. Spricht man AfD-Politiker auf Baum an, wird mit | |
den Augen gerollt und abgewunken. Die christliche Fundamentalistin Beatrix | |
von Storch wirkte gar fassungslos nach ihrer Wahl. Baum ist | |
unkontrollierbar, vertritt offen revisionistische Positionen, die Höcke | |
sich derzeit nicht offen auszusprechen traut. Und wie auch Weyel gilt sie | |
als stramme Unterstützerin von Höcke. Baum steht [6][wie keine andere für | |
den Rechtsruck in der AfD]. | |
Aber Höcke machte auch in den inhaltlichen Debatten auf dem Parteitag klar, | |
wer seiner Ansicht nach künftig der Spiritus Rector der Partei ist. Er | |
demontierte den neu gewählten Vorstand, kaum dass der im Amt war. Hatte | |
Chrupalla in den Wochen zuvor noch von Disziplinierung und einem Ende des | |
öffentlichen Streits gesprochen – ließ Höcke ihn eiskalt ins offene Messer | |
laufen. Er brach sofort den nächsten Streit vom Zaun und versuchte eine | |
strittige russlandfreundliche, vermeintliche Europa-Resolution | |
durchzudrücken. | |
## Höcke öffnet Partei für rechtsextreme Organisationen | |
Das fünfseitige Papier fordert mit verschwörungsideologischer Sprache und | |
antisemitischen Anklängen die Selbstauflösung der EU. Als sich die frisch | |
gewählten Weidel und Chrupalla dafür aussprachen, das Papier noch einmal zu | |
überarbeiten, kam es zum Eklat durch die Völkischen, die eine sofortige | |
Abstimmung erzwingen wollten und dabei den neuen Vorstand grillten, der mit | |
entgleisten Gesichtszügen vorne auf der Tribüne saß. | |
Erst als Chrupalla sich die Landeschefs verschiedener Verbände auf die | |
Bühne holte und offenbar auf deren Autorität angewiesen war, stimmte der | |
Parteitag dafür, das Papier noch einmal in den Bundesvorstand zu | |
überweisen. Ein Mitglied warf den Völkischen die „Demontage“ des frisch | |
gewählten Vorstandes vor, Flügel-Vertreter wiederum sprachen von | |
„Merkel-Verhältnissen“. | |
Zuvor hatte Höcke die Partei bereits für eine rechtsextreme Organisation | |
geöffnet und sich dafür eingesetzt, die Scheingewerkschaft „Zentrum | |
Automobil“ von der Unvereinbarkeitsliste zu streichen. Dessen Gründer hat | |
Verbindungen in die militante Neonazi-Szene von NPD, III. Weg und | |
[7][Blood-And-Honour]. Die Widerrede der neugewählten Vorstände Marc Jongen | |
und Roman Reusch verpuffte. Sie nannten die Legalisierung von „Zentrum | |
Automobil“ mit Blick auf den Verfassungsschutz und wohl auch die | |
anstehenden Niedersachsenwahlen „Harakiri“ und „politischen Selbstmord“. | |
Höcke setzte sich durch. | |
Seine Rede dazu sprach Bände: „Fangen wir endlich an, politisch zu denken!“ | |
Die AfD müsste das Bewusstsein stärker werden lassen. „Deswegen bestimmen | |
wir qua unserer eigenen Kraft, unseres eigenen Selbstbewusstseins, unseres | |
eigenen Willens, wer Extremist ist und von wem wir uns abgrenzen.“ | |
Politische Hegemonie fuße auf kultureller Hegemonie. Die erreiche man nicht | |
über den parlamentarischen Weg, sondern durch eine Stärkung des Vorfeldes. | |
Kurzum: Die AfD zeigt den Mittelfinger in Richtung Verfassungsschutz und | |
öffnet sich ins rechtsextreme Vorfeld. | |
Applaus gab es dann auch nicht zufällig aus Schnellroda: Der „neurechte“ | |
und Höcke-nahe Rechtsextreme Götz Kubitschek sprach vom „besten Vorstand, | |
den die AfD jemals hatte“. | |
## Die Völkisch-Radikalen überspannen den Bogen | |
Ob Höcke die Machtübernahme in zwei Jahren allerdings gelingt, ist noch | |
offen. Denn eines hat sich auch gezeigt: In Summe hatten die | |
Völkisch-Radikalen auf dem Parteitag den Bogen überspannt. Nachdem der | |
komplette Durchmarsch um die Europa-Resolution noch vermieden werden | |
konnte, zog eine knappe Mehrheit die Reißleine und brach den Parteitag | |
kurzum vorzeitig ab. | |
Das wiederum dürfte Höcke weniger geschmeckt haben – denn so fielen weiter | |
von ihm beantragte Resolutionen aus. Und noch viel wichtiger: Mit dem | |
Abbruch war auch klar, dass Höcke seine Strukturkommission nicht bekommen | |
würde, mit der er offenbar die Parteistrukturen nach seinem Gusto umbauen | |
wollte. Das Gremium, von dem vielen glauben, dass Höcke damit seine | |
Machtübernahme vorbereiten wolle, sollte unter anderem die strategische | |
Ausrichtung des Bundesvorstands überarbeiten. Inklusive | |
Sanktionsmöglichkeiten für abweichlerische Vorstandsmitglieder, einer | |
besseren Einbindung der Basis und einer Strukturierung der Kaderbildung. | |
Höcke wollte das Gremium leiten, wie parteiintern kolportiert wird. | |
Der neue Bundesvorstand tagt das erste Mal am Freitag. In dem Gremium sind | |
Machtkämpfe jetzt schon vorprogrammiert. Die Völkisch-Radikalen wollen etwa | |
die Rückkehr von Andreas Kalbitz, Höckes noch immer in der AfD gut | |
vernetztem Strippenzieher. Nachdem dieser von Meuthen aus der Partei | |
gedrängt wurde, hat er gegen die Annullierung seiner Mitgliedschaft | |
erfolglos prozessiert. | |
Chrupalla hatte sich zuletzt dafür ausgesprochen, dass Kalbitz draußen | |
bleibt, der hingegen dürfte nach veränderten Mehrheiten im Bundesvorstand | |
auf seine Rückkehr hoffen. [8][Gegen das letzte Urteil, das seinen | |
Ausschluss bestätigte], wollte Kalbitz in Berufung gehen. Der | |
Bundesvorstand könnte die Berufung einfach anerkennen und Kalbitz wäre | |
zurück in der Partei. Weil der die AfD vertretende Anwalt Joachim | |
Steinhöfel exakt dies befürchtet, [9][hat er sein Mandat vorsorglich | |
niedergelegt]. | |
Er ist einer der wenigen, die nun nach dem erneuten Rechtsruck das Weite | |
suchen. Von den Resten des Meuthen-Lagers, die sich selbst gern als | |
„bürgerlich“ oder „gemäßigt“ verharmlosen, heißt es nun überwiegen… | |
die Radikalen nun halt mal beweisen sollen, wie sie den Abwärtsstrudel von | |
Wahlpleiten und Mitgliederverlust aufhalten wollen. Ensprechend kann man | |
dieses Lage auch nicht mehr „gemäßigt“ nennen. Wer nach Riesa 2022 noch | |
immer in der AfD ist, stellt damit unter Beweis, dass man inhaltlich eben | |
nicht weit weg von den Völkisch-Radikalen ist. Denn Unterschiede sind meist | |
nur nuanciert vorhanden. Die rassistisch-antidemokratischen Inhalte tragen | |
alle in der AfD. | |
22 Jun 2022 | |
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