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# taz.de -- Drei Fußball-Akteurinnen über die EM: Das Spiel der Frauen bleibt…
> Der Frauenfußball kann mehr sein als ein Klon des Business der Männer.
> Auch eine durchkommerzialisierte EM kann emanzipatorische Kraft
> entwickeln.
Bild: Wer spielt mit Regenbogenschnürsenkeln? Englands Ex-Kapitänin Steph Hou…
Die eine war Kapitänin beim 1. FC Union Berlin und bearbeitet heute die
gesellschaftlichen Phänomene der Fußballkultur. Die andere ist
Fußballpublizistin und pflegt einen feministischen und intersektionalen
Blick auf den Sport. Und die dritte war mal eine der besten Torhüterinnen
des Landes, später beim Hamburger SV die erste Frau im Vorstand eines
Männerbundesligisten und beteiligt sich heute aktiv an Reformbestrebungen
im deutschen Fußball. Wir haben die drei nach dem [1][Stand des
Frauenfußballs vor der EM] gefragt – und natürlich auch, welches Team
Favorit auf den Titel ist.
## „Noch geht es um andere Werte“
taz: Frau Budde, die EM soll das größte Frauensportevent in der Geschichte
Europas werden. Was ändert sich dadurch und was nicht?
Greta Budde: Wenn ich in meinem Freundeskreis rumfrage, wissen außerhalb
der Fußball-Bubble gar nicht so viele von dieser EM. Frauenfußball ist
weiter eine Nische. Innerhalb der Nische hat die EM aber eine große
Bedeutung und wird bestehende Tendenzen verstärken. Die Zuschauerzahlen,
das Medieninteresse, die Prämien werden steigen.
Was kann eigentlich [2][das deutsche Team]?
Die Spitze im Weltfußball ist enger zusammengerückt und die Lücke zum
deutschen Team schon länger geschlossen. Das deutsche Team kann sich sehr
flexibel auf Gegnerinnen einstellen und Positionen sehr unterschiedlich
besetzen. Gleichzeitig müssen die fehlenden Führungsspielerinnen Dzsenifer
Marozsán und Melanie Leupolz erst mal ersetzt werden. Für mich ist noch
nicht gesagt, dass die Deutschen die Vorrunde überstehen. Wenn ich mich
festlegen muss: Im Viertelfinale ist leider Schluss, auch wenn ich es mir
anders wünsche.
Ist die EM die bessere Alternative zur Katar-WM der Männer?
Der Frauenfußball neigt dazu, Dinge aus dem Männerfußball zu kopieren. Aber
[3][die WM in Katar] hat eine ganz andere politische Dimension. Bei der
Frauen-EM werden immer noch andere Werte transportiert. Viele Spielerinnen
sind noch keine Vollprofis, einige Teams treten zum ersten Mal an.
Hoffentlich wird es ein schöneres, bunteres Fest als Katar.
Wie sähe eine feministische EM aus? Und soll sie das überhaupt sein?
Feminismus heißt für mich, dass man sich von etwas emanzipiert. Viele
Strukturen bei der EM sind aber nur eine Kopie von einem früheren Zustand
des Männerfußballs. Deshalb würde ich nicht von einer feministischen EM
sprechen. Dafür bräuchte es gleiche Möglichkeiten, mehr Sichtbarkeit, mehr
Gleichberechtigung in Führungspositionen oder bei der Familienplanung. Der
aktuelle Frauenfußball ist nicht feministisch. Er müsste sich noch viel
mehr für gleiche Rechte einsetzen.
Steigende Ablösen, wachsende Lücken zwischen Großklubs und Rest, und
sowieso nur Westeuropa kann Titel holen: Sind wir noch euphorisch oder
schon genervt?
Unter denen, die den Frauenfußball verfolgen, ist man noch nicht genervt,
sondern wohlgesonnen. Auch aus meiner Sicht ist das schon noch ein sehr
charmantes Sportereignis. Als ehemalige Spielerin nehme ich wahr, dass eine
andere Atmosphäre herrscht und das Menschliche im Vordergrund steht. Der
Kommerz hat den Frauenfußball noch nicht überrollt.
Und wer holt eigentlich warum den Titel?
Mein Favorit Nummer eins: Spanien. Schon bei der letzten WM hatten sie echt
starke Auftritte und der Barça-Block ist nicht zu unterschätzen. Ich könnte
mir auch vorstellen, dass da noch viel Wut in den Bäuchen derer steckt, die
das Champions-League-Finale verloren haben.
## „Beängstigende Parallele zu Katar“
taz: Frau Becker, die EM soll das größte Frauensportevent in der Geschichte
Europas werden. Was ändert sich dadurch und was nicht?
Annika Becker: Ein internationales Turnier rüttelt die beteiligten Nationen
erst mal immer wach. Wie viel das jeweils im Land bringt, hängt aber davon
ab, wie sichtbar das Turnier dort ist und wie die Verbände weitermachen.
Bei Deutschland bin ich da sehr skeptisch. Vom DFB kommt ja immer nur so
tropfenweise Fortschritt und einen großen Plan sehe ich nicht. England muss
sich gar keine Sorgen machen. In Italien hat die letzte WM richtig was
angestoßen, die kriegen jetzt eine Profiliga. Ich sehe Bewegung, da ist die
EM die Kirsche auf der Torte.
Was kann eigentlich das deutsche Team?
Dass Maximiliane Rall nicht dabei ist und dass nicht noch eine
Verteidigerin nominiert wurde, finde ich fragwürdig. Da hinten darf sich
keine verletzen und vorne sollten sie lieber ein paar mehr Tore schießen,
weil man in der Abwehr nicht ganz so sicher steht. Ich sehe Deutschland nur
im Viertelfinale. Die Konkurrenz ist taktisch stärker.
Ist die EM die bessere Alternative zur Katar-WM der Männer?
Letztendlich läuft alles auf Kapitalismus hinaus, und der ist als Struktur
immer gleich. Trotzdem sind Rahmenbedingungen anders. Für diese EM sind
nicht Tausende Menschen beim Bau der Stadien gestorben. Aber ich kenne auch
Leute, die wegen des Brexits, des wachsenden Nationalismus und der
wachsenden Queerfeindlichkeit nicht zum Turnier reisen, obwohl sie es sonst
gerne gemacht hätten. Das ist schon eine beängstigende Parallele.
Wie sähe eine feministische EM aus? Und soll sie das überhaupt sein?
Natürlich soll sie das gerne sein. Die Frage ist aber immer: Wie viel dabei
ist nur Marketing? Ich würde mir wünschen, dass es echt ist und
intersektional. In den Kadern der teilnehmenden Nationen sind die meisten
Spielerinnen weiß. Und angesichts der wachsenden Trans- und
Queerfeindlichkeit finde ich auch klare Bekenntnisse in dieser Richtung
wichtig. Dass trans, inter und nichtbinäre Menschen selbst entscheiden, ob
sie bei den Männern oder Frauen spielen, bräuchte es auch für den
Spitzenbereich.
Steigende Ablösen, wachsende Lücken zwischen Großklubs und Rest, und
sowieso nur Westeuropa kann Titel holen: Sind wir noch euphorisch oder
schon genervt?
Das ist für mich ein riesiger Zwiespalt. Einerseits freue ich mich, dass es
langsam vorwärtsgeht. Andererseits ist mein Herzensverein die SGS Essen.
Die sind in ihrer Existenz sehr bedroht durch diese Entwicklung. Das ist
nicht nur eine sportliche, sondern auch eine kulturelle Verdrängung.
Und wer holt eigentlich warum den Titel?
England. Sarina Wiegman ist eine herausragende Trainerin, sie haben eine
sehr starke Gemeinschaft und wirken durch die Aufmerksamkeit nicht gehemmt,
sondern beflügelt.
## „Ein Momentum für Equality“
taz: Frau Kraus, die EM soll das größte Frauensportevent in der Geschichte
Europas werden. Was ändert sich dadurch und was nicht?
Katja Kraus: Die Chancen für die EM stehen gut, ich bin optimistisch, dass
das ein besonders beachtetes Turnier wird. Vor allem wegen der Qualität der
Spiele und der Leistungsdichte, die spannende Spiele verspricht. Und das
Momentum für Frauen im Fußball und Equality ist gerade groß. Es geht
allerdings auch darum, im Nachgang des Turniers die Rahmenbedingungen
weiter zu verbessern. Da ist in Deutschland noch viel Strecke zu machen.
Bei den Klubs nehme ich zunehmend die Bereitschaft zur Veränderung wahr.
Das sollte auch der Anspruch des DFB sein.
Was kann eigentlich das deutsche Team?
Das Spektrum ist genauso, wie Sie es beschreiben. Das letzte Spiel gegen
die Schweiz hat gezeigt, welche Möglichkeiten die Mannschaft hat. Mit der
deutschen Mannschaft ist natürlich zu rechnen, aber Favorit sind sie nicht.
Ist die EM die bessere Alternative zur Katar-WM der Männer?
Ich kann in der Kommerzialisierung nicht grundsätzlich etwas Schlechtes
sehen. Der Markt muss den Sport finanzieren. Sowohl für den Frauen- als
auch für den Männerfußball wird es aber eine wichtige Aufgabe sein, dieses
Thema deutlich verantwortungsbewusster zu verhandeln. Da ist der Rahmen für
Frauen im Fußball noch deutlich weiter und die Sportlerinnen können mit
einer eigenen Haltung sichtbar werden. Je klarer sich Spielerinnen
positionieren und je mehr wir von ihnen über ihre sportliche Leistung
wissen, desto größer ist die Möglichkeit der Identifikation. Es sollte
allerdings kein Reflex sein, sondern glaubwürdig, dann hat es einen Wert.
Ich habe so viele unglaubwürdige Beispiele erlebt, weil jeder Athlet und
jede Athletin inzwischen glaubt, auch politisch sein zu müssen. Da wird der
Sport mit Erwartungen überfrachtet.
Wie sähe eine feministische EM aus? Und soll sie das überhaupt sein?
Ich würde mir eine EM wünschen, bei der profund über die Qualität der
Spiele und die Leistung der Spielerinnen auf dem Feld gesprochen wird.
Steigende Ablösen, wachsende Lücken zwischen Großklubs und Rest, und
sowieso nur Westeuropa kann Titel holen: Sind wir noch euphorisch oder
schon genervt?
Ich lasse mich immer gern von guten Fußballspielen und beeindruckenden
Spielerinnen und Spielern begeistern. Um die Menschen weiterhin zu binden,
muss der Fußball seine gesellschaftliche Rolle ernst nehmen und sich mit
der Gesellschaft verändern.
Und wer holt eigentlich warum den Titel?
Mein Tipp ist England. Ich finde, dass die Mannschaft sich wirklich
weiterentwickelt hat, ein klares Spielsystem hat, sehr mutig, sehr
offensiv. Und dazu haben sie ein paar wirkliche Ausnahmespielerinnen.
England ist kein kühner Tipp.
7 Jul 2022
## LINKS
[1] /Frauenfussball-vor-der-EM/!5862380
[2] /Rueckstaendiger-deutscher-Frauenfussball/!5850555
[3] /Groessenwahn-bei-der-Fifa/!5859165
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Fußball-EM der Frauen 2022
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Feminismus
Schwerpunkt Boykott Katar
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Fußball-EM der Frauen 2022
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